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Dienstag, 16. Januar 2007, 1:00 Uhr

Protest gegen Bildungskürzungen

Podiumsdiskussion, Demonstrationen und Proteste

Von Olaf Harning | 

Protest in der Stadtvertretung

In Norderstedt fällt der Protest zur Zeit schwer: Besonders in der Stadtvertretersitzung fanden sich am 12.12. kaum KommunalpolitikerInnen, die die aktuelle Bildungsreform begrüßen. So äußerten selbst die ChristdemokratInnen um Bürgermeister Hans-Joachim Grote und Günther Nicolai (beruflich Grundschulrektor) Verständnis für die Aktionen: Grote selbst äußerte dabei die Einschätzung, dass Teile der Reform ausschließlich in ländlichen Regionen sinnhaft seien, für Städte jedoch eine Verschlechterung der Situation mit sich bringe. Damit spielte er insbesondere auf die Zusammenlegung von Real- und Hauptschulen zu sogenannten "Regional-" oder "Gemeinschaftsschulen" an.

Podiumsdiskussion: SPD kneift

Schon im Rahmen einer Podiumsdiskussion am 22. November im Norderstedter Schulzentrum-Süd hatten neben verhaltener Kritik von den Grünen und der FDP zahlreiche ZuhörerInnen sowie VertreterInnen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), des Philologenverbandes, und der Linkspartei mit ihren DiskutantInnen gegen die drohenden Verschlechterungen im Bildungswesen protestiert. Für Kopfschütteln sorgte hier die peinliche Absage der SPD. Rund 300 ZuhörerInnen quittierten das Fehlen der Sozialdemokraten mit Unmutsäußerungen und Buhrufen, die Veranstalter stellten demonstrativ einen leeren Tisch mit Mikrophon für die SPD auf.
Hintergrund der von Philologenverband und GEW organisierten Podiumsdiskussion waren die aktuellen bildungspolitischen Weichenstellungen im neuen Schleswig-Holsteinischen Schulgesetz, die mittlerweile vom Kieler Landtag verabschiedet worden sind. So wurde beschlossen, die Real- und Hauptschulen des Landes in sogenannte Regional- oder Gemeinschaftsschulen zusammenzuführen und mit der Einführung einer Profiloberschule u.a. die Fächer Deutsch, Mathe und Englisch weit deutlicher zu gewichten, als bisher. Außerdem soll der gymnasiale Unterrichtsstoff künftig in nur 12 anstatt bisher 13 Jahren vermittelt werden (weitere Informationen hierzu in einem weiteren Artikel des Info Archivs), während GesamtschülerInnen für ein mögliches Abitur weiterhin 13 Jahre benötigen sollen.
Bezieht man neben diesem radikalen Umbau eines zumindest in großen Teilen bewährten Schulsystems noch die erst Sommer letzten Jahres verschärften Arbeitsbedingungen von Lehrerinnen und Lehrern ein, ist vorstellbar, wie gespannt die Atmosphäre in der gut gefüllten Aula des Schulzentrums Süd war. So marschierten noch vor Beginn der Podiumsdiskussion zwanzig Lehrkräfte in den Saal und protestierten mit T-Shirt-Parolen gegen die jüngsten Kürzungen.

Das Podium - die Debatte

Anschließend kamen mit Michael Mehr (Schüler im 13. Jahrgang des Copernicus-Gymnasiums), der Mutter eines Schülers im Schulzentrum Süd und Hajo Winkel-Bücher (Lehrer am Lise-Meitner-Gymnasium) drei ebenso direkt wie unterschiedlich Betroffene zu Wort. Während Mehr insbesondere die Profiloberschule aufs Korn nahm und hier den Wegfall von Unterrichtsstunden für naturwissenschaftliche Fächer als "Verschlechterung der Vorbereitung auf das Studium" kritisierte, hatte Winkel-Bücher für die Bildungsministerin nur noch Zynismus übrig: "Meine Dienstherrin zieht derzeit mit Veranstaltungen durch das Land und zeichnet die Bildung der Zukunft als Schlaraffenland. Da sollen weniger Schüler sitzen bleiben, besser für die Berufe ausgebildet werden, aber alleine im Haushalt 2007/2008 stehen Sparmaßnahmen ins Haus, die alle Versprechungen ins Leere laufen lassen. Ab sofort werden 29 Kinder plus 10 Prozent zur Norm erhoben. An unserer Schule sind 31 Kinder in Klasse 7 schon Realität. Wie unter solchen Bedingungen die pädagogischen Forderungen Realität werden sollen, das kann ich nicht sehen." Und unter anhaltendem Beifall des Publikums: "Ist das ehrliche Meinung der Ministerin oder schon Realitätsverlust?"

