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Mittwoch, 12. Februar 2014, 13:31 Uhr

Abschiebung per Eilantrag gestoppt

Armenische Familie aus Nahe ausgewiesen

Familie Hakopjan in ihrer Wohnung in Nahe (Foto: Christian Spreer, Lübecker Nachrichten)

Familie Hakopjan in ihrer Wohnung in Nahe (Foto: Christian Spreer, Lübecker Nachrichten)

Von Hans-Georg (Felix) Becker und Olaf Harning | Während die Segeberger Kreisverwaltung zur Zeit intensiv an ihrer Willkommenskultur arbeitet, scheitert die örtliche Ausländerbehörde bereits an einer zivilisierten „Verabschiedung“: Doch für den Versuch, eine fünfköpfige Familie frühmorgendlich zum Flughafen zu schaffen, erntet das Amt nun Kritik von allen Seiten.

In den frühen Morgenstunden des 31. Januar wurde die armenische Familie Hakopjan aus einem Mehrfamilienhaus in Nahe abgeholt und sollte nur Stunden später abgeschoben werden. Wobei alleine die Bezeichnung „abgeholt“ den wahren Sachverhalt verharmlost: Polizisten, Mitarbeiter der Ausländerbehörde und des Landesamtes für Ausländerangelegenheiten - die Angaben über die Anzahl der Beamten schwanken zwischen 15 (Augenzeugen) und acht (Ausländerbehörde) – drangen an jenem Morgen in die Wohnung der Familie ein, trennten die Mutter vom Vater und den Kindern, fesselten den Vater und verfrachteten ihn zusammen mit den Kindern in einen Kleinbus. Die Mutter wurde in ein anderes Fahrzeug gesetzt und im Pyjama mit übergeworfener Polizeiweste zum Flughafen gefahren.

Pastor Ekkehard Wulf, der zur Unterstützung der Familie herbeigeeilt war, sagte gegenüber den Lübecker Nachrichten, dass die Beamten dabei in „Rambo-Manier“ vorgingen und sich martialisch aufgeführt hätten. Vater Artak Hakopjan, Mutter Karine sowie die Söhne Erik (12), Karen (11) und Roman (7) wurden darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie zum Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel gebracht werden sollten um dann nach Armenien geflogen zu werden. Jenes Land, das Artak Arkopjan vor 13 Jahren verlassen hatte, um nicht in den Krieg gegen Aserbaidschan ziehen zu müssen. Dass er dies - aus naheliegenden Gründen - unter falschen Namen tat, wurde ihm von der Ausländerbehörde später angelastet. Die Kinder sind alle in Deutschland geboren und können nicht auf Armenisch kommunizieren.

Am Flughafen angekommen, wurden der Familie 15 Euro in die Hand gedrückt, dann sollte es in den Flieger und eine vollkommen ungewisse Zukunft gehen. Erst im letzen Moment wurde die Abschiebung gestoppt: Der Schweriner Rechtsanwalt Joachim Heilborn hatte, von einem Bekannten der Familie Hakopjan eingeschaltet, das Verwaltungsgericht Schleswig auf einen Formfehler der Ausländerbehörde aufmerksam gemacht. In einem Eilbeschluss stoppte das Gericht daraufhin das Abschiebeverfahren. Jetzt liegt der Fall der Härtefallkommission vor, die voraussichlich auf ihrer Sitzung am 8. April prüfen wird, ob persönliche oder humanitäre Gründe gegen eine Ausweisung sprechen.

Kundgebungs-Flyer: "Hier geblieben!"

Derweil löste der Vorgang inzwischen eine Welle der Solidarität mit der betroffenen Familie aus. Die Hakopjans sind bestens in Nahe integriert, die älteren Kinder besuchen das Lise-Meitner-Gymnasium in Norderstedt. Von den Lehrkräften dem Schulelternbeirat und der Schülervertretung wurde sofort eine Unterschriftenaktion durchgeführt und die betroffenen Schüler im Forum der Schule mit einer Solidaritätskundgebung empfangen. Unter Federführung des TSV Nahe bildete sich ein lokales Bündnis „Gegen die Abschiebung der Familie Hakopjan aus Nahe“, das auch zu einer Kundgebung vor der Ausländerbehörde des Kreises Segeberg am 13. Februar aufrief. Außerdem stellten Freunde und Bekannte der Familie eine Petition gegen ihre Abschiebung online, die schon von mehr als 8.000 Menschen unterzeichnet wurde, darunter fast 3.000 aus dem Kreis Segeberg. Auch eine vielbeachtete Facebook-Initiative wurde gestartet.

