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Dienstag, 22. Januar 2013, 16:05 Uhr

Sozialer Wohnungsbau reloaded?

Frauenhaus schlägt Alarm - CDU mit scharfem Linksschwenk

Blick auf das Hochhaus am Glashütter Markt.

Wohnungen, Wohnungen, Wohnungen. In Norderstedt fehlen zur Zeit bis zu 4.000 kleine, bezahlbare Unterkünfte - natürlich möglichst nicht "en bloc", wie hier am Glashütter Markt (Foto: Infoarchiv)

Infoarchiv Norderstedt | Die Mitglieder von SPD, GALiN und DIE LINKE trauten ihren Ohren kaum, als Karl-Heinrich Senckel (CDU) am Donnerstag im Norderstedter Sozialausschuss einen "dritten Akteur am Wohnungsmarkt" forderte. Zuvor hatte eine Bewohnerin des örtlichen Frauenhauses die dramatische Situation von Wohnungssuchenden geschildert.

Aus dem "Offenen Brief der Bewohnerinnen des Frauenhauses Norderstedt":

 

"Vor Monaten sind wir von unserem zuhause geflüchtet und waren dankbar, in diesem Hause ein Dach über dem Kopf zu haben."


"Das Haus ist für 25 Personen absolut nicht ausreichend. (...) Unsere Kinder haben keine Privatsphäre, teilweise leiden sie und wir selbst auch an Schlafstörungen."


"Generell ist es wichtig, dass es Frauenhäuser gibt, wir sind allen Menschen dankbar, die - auch durch Spenden - dazu beitragen, dass Frauenhäuser existieren. Jedoch sollten diese Häuser nur eine vorübergehende Lösung sein."


"Viele von uns suchen mit ihren Kindern schon über ein halbes Jahr nach einer Wohnung, zum Teil sogar länger. Natürlich gibt es Frauen, die aus Verzweiflung die Wohnungen, die ihnen in "sozialen Brennpunkten" angeboten wurden, annehmen müssen."


Es ist einfach unmöglich aufgrund der seit September 2011 herabgesetzten Mietobergrenzen eine Wohnung zu finden, die vom Jobcenter als angemessen eingestuft wird.

Einige von uns sind so verzweifelt, dass sie es sogar vorziehen zu ihren gewalttätigen Männern zurückzugehen."


Es ist nicht leicht für uns, mit unseren Kindern unsere gewohnte Umgebung zu verlassen und zu versuchen, in einer fremden Stadt wieder von vorne anzufangen. Und es wird uns nicht leichter gemacht. Im Gegenteil: Man trifft auf Vorurteile in Schulen, Kindergärten, bei Behörden und bei Wohnungsgenossenschaften."


"Für uns besteht die Priorität darin, dass unsere Kinder so schnell wie möglich ein neues, dauerhaftes Zuhause finden, in einem Umfeld, wo sie und wir uns wohlfühlen."

In einem "Offenen Brief der Bewohnerinnen des Frauenhauses Norderstedt" (Ausschnitte siehe Kasten), der ursprünglich an Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote (CDU) gerichtet war, haben die betroffenen Frauen ihre Erfahrungen bei der Wohnungssuche zusammengetragen, die für die meisten von ihnen schon mehr als ein halbes Jahr dauert und Einige derart bedrückt, dass sie am Ende - teils mit Kindern - zu ihren gewalttätigen Männern zurückkehren. Die Kapazitäten des Frauenhauses selbst sind demnach für die zur Zeit dauerhaft dort "wohnenden" Frauen und Kinder "absolut nicht ausreichend": Zwei Bäder und eine Gemeinschaftsküche für 25 Bewohnerinnen machen die Not deutlich, zum Teil müssen sich Mütter und ihre Kinder einen Raum mit einer fremden Person teilen.

Für die Mitglieder des Sozialausschusses waren die Schilderungen nur schwer zu "schlucken", überraschend aber wuchsen in der Folge vor allem die christdemokratischen Kommunalpolitiker über sich hinaus und mahnten wortreich Abhilfe an. So forderte Sozialpolitiker Karl-Heinrich Senckel einen "dritten Akteur am Wohnungsmarkt", weil die privaten Gesellschaften ja nicht Willens seien, die Misere durch den Bau günstiger Wohnungen zu beenden. Anton Josov und Volker Schennpe hingegen sahen die Verwaltung in der Pflicht, "endlich zu handeln". Schennpe in Richtung von Stadträtin Anette Reinders: "Wenn ich die Betroffenen hier sehe, schäme ich mich dafür, dass wir nach Monaten noch immer keine Lösungen anbieten können."

