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Mittwoch, 26. Januar 2005, 1:00 Uhr

Die Verwandlung

Norderstedts Metamorphose zur "großen kreisangehörigen Stadt"

Infoarchiv | Auch wenn keiner einen Plan davon zu haben scheint, welche Neuerungen der Titelwechsel für die fünftgrößte Stadt des Landes mit sich bringt, eine Veränderung zumindest lässt sich benennen: Bürgermeister Grote darf sich fortan Oberbürgermeister nennen. Bereits zum Festakt wurden ihm die neuen Visitenkarten überreicht.
Und natürlich hat der frischgebackene Oberbürgermeister auch schon eine Erklärung bereit, warum die Metamorphose zur "großen kreisangehörigen Stadt" eine prima Sache ist: "Wir haben immer die Schwierigkeit gehabt, dass die Menschen für viele Angelegenheiten selbst heute noch bei der großen Stadt Norderstedt nach Segeberg fahren müssen. Eine Dreiviertelstunde hin, eine Dreiviertelstunde zurück, um formale Verwaltungsdinge zu erledigen. Zum einen gibt es mit der EDV heute Möglichkeiten, das Ganze zu beschleunigen. Das findet auch statt", lässt sich das Stadtoberhaupt vom NDR zitieren. "Aber es ist einfach bürgernäher und viel schneller zu realisieren, wenn wir hier vor Ort entscheiden."
Der Norderstedter SPD-Fraktionsvorsitzende Johannes Paustenbach stellt allerdings in einer Pressemitteilung fest: "Bisher lässt sich an keiner Stelle für die Bürger Norderstedts ein Vorteil erkennen" . Auch heute schon müsse ein Norderstedter Bürger nur dann nach Bad Segeberg fahren, wenn er zum Beispiel einen Jagdschein beantragen oder die Ausländerbehörde besuchen müsse. Andere Einrichtungen des Kreises seien schon jetzt in der 70 000-Einwohner-Stadt vorhanden wie das Jugendamt, die Kfz-Zulassungsstelle, das Kreisgesundheitsamt und die Kreisberufsschule.
Fakt ist, dass die meisten NorderstedterInnen kaum je die Erfahrung machen, aus behördlichen Gründen in die Kreishauptstadt fahren zu müssen. Ganz anders allerdings stellt sich die Situation für MigrantInnen und Flüchtlinge dar. Diese müssen, je nach Aufenthaltsstatus bis zu einmal pro Woche den Weg nach Segeberg auf sich nehmen. Wie der funkelnagelneue Oberbürgermeister zu verlauten wusste "...eine Dreiviertelstunde hin, eine Dreiviertelstunde zurück." Für einen einzigen Stempel. Jede Woche. Dazu die Fahrtkosten des Autokraftbusses, die sich läppern (Einzelfahrschein 4,95 Euro).
Wenn seine Majestät der Oberbürgermeister von mehr Service für die mehr als 70.000 Einwohner von Norderstedt spricht, die er durch den neuen Titel für die Stadt erreichen will, sind allerdings genau die Menschen ausgenommen, denen eine wohnortsnahe Behördenstruktur tatsächlich Entlastung versprechen würde.
Die Ausländerbehörde des Kreises bleibt natürlich wo sie ist, und von den ehemals vier Sozialarbeiterstellen, die im Kreis für die behördliche Beratung von MigrantInnen einst vorgesehen waren, ist nur noch eine einzige Stelle übrig geblieben. Mit sporadischen Sprechzeiten in Norderstedt. Serviceleistung ? Bürgernähe ?
Aber mal im Ernst: Warum der ganze Aufwand ? Wem nützt das Arrangement ? Hält man eine kleine kommunalpolitische Rückschau, und führt sich den Entscheidungsweg zum Titelwechsel zu Gemüte, erlebt man ein Dejavu. Ebenso, wie in der Absegnung der Landesgartenschau, wurde im Schnelldurchlauf und ohne die Benennung von Grundlagen und verständlichen Argumenten eine Entscheidung getroffen, die nur durch die CDU- Mehrheit in den Gremien möglich wurde.
In der Rede zum Antrag der Verwaltung zur "Großen kreisangehörigen Stadt" stellte Ulrich Böttcher von der Galin klar, dass bis heute keine Informationen darüber vorliegen.. "wo, und wenn ja, welche finanziellen Einsparungen durch die Verlagerung von Aufgaben vom Kreis auf die Stadt zu erwarten sind ? Welche qualitativen Verbesserungen für unsere Bürger und/ oder für die MitarbeiterInnen der betroffenen Ämter zu erzielen sind ? Wo bleiben die Nutzenpotentiale aus den beiden ersten Punkten ? Landen sie beim "Bürger" oder, wie schon so viele Millionen Arbeitsstunden und Euro vorher in Bauprojekten und dem Investitionshaushalt?" Fragen, die nach wie vor unbeantwortet bleiben.
Wer auf Kosteneinsparungen spekuliert, sucht ebenfalls vergeblich. Es ist nicht verwunderlich, dass der hochverschuldete Kreis keine Anstalten macht, Norderstedt einen Teil der Kreiszulage von über 19 Millionen Euro zu erlassen.
"Anscheinend geht es bei dieser Diskussion mehr um Machtinteressen als um eine bürgerfreundliche Verwaltung", resümiert Annette Reinders, Fraktionsvorsitzende der Norderstedter Galin.
Wenn alles "gut" geht auf der StadtvertreterInnensitzung am 25. Januar, darf Grote wenigstens höchstoffiziell seinen Titel des Oberbürgermeisters verwenden und seine neuen Visitenkarten in Umlauf bringen. Ist doch schon mal was.

Veröffentlicht in Kommunalpolitik mit den Schlagworten CDU, GALiN, Landesgartenschau, Norderstedt, Schule, SPD