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Freitag, 17. September 2010, 2:00 Uhr
Kämpfen in Zeiten der Krise
Interview mit Wolfgang Erdmann, Betriebsratsmitglied der Jungheinrich AG, Werk Norderstedt.
Das Gespräch führte Karl-Helmut Lechner. | Wolfgang Erdmann hat 1978 bei der Jungheinrich AG angefangen und ist bereits 1981 zum ersten Mal in den Betriebsrat des Jungheinrich-Werks in Norderstedt gewählt worden. Als Jungheinrich 1990 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, war er als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat von Anfang an dabei. Bis zum Ende seiner Amtsperiode in diesem Jahr war Erdmann außerdem Vorsitzender des Konzernbetriebsrates, also wahrlich ein Insider. Wir freuen uns daher, dass er dem Info Archiv die Gelegenheit gibt, Fragen zur aktuellen Lage des Jungheinrich-Konzerns und "seiner" Belegschaft zu stellen.
Infoarchiv: Als Vorsitzender des Konzernbetriebsrates und im Aufsichtsrat warst Du zwar offiziell nur für die Kolleginnen und Kollegen innerhalb Deutschlands im Bereich der Aktiengesellschaft zuständig. Du hattest aber auch die Belegschaften in den anderen Ländern im Auge. Wenn man die gesamte Zahl der KollegInnen und Kollegen bei Jungheinrich betrachtet: Wie viele arbeiten in den Produktionswerken? Wie viele im Vertrieb und Service?
Wolfgang Erdmann: Die aktuelle Beschäftigtenzahl von Jungheinrich liegt bei knapp Zehntausend. Davon arbeiten aktuell in Norderstedt 1.100, in Moosburg 900, in Landsberg 100, und im chinesischen Werk Qingpu 70. Der Rest ist beschäftigt in den zahlreichen Niederlassungen des Vertriebes oder im geringen Ausmaß in der Konzernzentrale, bzw. der Informatik in Hamburg. Also 2.070 in der Produktion, knapp 8.000 im Vertrieb und Service.
Infoarchiv: Das bedeutet doch, dass die Belegschaften sehr unterschiedlich arbeiten und damit unterschiedliche Interessen haben. Je nachdem, ob sie in der Produktion, im Verkauf oder im Service tätig sind?
Wolfgang Erdmann: Die Belegschaften sind sehr unterschiedlich. Das kann man sich leicht vorstellen. Ein Werk ist geprägt von der Produktion und vom Entwicklungsbereich mit hauptsächlich Ingenieuren. Während der Vertrieb geprägt ist von Servicearbeitern und Verkäufern, also sehr kundennahen Tätigkeiten und kaufmännischen Tätigkeiten im Angestelltenbereich, gibt es darüber hinaus natürlich Belegschaftsgruppen wie die Informatiker und den Finanzbereich, wo fast ausschließlich Akademiker, wiederum mit anderer Ausbildung und anderen Einstellungen zu finden sind.
Infoarchiv: Können Betriebsräte und IG Metall bei einer so vielfältig und unterschiedlich strukturierten Belegschaft eine "Politik für alle" machen? Gibt es da nicht auch oft gegenläufige Interessen z.B. zwischen den KollegInnen in den Werken und denen, die die Stapler verkaufen und reparieren sollen?