Erstaunliche Töne, denn am momentanen Stillstand sind die Norderstedter Christdemokraten nicht eben unbeteiligt: So kassierten Union und FDP eine Entscheidung des Sozialausschusses vom Oktober 2011 wenig später im Hauptausschuss wieder ein, nach der die 2012 und 2013 aus alten Maßnahmen der Wohnungsbauförderung zurückfließenden Mittel in Höhe von etwa 4,5 Millionen Euro für neue Wohnungen bereitgestellt werden sollten. Tenor damals: "Können wir uns nicht leisten." Und bis vor wenigen Wochen bekamen die Christdemokraten fast schon hektische Flecken, wenn LINKEN-Fraktionschef Miro Berbig mal wieder eine städtische Wohnungsbaugesellschaft forderte. Zwar schob Senckel seinem "dritten Akteur am Wohnungsmarkt" jetzt hinterher, das müsse ja nicht unbedingt die Stadt selbst sein, konnte aber damit die verblüffende Nähe zu linken Wohnungsbau-Forderungen nicht mehr kaschieren.

Ausgelöst worden war die Debatte durch einen Bericht der Stadträtin zur Wohnungslosigkeit in Norderstedt. Unter dem Motto "Jeder Mensch braucht eine Wohnung" beschrieb Reinders einerseits die Situation von Wohnungsnot besonders betroffener Personengruppen und nahm anschließend Stellung zu bestehenden Hilfseinrichtungen von Stadt und sozialen Trägern. Dabei stellte sie auch Problemlagen heraus, die mit dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum nur am Rande zu tun haben. So wohnen viele Menschen in den Notunterkünften der Stadt nicht nur Wochen oder eben einige Monate, sondern bis zu 15 Jahre. Das in Unterkünften, die laut Reinders zumindest in sehr schlechtem Zustand, "wenn nicht sogar abgängig" sind. Die Sozialdezernentin regt daher einen Mix aus Unterkunfts-Neubauten und sozialpädagogischer bis psychologischer Betreuung an.

Alle Bemühungen Reinders, den Bau geförderter Wohnungen durch Gespräche mit Baugesellschaften insgesamt anzukurbeln, sind unterdessen gescheitert - bislang jedenfalls. Lediglich die Firma Plambeck baut in Kürze 60 Sozialwohnungen im Baugebiet Garstedter Dreieck, hatte das aber schon länger vor. Außerdem kündigte Innenminister Andreas Breitner vor wenigen Tagen eine "Offensive für bezahlbares Wohnen an" - die allerdings auch nur die Bereitstellung vergleichsweise geringer Mittel in Darlehensform beinhaltet. Und solange die ebensowenig abgerufen werden, wie bisher verfügbare Gelder, verpuffen die kurzfristig zur Verfügung stehenden 50 Millionen Euro ohnehin wirkungslos. Wie es anders geht, zeigt dieser Tage die Keye Hausverwaltung am Langenhorner Markt. Im sogenannten "Langenhorner Loch" beginnen wohl noch in diesem Monat die Arbeiten für ein Wohn- und Geschäftsgebäude mit 93 geförderten Seniorenwohnungen. Für Keye schon das insgesamt sechzehnte Projekt mit Sozialwohnungen. Geht doch.

 

2 Kommentare zu diesem Artikel

23.01.2013, 13:13 Uhr AnonymousHoffentlich hält das an ...

Die anstehende Kommunalwahl mag ein Umdenken bewirken. Ansonsten ist zu befürchten, dass wieder einmal das passiert, was bisher immer passierte: Die Sozialpolitiker der CDU werden anschließend von Partei und Fraktion wieder eingefangen ...

22.01.2013, 16:34 Uhr AnonymousHochachtung für die Bewohnerinnen

...des Frauenhauses. Es ist nicht leicht sich in einer solchen Situation an die Öffentlichkeit zu wenden. Hoffentlich hält der Sinneswandel (wenn es denn einer ist...) der CDU an und macht handfeste Beschlüsse möglich, die die Situation von Wohnungssuchenden schnell und nachhaltig verbessert.