+ + + ARCHIVIERTER INHALT + + +

Diese Seite kommt aus unserem Archiv und enthält möglicherweise Informationen, die nicht mehr aktuell sind. Bitte beachten Sie das Veröffentlichungsdatum dieser Seite.

Mittwoch, 18. April 2007, 2:00 Uhr

"Sie wurden entfernt"

Gerhard Hoch an Günther Oettinger

Info Archiv Norderstedt | "Sehr geehrter Herr Oettinger,

Mit Bestürzung und Enttäuschung musste auch ich hinnehmen, was Sie zum Verhalten Ihres Amtsvorgängers Herrn Filbinger gegen Kriegsende und noch nach dem Waffenstillstand erklärt haben. Dem steht wahrhaft radikal entgegen, was Sie in Berlin mit Ihrer Laudatio zur Verleihung des Bürgerpreises an mich öffentlich bekundet haben. Sie erinnern sich: Bei meinem "Lebenswerk" wurde die durch mich begründete KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen besonders gewürdigt. Mich selber uns viele andere haben Ihre Worte damals sehr beeindruckt.

Und nun dies!

Im Dokumentenhaus unserer Gedenkstätte hängen Pressefotos, die Sie und mich in Berlin darstellen. Werden Sie verstehen, dass diese Fotos an einer Stätte, in der viele hundert Häftlinge von gehorsamen und konformen "Nazis", wie Filbinger einer war, um ihr Leben gebracht wurden, dass sie hier jetzt als anstößig und nicht hinnehmbar erscheinen müssen. Sie wurden entfernt.
Mir und anderen tut das leid.

Mit freundlichen Grüßen,

Gerhard Hoch"

Seit dem 11. April ist der sonst eher unauffällige Ministerpräsident Baden-Würtembergs - Günther Oettinger (CDU) - in aller Munde. In einer Laudatio zu Ehren seines verstorbenen Vorgängers Hans Filbinger hatte er unter anderem behauptet, Filbinger sei "kein Nationalsozialist" gewesen, sondern vielmehr "Gegner des NS-Regimes".
Tatsächlich war Filbinger schon seit 1933 Mitglied im Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund, zwischen 1935 und 1937 Angehöriger des SA-Studentensturmes, und seit 1937 Mitglied der NSDAP. U.a. als Marinerichter war er in den letzten Kriegstagen und sogar nach dem Waffenstillstand an vier Todesurteilen gegen deutsche Soldaten beteiligt.
In einem Aufsatz bewies Filbinger schon 1935 die Verinnerlichung des nationalsozialistischen Sprachduktus: Erst der "Nationalsozialismus schuf die geistigen Voraussetzungen für einen wirksamen Neubau des deutschen Rechts." Die Volksgemeinschaft sei Blutsgemeinschaft und müsse "rein erhalten und die rassisch wertvollen Bestandteile des deutschen Volkes planvoll vorwärts entwickelt werden." Nach dem Krieg hat Filbinger nie Reue gezeigt oder sich gar für seine Verstrickung in das Regime entschuldigt. Noch 1978, als er über erste Veröffentlichungen zu seiner NS-Vergangenheit stolperte, raunte er Journalisten zu: "Was damals Recht war, kann heute kein Unrecht sein."

Verleihung des Bürgerpreises durch Günter Oettinger (rechts) an Gerhard Hoch (Mitte) im Dezember 2006

Veröffentlicht in Geschichte mit den Schlagworten CDU