Wolfgang Erdmann: Unser Ziel in den Interessenvertretungen war es immer, Standortkonkurrenz zu verhindern und die Interessen der gesamten Belegschaft zu vertreten. Trotz großer Differenzierung gibt es natürlich gemeinsame Interessen. Und die kann man konkret benennen: Erhalt und Schaffung von Arbeitsplätzen, Schaffung von Ausbildungsplätzen, Übernahme nach der Ausbildung. Da ist das Interesse an guten vielseitigen Arbeitsinhalten und natürlich, dafür arbeitet man ja, an einem guten und hohen Einkommen und auch an stabilen Sozialleistungen. Wenn ich darüber hinaus noch Ansprüche hinzurechne auf demokratische Rechte, als Menschen geachtet zu werden und nicht nur als Kostenfaktor. Dass man gewerkschaftlich aktiv sein kann, ohne dafür benachteiligt zu werden. Auch die Forderung nach Datenschutz rechne ich dazu. Dann ist das insgesamt ein so großer Bereich an gemeinsamen Interessen, dass darauf eine Interessenvertretung gut fußen kann, so dass wir auch auf den übergreifenden Ebenen wie IG Metall Gewerkschaftsarbeit oder Arbeit im Konzernbetriebsrat ganz viele gemeinsame Ansatzpunkte finden. Aber das funktioniert nur, wenn wir die Unterschiedlichkeit der einzelnen Belegschaften und Beschäftigtengruppen dabei nicht aus den Augen verlieren. Deswegen die basisnahe Arbeit der Einzelbetriebsräte. Und davon haben wir jetzt bei Jungheinrich 17 im Vertrieb, zwei in der Zentrale, einen im Ersatzteilbereich und drei in den Werken; d. h. insgesamt 23 Betriebsräte. Das ist die Basis jeglicher Interessenvertretung neben der Gewerkschaftsarbeit der IG Metall.
Infoarchiv: Jungheinrich ist - trotz der Rechtsform der Gesellschaft als Aktiengesellschaft - ein Familienunternehmen geblieben. Die stimmberechtigten Aktien liegen nach wie vor bei den Angehörigen der Familie Jungheinrich. Spürt man das heute noch in der betrieblichen Kultur?
Wolfgang Erdmann: Man sollte keine Illusionen haben, dass nicht auch jedes Familienunternehmen bestimmt wird von Umsatz, Gewinn und Rendite. Aber, es ist ein deutlicher Unterschied nach wie vor vorhanden. Dass das Familienunternehmen darauf setzt, aus eigener Kraft zu wachsen und nicht durch waghalsige Firmenaufkäufe oder Verschuldung, das ist der eine Unterschied. Und der zweite Unterschied ist, dass wir Interessenvertretungen durchaus Einflussmöglichkeiten haben in Richtung Sicherung von Arbeitsplätzen oder einem mehr langfristig ausgerichteten Wachsen dieses Konzerns. Wir merken das besonders in Diskussionen mit Betriebsräten aus anderen Unternehmen, die bestimmt werden von Finanzinvestoren und Bankern im Aufsichtsrat.
Infoarchiv: Jungheinrich ist tarifgebunden. Das war ja nicht immer selbstverständlich?
Wolfgang Erdmann: Nein. Jungheinrich sollte aus Sicht der Eigentümer unabhängig sein von allem, also auch vom Arbeitgeberverband. Das hatte für die Belegschaft den riesigen Nachteil, dass Standards der Arbeit eben nur in freiwilligen Vereinbarungen gesichert waren und nicht durch die wesentlich rechtssichereren Tarifverträge. Insofern hat sich Anfang der 80er Jahre, und zwar konkret aus der Bewegung für die 35-Stunden-Woche heraus, eine betriebliche Tarifkommission gebildet, die mit Jungheinrich einen Haustarif abschließen wollte, in dem alle Standards der Manteltarifverträge, also auch der Arbeitszeiten, geregelt sind. Diese Verhandlungen wurden allerdings dadurch beendet, dass Jungheinrich dann doch einen solchen Haustarif als wesentlich ungünstigerere Variante angesehen und es vorgezogen hat, 1985 dem Arbeitgeberverband Metall-Küste beizutreten.
Infoarchiv: Die tiefe Krise der vergangen Jahre ist sicher auch an Jungheinrich nicht spurlos vorübergegangen?