Politisch führt der Abschiebe-Versuch derweil zu Streitereien ganz anderer Art: Während sich Politiker fast aller Parteien und auch die Segeberger Jusos hinter die Familie stellen, nutzte der Segeberger Bundestagsabgeordnete Gero Storjohann (CDU) die Aktion der Ausländerbehörde zu einem Seitenhieb auf Landrätin Jutta Hartwieg (SPD). Kurz vor der Neuwahl des Landratsamtes wunderte sich Storjohann öffentlich, warum sie im Fall Hakopjan nicht neue gesetzliche Möglichkeiten dafür genutzt habe, die Familie wegen ihrer Integrationsleistung dauerhaft zu dulden. Damit spielt er vermutlich auf § 25a AufenthG an, das die Aufenthaltsgewährung für „gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende“ regelt. Seiner Auffassung nach wäre die Abschiebung dadurch vermeidbar gewesen. Dem widerspricht Rolf Meenen, Leiter der Segeberger Ausländerbehörde, energisch: Zwar schaffe der fragliche Paragraph in der Tat Möglichkeiten, auch abgelehnten Asylbewerbern den Aufenthalt zu ermöglichen, die Kinder der Familie Hakopjan allerdings seien noch zu jung, um überhaupt unter die Regelungen zu fallen. „Und selbst wenn das Alter der Kinder passen würde“, ergänzt Meenen, „haben die Eltern über Jahre ihre Identität verschleiert, was ein klarer Ausschlussgrund ist.“ Auch in Hinblick auf die Äußerungen Storjohanns ist das interessant: Während die Landrätin nämlich in die alltäglichen Entscheidungen der Ausländerbehörde gar nicht eingebunden wird, ist Meenen nicht nur deren verantwortlicher Leiter, sondern auch Mitglied der Wahlstedter CDU-Fraktion - und damit Parteifreund Storjohanns. 

Gegenüber dem Infoarchiv sagte Meenen, mit der Abschiebung der Familie Hakopjan habe man lediglich „eine Weisungsaufgabe des Bundes“ auszuführen. „Der Rechtsweg“, so der Beamte, „ist für die Familie vollumfänglich ausgereizt“, daher habe seine Behörde letztlich „keinen Handlungsspielraum“. Dem widerspricht der schleswig-holsteinische Flüchtlingsrat: Laut Geschäftsführer Martin Link könnte die Behörde das Problem für Familie Hakopjan sowohl auf Grundlage eines Vorgriffserlasses des Kieler Innenministeriums lösen, ermessensleitenden Rat beim Innenministerium suchen, oder auch selber die Härtefallkommission anrufen. „Doch das“, so Link, „hat man in Segeberg noch nie gemacht.“ Auch die frühmorgendliche Abholung sei nicht alternativlos, so hätten andere Kommunen ausreisepflichtige Personen vor dem Abflug zur Übernachtung in die Sammelstelle Neumünster eingeladen – so konnten sie zumindest noch ihre Dinge regeln.

Doch die Ausländerbehörde Segeberg hat schon seit Jahren einen schlechten Ruf – vor allem, was den Umgang mit Ausreisepflichtigen angeht. So sorgten Mitte 2005 gleich zwei brachiale Abschiebungen für Schlagzeilen, als Behördenmitarbeiter und Polizei zunächst die kurdische Familie Ö. unter dramatischen Umständen aus ihrer Unterkunft zwangen und in die Türkei flogen. Nur wenig später brachen dann alle Dämme, als der nach Angaben seiner Ärzte akut selbstmordgefährdete Kurde Murat S. gewaltsam aus der Psychiatrischen Klinik Rickling geholt und ebenfalls in die Türkei abgeschoben wurde, von wo er zuvor nach schweren Folterungen geflohen war.

Auch wenn rabiate Abschiebungen letztlich in mehreren Kreisen Schleswig-Holsteins vorkommen, gilt Rolf Meenen als bürokratischer Hardliner. Als kürzlich verschiedene Behördenvertreter in Kiel zu einer Konferenz über die steigenden Flüchtlingszahlen aus Syrien zusammen kamen, war er vor allem daran interessiert, ob es denn im Innenministerium schon Pläne gebe, wie man die Leute wieder zurück in ihr Heimatland bekommen könnte. Für Martin Link ein Zeichen dafür, dass es mit der viel diskutierten „Willkommenskultur“ im Kreis Segeberg noch nicht weit her ist, denn: „Zu einer Willkommenskultur gehört auch, etwas mehr Weitherzigkeit im Verwaltungshandeln zu zeigen." Statt von "bürokratischen Rachegedanken getrieben, einstige Fehler von entwurzelten Menschen zu ahnden", so Link ärgerlich, "wäre es besser, den nicht zuletzt in unserem eigenen Interesse liegenden Integrationsleistungen von Menschen gerecht zu werden."