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Sonntag, 18. März 2007, 1:00 Uhr

"Fünfzig kreischende Weiber"

Holger Hagemann, Alfred L. Wagner und die Bürde der Demokratie

Von Olaf Harning | Holger Hagemann gibt sich entsetzt: "Dagegen verwahre ich mich, das wäre doch völlig unter meinem Niveau", dementiert der CDU-Kommunalpolitiker gegenüber dem Info Archiv die ihm unterstellten Äußerungen. Thomas Jäger, Pressesprecher der örtlichen SPD, hatte zuvor kritisiert, Hagemann habe mit der Absetzung des Tagesordnungspunktes "KiTa-Schließzeiten" von der Sitzung des Ausschusses für Junge Menschen am 21. März gegen "die Geschäftsordnung der Stadtvertretung" verstoßen. Vor allem aber soll Hagemann gegenüber SPD-Fraktionsmitglied Helmuth Krebber geäußert haben, er hätte "keine Lust auf 50 kreischende Weiber" und das Thema unter anderem deswegen nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Die SPD ist entsprechend in Aufregung, Pressesprecher Jäger fordert den Rücktritt des heißblütigen Christdemokraten: "Diese Äußerung ist schlichtweg skandalös. Herr Hagemann hat sich damit für seine Aufgabe als Ausschussvorsitzender disqualifiziert, wir halten ihn für nicht mehr tragbar."
Doch dagegen wehrt Makler Hagemann sich nachdrücklich. Zum einen habe der Ausschuss im Februar lediglich beschlossen, den Tagesordnungspunkt zu verschieben und im übrigen nur "voraussichtlich" auf den 21. März. Außerdem hätte sich bislang weder der betreffende CDU-Arbeitskreis zu einer abschließenden Position durchringen können, noch liege eine lange angekündigte Stellungnahme der FDP-Fraktion vor. Die Rücktrittsforderung der SPD kann er deshalb nicht nachvollziehen.
Inhaltlich dreht sich die seit Monaten schwelende Auseinandersetzung um zusätzliche Schließzeiten der Norderstedter Kindertagesstätten und damit um eine Art "Kürzung durch die Hintertür". An insgesamt 15 zusätzlichen Tagen sollen die städtischen KiTas nach Wunsch der CDU künftig schließen - zum Leidwesen der oft berufstätigen Eltern. Dagegen hatten mehrfach Betroffene in den Ausschusssitzungen protestiert und mit den KommunalpolitikerInnen die demokratische Auseinandersetzung gesucht - war das zu viel für Holger Hagemann und die CDU? Thomas Jäger sieht überdies ganz andere Gründe als ursächlich für die Verschiebung des Themas: So hätten die Christdemokraten ein vitales Interesse an der langfristigen Vertagung, um einen Beschlussantrag der SPD zur Verbesserung der KiTa-Betreuung mit zusätzlichen 800.000 Euro aus den Rücklagen der Stadt zu verhindern. Nach dem Willen der SPD sollte der Ausbau der Betreuung den Eltern schon ab dem kommenden KiTa-Jahr 2007/2008 zugute kommen.
Schon am 22. Februar war übrigens das Verhalten des Christdemokraten Alfred L. Wagner im Sozialausschuss peinlich aufgestoßen, als der einen zehnminütigen Vortrag von eigens zur Sitzung geladenen Mitgliedern des Hamburger Spendenparlaments rüde unterbrach und mit einem "Antrag zur Geschäftsordnung" vorzeitig beendete. Damit stieß der in Norderstedt auch als "Polit-Clown" bekannte Wagner (Rekordhalter in Parteiaus-, über- und -eintritten) auch eine Gruppe NorderstedterInnen vor den Kopf, die in der Sitzung um Unterstützung für die Einrichtung eines Spendenparlaments in der Stadt warben. Klaus Rädiker (GALiN) entschuldigte sich im Anschluss bei den Gästen des Ausschusses und fühlte sich beim Verhalten Wagners "an die Muppet-Show" erinnert. Ausgerechnet dem ältesten Ausschuss-Mitglieds seien offenbar die Grundregeln der Gastfreundschaft verloren gegangen. Vielleicht auch die Grundregeln der Demokratie?
Die geschilderten Fälle sind jedenfalls symptomatisch für die Norderstedter CDU. Seit Monaten befindet sich die Partei trotz der 2003 errungenen absoluten Mehrheit im Sinkflug: Zwar trat zunächst im Dezember 2006 überraschend die 66jährige Bürgerpartei-Chefin Ute Algier zur CDU über, dann aber verließen Anfang Februar mit Günther Döscher (65) und Christoph Prüfer (43) gleich zwei namhafte Christdemokraten die Fraktion und wechselten als Parteilose zur FDP. Begründung: Kaum Mitspracherecht in der eigenen Partei, die meisten Entscheidungen seien nur noch durchgewunken worden. Da Ende 2005 bereits der umstrittenen Unternehmer Jens Kahlsdorf die Partei mit ähnlichen Vorwürfen verlassen hatte, steht die CDU nun ohne absolute Mehrheit da, muss sich für ihre Entscheidungen wechselnde Mehrheiten suchen. Doch eine Änderung des undemokratischen Verhaltens ist nicht in Sicht: Schon im Verlauf der nächsten Sitzung des Hauptausschusses Ende März soll quasi im Galopp-Verfahren der erste Schritt zur Privatisierung der städtischen Kulturorganisation erfolgen. Möglichkeiten der Einflussnahme wurden den Oppositionsparteien kaum gewährt.
Damit scheint es der Norderstedter CDU nicht gelungen zu sein, die bei den Kommunalwahlen errungene Machtstellung verantwortungsvoll zu gestalten. Nicht nur die politischen Gegner und zahlreiche Betroffene von Entscheidungen der CDU bemängeln die neue Arroganz der Christdemokraten, der allzu selbstherrliche Führungsstil des Parteivorstands um den Fraktionsvorsitzenden Rainer Schlichtkrull hat auch innerhalb der CDU zum Erdbeben geführt, das noch keinesfalls ausgestanden ist.

Nicht nur Klaus Rädiker fühlt sich an die Muppet-Show erinnert: Alfred L. Wagner (links) und Holger Hagemann im politischen Gespräch.

Veröffentlicht in Kindergärten & Kinderbetreuung mit den Schlagworten CDU, FDP, GALiN, Norderstedt, SPD, Wahlen