Wolfgang Erdmann: Nein. Die Krise ist besonders stark in dieser Branche der einfachen Rationalisierungsmittel zu spüren gewesen. Das ist traditionell schon immer so gewesen. Weil: Es ist keine langfristige Investition, die dann noch getätigt werden muss. Sondern jeder Unternehmer überlegt, ob er wirklich einen neuen Gabelstapler braucht, wenn die Umsätze einbrechen. Egal, ob das in der Produktion ist oder im Handel. Insofern sind die zyklischen Krisen besonders stark in unserer Branche zu spüren gewesen. Und auch diese Krise, die ja die heftigste seit 1929 war, hat zu einem Einbruch im Bereich der Flurförderzeugmärkte von über 40 Prozent geführt. Was natürlich bedeutet, dass in kürzester Frist 40 Prozent weniger Aufträge in den Werken vorhanden waren. Denn Gabelstapler werden heute nicht mehr auf Lager gefertigt, sondern nur noch auf Kundenbestellung. Das war natürlich ein dramatischer Einbruch der Arbeitsinhalte.
Infoarchiv: In absoluten Zahlen?
Wolfgang Erdmann: Das bedeutete beispielsweise für ein Werk in Moosburg, dass von den 19.000 Gabelstaplern, die 2008 dort gefertigt wurden; plötzlich ein Jahr später nur noch knapp 9.000 gefertigt wurden. Also die Halbierung der Produktionsstückzahlen binnen einem Jahr. Insgesamt sank die Produktionszahl im Konzern von über 77.000 in 2008 auf nur noch 49.000 in 2009. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die speziellen Geräte, die in Moosburg gebaut werden, besonders teure Gabelstapler sind.
Infoarchiv: Hatte sich das Management auf eine solche Situation vorbereitet?
Wolfgang Erdmann: Dieser Einbruch im Markt von über 40% stand im krassen Gegensatz zu den Einschätzungen des Managements. Die Manager glaubten, dass der Boom der Branche aus den Jahren 2003 bis 2008 sich so fortsetzen würde. Oder, ökonomisch gesprochen, das Volumen der Produktion sollte immer weiter ausgeweitet werden, um entsprechende Gewinne realisieren zu können. Konkret hieß das: Dass bei Jungheinrich Pläne beschlossen wurden, die Produktionskapazitäten etwa zu verdoppeln. Und aus diesen Gründen wurden sogar zwei neue Werke geplant. So weit die Theorie. Die Praxis war eine ganz andere. Man hätte wissen müssen, dass die zyklischen Krisen ja alle fünf oder sieben Jahre immer wieder eingetreten sind. Und von daher war eine solche Annahme eines ständig andauernden Wachstums ohne jeden Realismus.
Infoarchiv: Wie waren die Überlegungen des Managements zu den Personalkosten?
Wolfgang Erdmann: Interessant ist auf der einen Seite, wie die Produktionszahlen gesteigert werden sollten und auch umgesetzt wurden in konkrete Planung. Und wie aber gleichzeitig die Personalaufwände gesenkt wurden. Also auszudrücken beispielsweise im Personalaufwand zur Gesamtleistung, also einer bilanziellen Kennziffer, der Personalaufwandsquote. Sie betrug im Jahr 2000: 31,4% und im Jahr 2008 nur noch: 27,7%. Man sieht daran: Ausweitung der Produktion einerseits, Senkung der Kaufkraft und Konsumtionsmöglichkeiten andererseits. Und dieser auch gesamtgesellschaftliche Widerspruch, löst sich dann in zyklischen Krisen, wie wir dies jetzt erlebt haben. Diesmal in besonders krasser Form. Beides entspringt völlig demselben Motiv, sowohl die Ausweitung der Produktion ist gemacht, um Gewinne zu realisieren, als auch die Absenkung der Personalaufwände wird gemacht, um Kosten zusenken und Gewinne zu steigern. Das führt unweigerlich zur Krise. Das bedeutet nicht unbedingt ein Absinken des Entgeltes des einzelnen Beschäftigten. Sondern Du hast im gesamten Unternehmen ein viel größeres Wachstum des Unternehmens - hier der Gesamtleistung - als der Personalkosten. Und natürlich eine Ausweitung der Produktion in Billiglohnländern, die Ausweitung von Leihkräften usw.
