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Montag, 18. Mai 2015, 23:26 Uhr

Gefahrengebiete verfassungswidrig

Wie Hamburgs Polizei mit Grundrechten spielt

Viele Polizisten in Kampfmontur, aber ohne Helm auf dem Kopf

Viel Polizei, wenig Verfassung: Die Gefahrengebiete des Hamburger Polizeigesetzes sind nicht grundgesetzkonform (Foto: Infoarchiv).

Infoarchiv Norderstedt | Die Einrichtung sogenannter "Gefahrengebiete" durch die Hamburger Polizei ist verfassungswidrig. Das hat am Mittwoch das Oberlandesgericht (OLG) der Hansestadt entschieden - und dabei kein Blatt vor dem Mund genommen.

Gefahrengebiete

Den Begriff "Gefahrengebiet" kennt Hamburg bereits seit 1995, die heutige Rechtslage aber fußt auf einer Regelung im Hamburger Polizeigesetz, die der CDU-Senat unter Ole von Beust 2005 beschloss. Seitdem ist es der Polizei möglich, Gebiete zu definieren, in denen aufgrund "konkreter Lageerkenntnisse" anzunehmen ist, dass Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden.

 

Ist ein solches Gebiet definiert, können Einsatzkräfte dort willkürlich Personen anhalten, befragen, ihre Identität feststellen und persönliche Gegenstände in Augenschein nehmen. Insgesamt 51 Gefahrengebiete höchst unterschiedlicher Größe und Dauer wurden seit 1995 eingerichtet, der Nachweis eines konkreten Nutzens blieb bislang aus.

 

Auch in Schleswig-Holstein gibt es eine Art Gefahrengebiet-Regelung: Den sogenannten "gefährlichen Ort". Auch hier sind die polizeilichen Befugnisse erweitert und als im Winter 2013/14 das halbe Hamburger Randgebiet inklusive Segeberg wegen einer Einbruchsserie als "gefährlich" definiert wurde, behielt es die Polizei lieber ganz für sich.

 

Mit Blick auf die Hamburger Gerichtsentscheidung fordert Patrick Breyer, Landtagsabgeordneter der Piraten dann auch den grundsätzlichen Verzicht auf "Jedermannkontrollen". Die seien unnütz, stigmatisierend und leisteten Diskriminierung Vorschub.

Kern des Urteils ist die Feststellung, dass Grundrechtseingriffe - zumal schwere - nicht im Ermessen der Verwaltung liegen. Unterwerfe man die Einschränkung der Freiheit einer simplen polizeilichen Lagebeurteilung, so das OLG, bestehe die Gefahr, dass Personenkontrollen oder sonstige Eingriffe in die informelle Selbstbestimmung, an "relativ diffuse Anhaltspunkte" geknüpft werden.

Gegen die Gefahrengebiete geklagt hatte eine 53jährige Bewohnerin des Schanzenviertels. In der Nacht zum 1. Mai 2011 war sie von der Polizei in einem solchen Gebiet einzig deshalb kontrolliert und mehrere Stunden in Gewahrsam genommen worden, weil sie optisch "ins linke Spektrum" passte. Das, so die Richter am OLG, verstoße unter anderem gegen das Diskriminierungsverbot und den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes und sorge im übrigen keinesfalls für Sicherheit: Wer eine Straftat begehen wolle, bräuchte bei einer derart diffusen Definition einer zu kontrollierenden Personengruppe nur sein Äußeres verändern.

Bundesweit in die Schlagzeilen geraten war der Hamburger Sonderweg Anfang 2014. Damals definierten Polizei und Innenbehörde nach Auseinandersetzungen im Verlauf einer Demonstration für die Rote Flora ein riesiges "Gefahrengebiet", das über 50.000 BewohnerInnen der Stadtteile Eimsbüttel, Altona und St. Pauli betraf. Mehrere Hunderschaften der Polizei besetzten wichtige Kreuzungen und Plätze, ganze Wohnviertel gerieten in eine Art Belagerungszustand, Tausende wurden kontrolliert und durchsucht.

In der Folge entstand jedoch eine breite Protestbewegung gegen polizeiliche Willkür und "Sicherheitswahn", deren Symbol eine Klobürste wurde: Ein Beitrag der Tagesthemen hatte die Ingewahrsamnahme eines Mannes gezeigt, aus dessen Hosentasche eine Klobürste ragte. Doch während Politik und Medien bundesweit Unverständnis über die Hamburger Praxis äußerten, blieb die Hansestadt selbst uneinsichtig: Die Innenbehörde bestand auf den Gefahrengebieten, das "Hamburger Abendblatt" sekundierte journalistisch und die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) brachte gar den ergänzenden Einsatz von Schusswaffen ins Gespräch - gegen Demonstranten.

Kein Wunder, dass sich Carsten Gericke, Anwalt der Klägerin gegen die Gefahrengebiete, nach der Entscheidung des Gerichts erleichtert zeigte: "Wir sind sehr froh darüber, dass das Oberverwaltungsgericht so klare Worte gefunden hat". Das Urteil sei eine wichtige Entscheidung für seine Mandantin - aber eben auch für die gesamte Stadt Hamburg. Gericke, der aus Norderstedt stammt und hier bereits mehrfach Initiativen und Vereine beraten hat, fordert jetzt die zügige Änderung des Hamburger Polizeigesetzes. Ein - wie man sagen muss - frommer Wunsch. Denn die düpierte Innenbehörde reagierte zunächst gar nicht auf das Urteil und auch die Polizeiführung stört sich bislang kaum daran. "Die Polizei trotzt dem Gericht", titelte das "Hamburger Abendblatt", man müsse die Hamburger Regelungen jetzt "im Lichte des Urteils prüfen", kommentierte ein Senatssprecher. Als einziges Zugeständnis verlautete aus Senatskreisen, man könne sich die Einführung eines Richtervorbehalts vorstellen. Das ändert zwar rein gar nichts an der verfassungswidrigen Norm, hört sich aber doch gleich viel besser an. So geht Politik.