Finanzen: " ... jene 100 Millionen"

Als einziger Politiker auf dem Podium verteidigte Winfried Wengler (CDU) den Umbau des Bildungswesens - und hatte erwartungsgemäß einen schweren Stand. Teilweise unter Protest des Publikums prognostizierte er um 20% gesunkene SchülerInnenzahlen für das Jahr 2020, verteidigte die Profiloberstufe mit der Vergleichbarkeit der Bundesländer und machte natürlich deutlich, dass die Ressourcen auch in Schleswig-Holstein erschöpft seien: "Sagen Sie mir, woher wir noch mehr Geld nehmen sollen". Und sie sagten. Unter dem Gelächter der Anwesenden regte Barbara Franke - Lehrerin am Copernicus-Gymnasium - an, genau "jene 100 Millionen Euro" zu verwenden, die die Landesregierung jüngst für die Übernahme des umstrittenen G8-Spektakels in Aussicht gestellt hatte, das nun doch im Juni 2007 in Heiligendamm stattfindet.
Auch Heiko Winckel-Rienhoff (Die Linke) griff Wengler finanzpolitisch an: "Ich kann nicht mehr hören, wie wir dies oder jenes bezahlen sollen. Hätten wir noch die Besteuerung aus der Ära Kohl, würden jährlich 80 Milliarden Euro mehr in die Kassen kommen. Wenn Sie schon über die Finanznot der Länder und Kommunen reden, dann seien Sie so mutig und machen das wieder in Ordnung, was Sie vorher zerschlagen haben." Matthias Heidn (Landesvorsitzender der GEW) bezichtigte direkt Bildungsministerin Erdsiek-Rave des Wortbruchs. Außerdem warnte er eindringlich vor weiteren Kürzungen im Bildungsbereich: "Eine der wenigen Ressourcen, die Deutschland hat, ist der hohe Bildungsstand. Wir investieren in Prozent des Bruttosozialproduktes aber ungefähr so viel Geld in die Bildung, wie die Elfenbeinküste. Nichts gegen die Elfenbeinküste, aber das ist ? denke ich ? aussagekräftig. Alleine zwischen den Schuljahren 98/99 und 05/06 bekamen wir 19,7% mehr Schülerinnen und Schüler, aber nur 2,2% mehr Planstellen."

Dr. Habeck (Grüne): " ... echt vergrützt"

Diffus argumentierten Dr. Robert Habeck (Landesvorsitzender Bündnis 90/Grüne) und vor allem Marlis Krogmann (Vorsitzende FDP Norderstedt). Während Krogmann wie gewohnt einer größtmöglichen Zahl der Anwesenden versicherte, sie wäre vollkommen auf ihrer Seite, gleichzeitig aber "mehr Eliten" (und damit das Gegenteil) forderte, blieben Habecks konkrete Positionen im Dunkeln. Zwar stimmte er der Mehrzahl den Anwesenden in dem Punkt zu, dass "die Fragen "Vermögen" und "Bildung" verbunden werden müssen", allerdings könne man dabei nicht nur dem Land die Schuld geben, die Sache sei eben "echt vergrützt". Andererseits geißelte er den "Populismus" der Versammelten: So kritisierte er unter Zwischenrufen die Aufschrift der Protest-Shirts und die Forderung nach Steuererhöhungen. Anschließend redete Habeck der schulpolitischen Liberalisierung das Wort: "Wir müssen den Schulen Eigenständigkeit geben, sie kommunal demokratisieren, im Schulbetrieb deregulieren!" Und mal ganz global gesprochen: "Hätte Horst Köhler als Präsident der Weltbank nicht diesen neoliberalen Quatsch gemacht, müssten wir uns hier heute nicht streiten."