Infoarchiv: Hat auch Jungheinrich, um die eigenen Gewinne zu sichern, mit Angriffen auf die Belegschaft - Verzicht auf Lohn, Rausschmiss von KollegInnen - reagiert?
Wolfgang Erdmann: Zunächst muss man sagen, dass so ein Maschinenbauunternehmen sofort in die Verluste rutscht im Bereich der Werke, nicht ausgelastete Werke verursachen Verluste. Insofern gab es, wie in den andern Unternehmen auch, panische Reaktionen auf die Krise, und Strategien und Konzeptionen, die nicht nur als Druckmittel gegen die Belegschaften und Interessenvertretungen zu analysieren waren. Man musste befürchten, dass solche Panikreaktionen tatsächlich dann auch durchgeführt werden. Um Beispiele zu nennen. Es wurde die Schließung von Werken überlegt. Es wurde die Fremdverlagerung von ganzen Produktionsbereichen in Billiglohnländer überlegt. Und es wurde die Streichung fast aller Sozialleistungen gefordert. Es wurden umfangreiche Entlassungswellen ins Auge gefasst. Das war Mitte 2009 eine katastrophale Situation, mit der sich die Interessenvertretungen konfrontiert sahen.
Infoarchiv: Als Vertrauensleute der IG Metall und als Betriebsräte habt Ihr Euch im Werk Norderstedt einiges an phantasievollen Kampfschritten einfallen lassen.
Wolfgang Erdmann: Ja, in Norderstedt und in den anderen Werken wurde als erste Reaktion, und zwar mit der Initiative des Betriebsrates, auf das Mittel Kurzarbeit gesetzt. Was dann ja auf Grund des Tarifvertrages verbunden ist mit einer Nicht-Kündigungszusage. So wurde zunächst Kurzarbeit durchgeführt. Was aber auch einen Verlust von Einkommen für die gesamte Belegschaft, Arbeiter und Angestellte bedeutet. Dann wurden Verhandlungen aufgenommen. Das entscheidende aber war, dass wir vom ersten Tag an eine Strategie hatten: "Mit uns sind keine betriebsbedingten Kündigungen zu machen!" Das ist das entscheidende Ziel, das wir haben und das wir auch durchsetzen müssen. Das zweite Ziel war: Mit den Interessenvertretungen, und zwar egal wo, ob im Werk oder im Vertrieb oder in der Zentrale, wird es kein Aushebeln oder Aufweichen von Tarifverträgen geben. Mit diesen beiden Zielen wurden dann die Verhandlungen geführt und über den Konzernbetriebsrat koordiniert. Die Methode dabei musste sein, mit einer gut informierten und einbezogenen Belegschaft diese Verhandlungen zu führen. Denn wenn die Angriffe so sind, wie ich sie anfangs beschrieben habe, ist rein auf dem Verhandlungsweg nichts zu retten und nichts zu machen. Insofern haben wir so viele Betriebsversammlungen und zusätzliche Versammlungen durchgeführt, wie noch nie zuvor, um jeweils die Belegschaft mit einzubeziehen in diese Auseinandersetzung.
Infoarchiv: Der Aufsichtsrat war doch derjenige, der entscheiden musste: Wie habt Ihr ihm Euer Anliegen nahe gebracht?
Wolfgang Erdmann: Es ging um eine mögliche Schließung von Werken und Werksteilen. Die IG Metall hatte dann der Belegschaft den Vorschlag gemacht, zu einer Aufsichtsratssitzung in die Konzernzentrale zu fahren, am 15. September 2009. Um dort dem Vorstand und dem Aufsichtsrat, also auch den Eigentümer-Familien, die Sorgen und Nöte der Belegschaft, aber auch die Forderungen der Belegschaft vorzutragen. Sowohl die Teilnahme war ausgesprochen gut, als auch die Einhelligkeit von IG Metall, Betriebsrat und Belegschaft war vorbildlich. Diese Forderungen wurden von den Eigentümer-Familien dann auch ernst genommen. Und seit dem 15. September war dann die Schließung von Werken oder wesentlichen Werksteilen vom Tisch.
