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Montag, 27. Juni 2005, 2:00 Uhr

Is there anybody out there...?

Auf der Suche nach Frauenpolitik in Norderstedt

Infoarchivarin | Die (unsichtbare) Hälfte der Stadt ..?.

Mal ehrlich: Norderstedt mag die fünftgrößte Stadt des Landes sein, aber in Sachen Frauenpolitik gibt sie sich eher provinziell. Feministische Organisierung? Selbsthilfegruppen von Sozialhilfeempfängerinnen? Lesbische Zusammenhänge? Solche frauenpolitischen Foren sucht mensch in Norderstedt vergebens. In der fast 75.000 EinwohnerInnen-Stadt scheinen Frauenkämpfe kein Thema zu sein. Anfang des Jahres ging die Gleichstellungsbeauftragte in Rente. Bis heute kann keine(r) Auskunft geben, wer als Nachfolge vorgesehen ist. Mehr noch: Es scheint überhaupt noch niemandem aufgefallen zu sein, dass der Job der ehemals Frauenbeauftragten nicht mehr besetzt ist. Institutionen, wie etwa das Norderstedter Frauennetz werden zu der Entscheidung der Neubesetzung gar nicht erst zu Rate gezogen.
Norderstedt, so scheint es, ist die Stadt der Reihenhausmütter mit 1,5 Kindern und Hund. Einmal in der Woche geht's zum Nordic Walking in den Rantzauer Forst. Alles Quatsch natürlich: Norderstedt ist ebenso die Stadt der alleinerziehenden Frauen, die Stadt der arbeitslosen Frauen, ist die Stadt der lesbischen Frauen, der Frauen mit Behinderung, älterer Frauen, und die Stadt der Frauen mit Gewalterfahrungen. Nach einer Statistik von 2003 hat jede vierte Frau im Alter von 16-85 Jahren körperliche oder sexuelle Übergriffe durch einen Beziehungspartner erlebt. Das wären in Norderstedt ca. 7.500 Frauen.

Der Kampf ums Frauenhaus: Ein Blick zurück...

50 Frauen, die in der Stadtvertretersitzung lautstark für den Erhalt des Frauenhauses demonstrieren? Eine Initiative für arbeitslose Frauen? Selbstorganisierte Kinderbetreuung für alleinerziehende Mütter? Frauenpolitische Diskussionsforen zu aktuellen Themen? Ein Frauenstammtisch? Eine Sozialhilfeempfängerinnen-Gruppe? All das hat es in den letzten 25 Jahren in Norderstedt gegeben. Ohne autonome Frauenorganisierung wäre weder das Frauenhaus entstanden, noch die Frauenberatungsstelle- und Notruf e.V., noch das Mütterzentrum.
Vor zwanzig Jahren verlangte die CDU Zutritt zu den Räumen des Frauenhauses und der damalige Stadtrat - erzkonservativer Abtreibungsgegner und Freikirchler - Dr. Heinz Bischhoff (CDU) zeterte öffentlich, das Frauenhaus schüre den Hass auf die Männer und bedrohe die Ehe.
Nach der Institutionalisierung des Frauenhauses durch eine klerisch und somit mehrheitlich männlichen Führung unter der Trägerschaft des Diakonischen Werkes gab sich die Norderstedter CDU handzahm. Die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses in Norderstedt müssen zwar nach wie vor resolut und engagiert um Zuschüsse und Belegungsplätze kämpfen, die Notwendigkeit der Existenz des Hauses ist aber inzwischen unumstritten.

Norderstedter Frauenräume- Der Anspruch der frühen Jahre: "sich an gesellschaftlichen Prozessen aktiv beteiligen ..."

