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Donnerstag, 24. Mai 2012, 19:14 Uhr
Stadtwerke-Prüfer in Fonds-Pleite verwickelt
Dr. Hilliger & Bremer GmbH zu Schadenersatz verurteilt
Olaf Harning | "Die Geschäftsführung der Stadtwerke macht einen Superjob", diese Wertung gab der renommierte Wirtschaftsprüfer Carl-Ulrich Bremer im Juni 2003 dem Norderstedter Hauptausschuss zu Protokoll. Doch jetzt gibt es Zweifel an der Seriosität Bremers: Wegen Verletzung von Informationspflichten gegenüber Anlegern einer Fondsgesellschaft muss seine Prüfungsgesellschaft Dr. Hilliger & Bremer GmbH nach Recherchen des Infoarchivs in hohem Umfang Schadenersatz leisten.
Stadtwerke-Skandal ohne Folgen
Im Mittelpunkt der Vorwürfe gegen die Stadtwerkestand die übertarifliche Bezahlung von Beschäftigten, fragwürdiges Mäzenentum, undurchsichtige Auftragsvergaben und die Unterbringung von Familienangehörigenim Unternehmensgeflecht des städtischen Eigenbetriebs- das Ganze überwiegend in den Jahren 2000 und 2001.
Die Vorgehensweise der Werkleitung stellte sich nach einer großen Hausdurchsuchungsaktion im November 2002 und anschließenden Ermittlungen zwar als kaum justiziabel heraus - bewegte sich aber in mehreren Fällen am Rande der Legalität. In Hinblick auf die erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Werkleitung und RPA stellte der Landesrechnungshof (LRH) im November 2003 schließlich fest, dass "der Ablauf der Ereignisse und die Begründungen der einzelnen Maßnahmen und Verhaltensweisen (...) rational nur eingeschränkt nachvollziehbar" sind.
Trotzdem der LRH der Politik unter anderem empfahl, den Werkleitern die Kosten mehrerer abstruser Rechtsgutachten in Rechnung zu stellen, mit Hilfe derer sie sich gegen Prüfungen wehren wollten, ließen die Mehrheitsfraktionen CDU und FDP die Werkleitung unbehelligt. Am Ende stimmte ARRIBA-Manager Ruud Swaen der Einstellung seines Verfahrens gegen eine Zahlung von 6.000 Euro zu, während Volker Hallwachs 1.000 Euro berappte - ausdrücklich ohne Schuldeingeständnis.
Am 11. Juni 2003 hatte Bremer gegenüber dem Hauptausschuss noch einmal darzulegen, ob die Arbeit der Stadtwerke-Führung unter Volker Hallwachs auch im Jahr 2001 korrekt war - jenem Geschäftsjahr also, das nicht nur zum Gegenstand eines Muskelspiels zwischen städtischem Rechnungsprüfungsamt (RPA) und Werkleitung, sondern anschließend auch zur offenen Auseinandersetzung zwischen Volker Hallwachs und der Norderstedter Zeitung unter Chefredakteur Günther Hormann avanciert war.
Trotz erheblicher "Auffälligkeiten", die im November 2003 auch noch einmal in einer Prüfungsmitteilung des Landesrechnungshofs zusammengefasst wurden, sah Carl-Ulrich Bremer die Arbeit der Stadtwerke-Führung in rosarot: "Die Geschäftsführung der Stadtwerke macht einen Superjob", berichtete er dem Hauptausschuss der Stadt im Rahmen einer Schlussbesprechung des Wirtschaftsjahres 2001 und fügte gegenüber dem Norderstedter Wochenblatt noch hinzu: "An den Vorwürfen ist nichts dran", die Werkleitung habe "großartige Leistungen vollbracht". Doch diese Bewertung ist mittlerweile nicht nur fragwürdig, weil Bremer eine enge persönliche Verbindung zum damaligen Stadtwerke-Chef nachgesagt wird, sondern auch wegen der Verwicklung des Wirtschaftsprüfers in die EuropLeasing-Pleite.