Infoarchiv: Gab es denn Gegenmeinungen in der Belegschaft und Widersprüche zu diesen Kampfformen?
Wolfgang Erdmann: Die Mobilisierung ist immer schwierig in solchen Zeiten. Weil natürlich die Angst um den Arbeitsplatz riesengroß ist. Die Angst ist ja seit Agenda 2010 und der Bedrohung mit Hartz IV noch viel größer geworden. Nur, in der Belegschaft überwog die Meinung, man muss kämpfen, weil man sonst in einer solchen Auseinandersetzung verloren hat. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich ein Widerstandskampf, und das ist eine Erfahrung schon aus den letzten Umstrukturierungen, auf Dauer nur bestehen läßt, wenn man klar strukturierte und sinnvolle eigene Konzeptionen hat, und diese den Unternehmer-Ideen und den Ideen von Unternehmensberatungen entgegenhält. Dann festigt sich in der Belegschaft der Eindruck, dass es lohnt, für so sinnvolle Dinge zu kämpfen. Das stimmt dann ja auch mit ihren eigenen kurzfristigen und langfristigen Interessen überein.
Infoarchiv: Und das Resultat? Kannst Du die wesentlichen Eckpunkte von Interessenausgleich und Sozialplan nennen?
Wolfgang Erdmann: Das Resultat will ich nicht über den "grünen Klee" loben.
- Das entscheidende war, dass wir insgesamt in Deutschland keine einzige betriebsbedingte Kündigung in der Krise zugelassen haben.
- Der erforderliche Personalabbau wurde dadurch geregelt, dass in unterschiedlichen Ausprägungen Möglichkeiten geschaffen haben, dass Kollegen unter materiell akzeptablen Bedingungen freiwillig das Unternehmen verlassen konnten. Hauptsächlich in Richtung Rente.
- Die neue Möglichkeit des Sozialgesetzbuches von "Transfergesellschaften" wurde dabei genutzt, aber nicht um Personal reibungsloser zu entlassen, sondern um Zeit zu überbrücken.
- Für diese zusätzlich zur Kurzarbeit getroffene Regelung der Kapazitätsabsenkung erhielt die restliche Belegschaft im Gegenzug eine Beschäftigungsgarantie bis Ende 2014.
- Tarifverträge oder überbetriebliche Sozialleistungen wurden nicht angetastet.
- Das Problematische an diesen unter erheblichem Erpressungsdruck zustande gekommenen Verhandlungsergebnissen ist sicherlich, dass einiges zurück gefahren wurde an betrieblichen Errungenschaften, die wir in guten Zeiten mühselig erkämpft haben. Wir haben daraus die Schlussfolgerung für die Zukunft gezogen, dass wir nie nachlassen dürfen in guten Zeiten, materielle Fortschritte zu erkämpfen.
Infoarchiv: In den Ad-hoc-Meldungen, die Jungheinrich herausgibt, kann man jetzt lesen, Jungheinrich habe die Krise überwunden, sich erholt, ja, Jungheinrich mache wieder Gewinne?
Wolfgang Erdmann: Festzustellen ist, dass seit Anfang diesen Jahres in der Branche wieder ein sehr starkes Wachstum vorhanden ist. Das hat dazu geführt, dass beispielsweise im Werk Norderstedt seit dem 1. Juni die Kurzarbeit ausgesetzt werden konnte und erstaunlicherweise jetzt auch wieder Samstag-Arbeit benötigt wird. Seit August werden schon wieder die ersten Leihkräfte benötigt, um das gesamte Volumen der Aufträge abarbeiten zu können.
Infoarchiv: Ist dieser Aufschwung stabil?