Auch die am Kielortring ansässige Frauenberatungsstelle und Notruf e.V. entstanden durch vielfältige Aktionen und Angebote von Frauen für Frauen - verkündete einstmals selbstbewusst: "Wir sind Frauen, die der Meinung sind, dass es gerade für Frauen wichtig ist, sich an gesellschaftlichen Prozessen aktiv zu beteiligen."
Aber auch die Frauenräume durchliefen den Prozess der Professionalisierung. Seit Anfang der Neunziger Jahre wird die Institution durch Kreis, Land und Bund drittelfinanziert. Das hat den Vorteil, dass ausgebildete Therapeutinnen hauptamtlich die Beratung übernehmen können. Das hat aber auch zur Folge, dass nur noch angeboten werden kann, was auch Geldgeber findet. Und das ist im Schwerpunkt Einzelberatung zu den Themen häusliche Gewalt, Essstörungen und Trennung. Obwohl viele der aufsuchenden Frauen gerade durch die neue Sozialhilfebestimmungen betroffen und verunsichert sind und sich mit diesbezüglichen existenziellen Sorgen herumschlagen, gibt es längst keine Sozialhilfeempfängerinnen- oder Arbeitslosengruppe mehr. Und obwohl jede Statistik belegt, dass gerade Mädchen und junge Frauen häufig in Elternhaus und Schule Gewalterfahrungen machen, haben die ehemals Mädchen- und Frauenräume inzwischen die "Mädchen" aus ihrem Titel gestrichen. Nicht, weil sie nicht auch Mädchen beraten würden, und nicht weil etwa der Bedarf fehlen würde. Nein, ganz einfach deswegen, weil es für die Beratung von Mädchen keine Förderung gibt. Sicher, irgendwo in der Stadt bietet der Kinderschutzbund zu bestimmten Zeiten Beratung für Kinder an, die Gewalt erleben, aber einen Schutzräume für Mädchen gibt es in Norderstedt kaum.

Es ist in Norderstedt wie überall: Wenn überhaupt Gelder für die Belange von Frauen locker gemacht werden, dann höchstens, wenn es um die Frau als Opfer geht. Ein allgemeiner Trend. Die Förderungen von Frauen beim Wiedereinstieg in den Beruf werden überall gekürzt. Bildungseinrichtungen für Frauen stehen vor dem Aus. Arbeitslosigkeit, schlechte Arbeitsbedingungen und Armut treffen Frauen nach wie vor deutlich häufiger als Männer. Hartz IV sorgt zudem bundesweit dafür, dass Frauen zunehmend in die finanzielle Abhängigkeit zum Partner gedrängt werden. Nur logisch, wenn auch zynisch, dass unter diesen Rahmenbedingungen wenigstens die letzten Schutzräume gegen häusliche Gewalt finanziert werden müssen.
Frauenarbeit gerät überall in Gefahr, auf die notwendigen Basics der Gewaltprävention reduziert zu werden. Frauen kommen in die Anlaufstellen, um in Krisensituationen Beratung zu erhalten. Sie kommen nicht, um sich zu organisieren, um gemeinsam Widerstand zu leisten, das ist einfach nicht mehr vorgesehen.

Blick nach vorn im Zorn

Und wie hieß es noch im Selbstverständnis der frühen Jahre: "Wir sind Frauen, die der Meinung sind, dass es gerade für Frauen wichtig ist, sich an gesellschaftlichen Prozessen aktiv zu beteiligen." Ja, damals. Wir schreiben das Jahr 2005. Natürlich wird es im November zum internationalen Tag gegen Männergewalt im Spektrumkino einen Film zum Thema geben. Ein bisschen Prävention wird natürlich schon auch finanziert. Und es ist anzunehmen, schon um der lieben Tradition willen, dass es zum kommenden 8. März auch wieder eine Kabarettveranstaltung gibt, im Festsaal oder so, nicht für Norderstedt, sondern für den ganzen Kreis, das ist kostengünstiger. Und ganz vielleicht gibt es dann auch wieder eine Gleichstellungsbeauftragte, falls jemand dran denkt....

Veröffentlicht in Frauen/Feminismus mit den Schlagworten CDU, Norderstedt, Schule