Dabei geht es um die 1999 gegründete EuropLeasing AG und ihre 2003 aus der Taufe gehobene Fondstochter EuropLeasing AG & Co. Financial Solutions KG. Nicht weniger als die Marktführerschaft im IT- und Kommunikationsgüterleasing hatte sich dieses Unternehmen auf die Fahnen geschrieben und entsprechend um Anleger geworben, während man tatsächlich von Beginn an nur Bruchteile der erhofften Umsätze erzielen konnte. Bereits im Jahr 2000 warnte deshalb der Branchendienst Kapitalmarkt intern vor EuropLeasing-Anlagen: "Riskante unternehmerische Beteiligungen mit Totalverlustrisiko, bei der sich uns nicht erschlossen hat, warum man sich ausgerechnet an diesem Unternehmen beteiligen sollte. Wir raten Vermittlern und Anlegern zur Vorsicht!". Doch während auch die Wirtschaftspresse fast ausschließlich negativ über die Aussichten des Unternehmens berichtete, warb man bei EuropLeasing Solutions noch 2006 für eine "renditestarke Anlage mit geringem Risiko" und der Bewertung "hohe Sicherheit bei hoher Rendite". Am 13. Dezember selben Jahres wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Fast fünf Millionen Euro hatte das Unternehmen bis dahin eingesammelt, zeitweise erreichte EuropLeasing Solutions statt der im Emissionsprospekt angegebenen 22 Millionen Euro Leasing-Erlöse gerade einmal 480.000 Euro (Zahlen aus dem Geschäftsjahr 2004).
Bremer und die Norderstedter Eigenbetriebe
Carl-Ulrich Bremer ist ein Pinneberger Wirtschaftsprüfer, der mit der Dr. Hilliger & Bremer GmbH und der Wirtschaftsrat GmbH unter anderem zwei Prüfungsgesellschaften führt. Außerdem gehört die Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungs-Kanzlei Bremer-Grimm-Heller und die Beratungsfirma Dr. Bremer Consulting zum Firmengeflecht, wobei letztere von Bremers Sohn Henrik und dem ehemaligen Stadtwerke-Direktor Volker Hallwachs betrieben wird.
Während die Norderstedter Stadtwerke samt einiger Tochtergesellschaften von 1993 bis 2001 gleich neun Jahre lang von der Dr. Hilliger & Bremer GmbH geprüft wurden, ist seit 2008 (bis 2012) die Wirtschaftsrat GmbH an der Reihe. In der Zwischenzeit wurden die städtischen Betriebe von der Ohlsen Lorenzen & Partner GmbH (2002-2004) und der sehr großen Deloitte & Touche GmbH geprüft. Unter anderem auf Grundlage des Energiewirtschaftsgesetzes werden die Prüfer seit einigen Jahren vom städtischen Amt für Finanzen zunächst der Werkleitung vorgeschlagen. Amt und Werkleitung gemeinsam geben anschließend eine Empfehlung gegenüber dem Stadtwerkeausschuss ab. Dieses politische Gremium beschließt dann die Beauftragung des Prüfers für die Zeit von fünf Jahren.
Am desaströsen Marktauftritt der Fondstochter war Carl-Ulrich Bremer nicht nur ab 2003 indirekt mit seiner Wirtschaftsrat GmbH als Wirtschaftsprüfer beteiligt, sondern seit November 2004 auch direkt mit der Dr. Hilliger & Bremer GmbH als Treuhandkommanditistin der Gesellschaft. Deren Aufgabe: Der Abschluss von Treuhandverträgen und wohl auch die Betreuung der Anleger. Doch Letzteres bestreitet Bremer gegenüber dem Infoarchiv vehement: Er sei über persönliche Kontakte in die Gesellschaft gebeten worden, vor allem für den Zweck, den Handelsregistereintrag zu gewährleisten. "Mit den Anlegern selbst", so Bremer, habe er "eigentlich gar nichts zu tun gehabt." Außerdem hätten die Geprellten sehr unterschiedliche Interessen verfolgt - bis dahin, dass einzelne von ihnen steuerbedingt auf hohe Verluste hofften. Das Geschäftsmodell der EuropLeasing hält Bremer, der seit fast 40 Jahren als Wirtschaftsprüfer arbeitet, noch heute für eine gute Idee, es habe halt einfach nur zu wenige Anleger gegeben, die das erkannt haben. Auch das Schadenersatz-Urteil sei keineswegs zu erwarten gewesen: Bis vor einiger Zeit hätten die Gerichte den Treuhändern deutlich weniger Verantwortung zugeschrieben.
Diejenigen, die in das Geschäftsmodell investierten und auch die Richter des Oberlandesgerichts Hamburg bewerten den Fall hingegen ganz anders: Laut Urteil der Berufungsverhandlung vom 29. Oktober 2010 (Az.: 13 U 221/09) hatte die Dr. Hilliger & Bremer GmbH "grundsätzlich die Pflicht", die Anleger "über alle wesentlichen Punkte aufzuklären", die für die Beteiligung an der EuropLeasing Solutions von Bedeutung sind. Da Carl-Ulrich Bremer am 1. Juni 2004 persönlich an einer Aufsichtsratssitzung des Unternehmens teilgenommen hat, in deren Verlauf sowohl ein aktueller Liquiditätsengpass der "Komplementärin", das geringe Anlagevolumen, als auch die (erneut) negative Berichterstattung von Kapitalmarkt intern zur Sprache kam, war er also nicht nur bestens informiert, sondern nach Meinung der Richter auch verpflichtet, diese Informationen an die Anleger weiterzugeben. Doch Bremer verhielt sich zurückhaltend und glaubte weiter an das Geschäftsmodell. Während seine Rechtsvertretung gegenüber dem Oberlandesgericht schriftlich vortrug, Bremer habe zwar an der fraglichen Aufsichtsratssitzung teilgenommen, jedoch "diesen Tagesordnungspunkten keine Aufmerksamkeit geschenkt", da er zu einem anderen Thema und als Wirtschaftsprüfer eingeladen war, erhielt Bremer diese Behauptung in mündlicher Anhörung nicht mehr aufrecht. Gegenüber dem Infoarchiv sagt er im Rückblick, er habe die Lage des Unternehmens falsch eingeschätzt - unter anderem wegen eines neuen Vertriebsmannes der "einen sehr agilen Eindruck gemacht" habe.