Wolfgang Erdmann: Man muss diesen Aufschwung mit einiger Skepsis betrachten, weil es gegenläufige Tendenzen gibt. Für mich ist eine große Problematik da drin zu sehen, dass die Konjunkturprogramme auslaufen. Der G20-Gipfel im Juni 2010 hat ja formuliert: "Auslaufen der Konjunkturprogramme und dann Halbierung der Staatsdefizite". Und jetzt werden ja auf der staatlichen und auf der kommunalen Ebene Sparprogramme durchgesetzt, die gerade nicht die Verursacher der Krise zur Kasse bitten, sondern auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen werden. Das bedeutet ja nichts anderes, als dass Kaufkraft im breitesten Umfang beseitigt wird. Es ist nach wie vor so, dass der Konsum mit 60% den größten Posten der Nachfrage stellt. Das gilt natürlich besonders stark für ein Exportland, wenn in den anderen Ländern parallel die grausamen Sparpakete verhängt werden. Dadurch entsteht zwangsläufig das Problem, dass ein Aufschwung durch diese einseitig gezielten Sparprogramme auch wieder abgewürgt werden kann. Aber auch andere Elemente können dazu führen, dass dieser Aufschwung sich deutlich abschwächt oder auch nur ein vorübergehender Aufschwung war. Also beispielsweise die problematische Entwicklung in den USA, geprägt von Massenarbeitslosigkeit und zunehmender Verschuldung. Oder: wir beobachten, dass kleinere Jungheinrich-Kunden Probleme haben, Investitionen zu finanzieren. Das wird ja unter dem Begriff "Kredit-Klemme" beschrieben. Die Banken wurden staatlich aus Steuergeldern gerettet, aber kommen nicht ihrer eigentlichen Funktion nach, Geld für Investitionen zur Verfügung zu stellen. Sondern sie legen zunehmend ihr Kapital spekulativ an und verschärfen die Kreditbedingungen - insbesondere für kleinere Unternehmen. All das kann natürlich ein Problem für diesen Aufschwung darstellen. Daher sind wir durchaus skeptisch, was diesen Aufschwung angeht.
Infoarchiv: Noch ist der Interessenausgleich nicht abgearbeitet; da hört man, dass Jungheinrich beim Betriebsrat Überstundenanträge stellt und Leihleute beschäftigen will: Muss das nicht wie eine Provokation auf die KollegInnen wirken, die sich auf einen Interessenausgleich und Sozialplan, auf Verzicht und Stellenabbau eingelassen haben?
Wolfgang Erdmann: Nun haben die Auswirkungen des Aufschwunges ja jetzt erst im Juni begonnen. Durch Aussetzung der Kurzarbeit und Einstellung der ersten Leihkräfte. Zwei Dinge muss man erwähnen: Der Betriebsrat in Norderstedt hat, sobald die Firma Anträge gestellt hat in Richtung Mehrarbeit oder Leihkräfte, also die Mitbestimmung des Betriebsrates ins Spiel kam, sofort Gegenforderungen aufgestellt und durchgesetzt. Sowohl, was das Zurückkämpfen von verbesserten Arbeitszeiten als auch verbesserte Bezahlung der Leihkräfte angeht. Ich denke, dies weist in die richtige Richtung. Wir müssen in den nächsten Wochen eine systematische Diskussion beginnen, was die Forderungen der Gewerkschafter, der Betriebsräte und der Belegschaften sind, in einer Situation, wo die Gewinne wieder hoch laufen. Und das muss dann umgesetzt werden in harte Interessenvertretung.
Infoarchiv: Dann werdet Ihr ja einen kämpferischen Herbst und Winter vor Euch haben?
Wolfgang Erdmann: Unsere Strategie muss im September stehen. Denn, allerspätestens im Dezember, werden die Auseinandersetzungen losgehen. Es wird ein heißer Herbst und Winter!
Infoarchiv: Herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Das Interview führte Karl-Helmut Lechner.