"Die da oben ..."

So war dann der Landesvorsitzende der Grünen auch sichtlich unzufrieden mit der Veranstaltung und der Richtung des Protests. Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl hin- und her, gestikulierte viel. Dabei hatte er trotz seiner teils verunglückten Redebeiträge als einer der Wenigen das zentrale Problem der Diskussion ausgemacht: Das Thema wurde deutlich zu komplex angegangen und auch in der laufenden Diskussion nicht weiter eingeengt oder kanalisiert. So ergab sich das (übervolle) Podium phasenweise in völlig aneinander vorbei gehenden Beiträgen. Realschul-Rektorinnen verteidigten ihre Realschulen, andere forderten die einzügige Gemeinschaftsschule, Wenige wollten mehr Elite und Viele brandmarkten die neuen Arbeitsbedingungen der LehrerInnen in jedwedem Schulsystem, weil die ein ?zufriedenstellendes Unterrichtsniveau? nicht mehr möglich machten. Nur in einem Punkt waren sich alle Anwesenden einig: "Die da oben erhöhen sich die Diäten und das Bildungssystem bleibt auf der Strecke."

Schmaler Konsens im Protest

Zwar brodelt es in den Norderstedter Schulen so sehr, wie seit Jahren nicht mehr. Der Protest von Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen aber hat zur Zeit einen bedenklich schmalen Konsens. Während in der Stadtvertretung insbesondere die Norderstedter Realschulen demonstrierten und sich teils diskriminierend gegen eine "Niveausenkung" durch das geforderte Zusammengehen mit Hauptschulen wandten, ist genau dieser Zusammenschluss im ländlichen Segeberg schon Realität: Mit großen Hoffnungen haben sich vor wenigen Wochen bereits die Grund- und Realschule Nahe und die Hauptschule Sülfeld nach entsprechenden Beschlüssen der Gemeindevertretungen zu einer Gemeinschaftsschule zusammengeschlossen. Hier sollen die SchülerInnen schon ab dem kommenden Schuljahr 2007/2008 wahlweise zu einem Haupt- oder Realschulabschluss geführt werden und können bei entsprechender Befähigung anschließend nahtlos an Partnergymnasien in Bad Segeberg, Bad Oldesloe und Norderstedt weitergeschickt werden, um dort ihr Abitur zu machen. In Bad Bramstedt gingen am vergangenen Wochenende hingegen 150 (statt erwarteten 500) SchülerInnen aus Real- und Hauptschulen auf die Straße um (wie in Norderstedt) gegen die Zusammenführung der beiden Schulformen zu protestieren.
Die so unterschiedlichen Herangehensweisen erklären sich einerseits aus Ressentiments und Vorurteilen gegen Hauptschulen, andererseits aus der Naivität, in den jetzt beschlossenen Gemeinschaftsschulen einen fortschrittlichen Ansatz zu erkennen. Recht haben derweil beide Seiten: So ist es sicherlich gefährlich und eben diskriminierend, wenn die Realschulen nach "unten", also auf die Hauptschulen eintreten und ihnen niedriges Niveau unterstellen. Einen Zusammenschluss mit solchen Argumenten abzulehnen ist billig und beschreibt sicher auch den eigenen Unwillen, Herausforderungen anzunehmen. Das geplante, zweigliedrige Schulsystem allerdings trägt viel von "Eliten-Bildung" in sich: Das Niveau der Gymnasien wird (bei allerdings ebenfalls verschlechterten Lernbedingungen) angehoben, alles darunter überlässt man ohne neue Konzepte und mit ausgedünntem Lehrkörper sich selbst. Es gehört nicht viel dazu, sich die nächsten PISA-Ergebnisse auszumalen.

Sympathien verscherzt: Tisch ohne Partei ...