Es sind wohl Sätze wie diese, die Matthias Gröpper und Oliver Frick an der Seriosität Bremers zweifeln lassen. Sie vertreten mit der Kanzlei BGKS rund 70 Anleger der EuropLeasing Solutions und nach ihrer Erkenntnis hat der Geschäftsführer der Treuhandkommanditistin nicht nur um die Schieflage des Unternehmens gewusst, bzw. darum wissen müssen, als er nach dem Juni 2004 weitere Treuhandverträge abschloss, sondern auch sein Wissen aktiv zurückgehalten. Entgegen seinen Angaben habe in der Regel Carl-Ulrich Bremer die Gesellschaft gegenüber den Anlegern vertreten, indem er beispielsweise Schreiben an sie unterzeichnete. Außerdem bewerten die Wirtschaftsrechtler schon die Doppelfunktion Bremers als Wirtschaftsprüfer mit der Wirtschaftsrat GmbH und Treuhänder mit der Dr. Hilliger & Bremer GmbH an sich als problematisch, da sie förmlich Interessenkollisionen produziere. Gröpper in der Gesamtschau: "Wenn sich Wirtschaftsprüfer so verhalten, haben wir große Zweifel an deren Seriosität. Die Dr. Hilliger & Bremer GmbH hat das Vertrauen der Anleger missbraucht". Noch deutlicher wurde die "Anlegerschutzkanzlei" Mattil & Kollegen in einer Veröffentlichung: "Für einen Fachmann", so die Juristen 2008, "war das Geschäftsmodell der EuropLeasing KG erkennbar betrügerisch konzipiert".
Zumindest ähnlich sah es letztlich auch das Oberlandesgericht, als es die "Macher" der EuropLeasing Solution im Rahmen der „uneigentlichen Prospekthaftung“ zur Zahlung von Schadenersatz verurteilte - unter ihnen die Dr. Hilliger & Bremer GmbH. Seitdem ist die Berufshaftpflichtversicherung Bremers bemüht, sich mit weiteren Klägern zu vergleichen, am Ende könnten von den Beklagten ansehnliche Teile jener fast 5 Millionen Euro erstattet werden, die von der EuropLeasing Solutions zuvor "verbrannt" wurden. Stellt sich die Frage, ob ein Wirtschaftsprüfer, der sich in der beschriebenen Form auf dem Kapitalanlagemarkt bewegt (hat), geeignet ist, um die teils schwergewichtigen Norderstedter Eigenbetriebe zu prüfen - und das zum Teil (siehe Stadtwerke-Skandal) in "schwerer See". Jens Seedorff bejaht das ausdrücklich: Bislang, so der Stadtwerke-Chef, habe er die Bremer-Gesellschaften "stets als seriös kennengelernt" und sieht daher "keinen Grund, an den Unternehmen zu zweifeln". Und auch Bremer selbst sieht sich in dieser Hinsicht nicht beschädigt. Er legt Wert auf die Feststellung, dass die Arbeit seiner Gesellschaften als Wirtschaftsprüfer auch im Zusammenhang mit der EuropLeasing-Pleite "fehlerfrei" war "und es diesbezüglich keinerlei Verurteilungen zu Schadenersatz gegeben hat". Zumindest Zweifel scheinen ihm aber schon gekommen zu sein: Als Konsequenz aus dem EuropLeasing-Desaster will sich der Wirtschaftsprüfer künftig auf sein Kerngeschäft zurückziehen und um Tätigkeiten wie Prospektprüfungen oder Treuhandschaften einen weiten Bogen machen.
- Veröffentlichung: EuropLeasing - "Marktführer ohne Umsätze", Januar 2006
- Presseerklärung des Deutschen Verbraucherschutzrings zur Insolvenz der EuropLeasing-Gesellschaften, September 2007
- Presseerklärung des Bundes für soziales und ziviles Rechtsbewusstsein e.V. zum Schadenersatz-Urteil, Februar 2011