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Freitag, 11. Februar 2011, 6:19 Uhr
Arne Wulff und sein eigenartiges Geschichtsverständnis
Wirbel um Leiter der Staatskanzlei
Von links nach rechts: Der Präsident des Volksgerichtshofes Roland Freisler, Staatssekretär Franz Schlegelberger, Reichsjustizminister Otto Georg Thierack und der neue Staatssekretär im Reichsjustizministerium Curt Rothenberger (Foto: Bundesarchiv)
Von Olaf Harning | Eine zwanzig Jahre alte Dissertation von Arne Wulff (CDU), seines Zeichens Chef der Kieler Staatskanzlei, sorgt derzeit für peinlich berührtes Schweigen in Ministerien und bei der Landesregierung. In seiner Schrift über Franz Schlegelberger, unter dessen Führung das Reichsjustizministerium 1941/42 unter anderem die Zahl der Todesurteile deutlich erhöht- und der "Vernichtung lebensunwerten Lebens" einen juristischen Rahmen gegeben hatte, stellte sich Wulff 1991 offenbar recht deutlich an die Seite des 1947 in Nürnberg zu lebenslanger Haft verurteilten Kriegsverbrechers.Wieder ans Tageslicht gelangt war die fast schon vergessene Doktorarbeit durch einen Vortrag des Historikers und Juristen Dr. Klaus Bästlein, der im Oktober vergangenen Jahres eine Ausstellung über die Justiz im Nationalsozialismus in den Räumen des Schleswiger Oberlandesgerichts eröffnete. In seiner Rede, die jetzt auch in den Schleswig-Holsteinischen Anzeigen veröffentlicht wurde, empörte Bästlein sich über die Doktorarbeit über Schlegelberger, es mache ihn "fassungslos", dass der Autor heute dennoch eine Staatskanzlei leiten dürfe. Was die NS-Vergangenheit angeht, so Bästlein weiter, bleibe Schleswig-Holstein "offenbar ein Sündenfall".
Damit spielt der Historiker auf die im wesentlichen nicht erfolgte Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein an, die unter anderem zur Folge hatte, dass in der ersten Landesregierung 1950 nur Innenminister Paul Pagel, Mitbegründer der CDU in Bad Segeberg, vor 1945 keine leitende Funktion im NS-Staat hatte. Nicht nur die SPD-Zeitung "Neuer Vorwärts" sprach deshalb von einer "Koalition aus SA, SS und NSDAP". Neben seiner Kritik an der Personalie Wulff kritisiert Bästlein auch den Umstand, dass Schleswig-Holstein heute - als einziges Bundesland (!) keine Mittel aus dem Etat für die Einrichtung für Gedenkstätten zum Nationalsozialismus abruft. Da hier jährlich 35 Millionen Euro zur Verfügung stehen, habe er dafür nur die Erklärung, dass in Schleswig-Holstein "eine kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus offiziell nicht gewünscht wird."
Franz Schlegelberger war bereits seit 1931 Staatssekretär im Reichsjustizministerium, war früh Mitglied in der nationalsozialistischen Akademie für Deutsches Recht und trat 1938 auch in die NSDAP ein. Nach dem Tod seines Vorgängers wurde er kommissarischer Reichsminister der Justiz und war in dieser Funktion für zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich. So arbeitete er zusammen mit Roland Freisler die Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den angegliederten Ostgebieten aus, die unter anderem die Todesstrafe für "deutschfeindliche Gesinnung" vorsah. Außerdem war er mitverantwortlich für die Euthanasie-Morde und schlug persönlich die Sterilisation von "Halbjuden" vor. Im Nürnberger Juristenprozess wurde Schlegelberger 1947 schließlich zu lebenslanger Haft verurteilt - wie im Nachkriegsdeutschland üblich jedoch bereits 1951 wegen "Haftunfähigkeit" wieder entlassen. Anschließend bezog er eine Pension in etwa fünffacher Höhe des damaligen Durchschnittsverdienstes, sein Sohn Hartwig Schlegelberger war später Finanzminister und Innenminister des Landes Schleswig-Holstein. Franz Schlegelberger starb 1970 als wohlhabener und geachteter Mann.