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Freitag, 30. Januar 2004, 1:00 Uhr
"Tabuzone für Demokratie ?"
DemonstrantInnen, SPD und GALiN protestieren gegen Beschneidung von Grundrechten in Norderstedt
Info Archiv Norderstedt | Es war der 16. Dezember, als sich das Bündnis "Für eine soziale Stadt" aus KiTa-Eltern, NutzerInnen von Jugendfreizeitheimen, sowie diversen linken oder sozialen Organisationen auf dem Rathausmarkt versammelte. Rund 150 Menschen protestierten an diesem Tag erstmals auf der Straße gegen den sozialen Kahlschlag, den Bürgermeister Hans-Joachim Grote und die örtliche CDU einige Monate zuvor begonnen hatten.
Die Kundgebung war genehmigt worden und verlief - selbst nach Meinung von Polizeieinsatzleiter Schirdewahn - sehr "erfreulich". Nach fast zwei Stunden Live-Musik und Redebeiträgen löste sich die Versammlung damals auf . . . und hat womöglich trotzdem ein juristisches Nachspiel: Eine der beiden AnmelderInnen erhielt nämlich rund zwei Wochen später eine Rechnung für das Spektakel: 120 Euro für die zweistündige "Nutzung" des Rathausmarktes soll sie nun berappen.
"Eine Frechheit" sondergleichen und vor allem eine "Beschneidung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit", lautete die zweite Reaktion der InitiatorInnen, gleich nachdem man sich telefonisch der Ernsthaftigkeit der Rechnung versichert hatte. Doch so absurd der Vorgang ist: Sowohl Sachbearbeiter K. aus dem "FORUM", als auch Sozialdezernent Harald Freter und Bürgermeister Hans-Joachim Grote scheinen es durchaus ernst zu meinen mit der Rechnung.
Laut offizieller Verlautbarung basiert der Vorgang auf der "Sondernutzungssatzung" in der Fassung des Jahres 2002, in der u.a. die Nutzung des Rathausplatzes 60 Euro pro Stunde kosten soll. Allerdings wurde in dieser Satzung schlicht die Möglichkeit übersehen, dass der zentralste aller Norderstedter Plätze tatsächlich auch anders als kommerziell genutzt werden könnte.
Das hinderte die Stadtverwaltung zwar nicht daran - so vermutet die Norderstedter SPD mittlerweile lautstark - im Falle anderer politischer Aktionen auf die "Miete" zu verzichten, die Sondernutzungssatzung soll aber nun für die Proteste gegen Sozialkürzungen um so mehr gelten.
Die Reaktion der Betroffenen schwankt zwischen heiloser Belustigung und Empörung. So machte sich der Anmelder der jüngsten Kundgebung vom 27. Januar - Olaf Harning - zwar einerseits ironisch über die Stadtverwaltung und die auch ihm angedrohte Rechnung her, betonte aber auch unter dem lautstarken Beifall der diesmal 180 DemonstrantInnen: "Wir fordern den Bürgermeister auf, umgehend dafür zu sorgen, dass in Norderstedt - wie in allen anderen Städten in Deutschland auch, das Versammlungsrecht respektiert- und nicht mit Gebühren belegt wird."
Dabei wies Harning auch auf eine Absurdität am Rande hin: Während die Stadtverwaltung bestreitet, dass es sich beim Rathausplatz um "öffentlichen Raum" handelt, unterstützt die Stadt nach wie vor eine Kunstaktion, in deren Rahmen ein Straßenschild quer über den Platz auf den Eingang des Rathauses zeigt. Darunter ist - neben einigen Portraitfotos städtischer Angestellter - ein Schild mit der Aufschrift angebracht: "Kunst im öffentlichen Raum".
Dass die Erhebung eines Mietzinses für den Platz gegen geltendes Recht verstößt, vermuten indes nicht nur Angehörige des Bündnisses "Für eine soziale Stadt", sondern auch die SPD Norderstedt und die Grün Alternative Liste (GALiN) und dokumentierten das während der jüngsten Kundgebung mit einem Eilantrag in der Stadtvertretung. Demnach sollte umgehend darüber beraten werden, die Rechnung fallenzulassen und die Sondernutzungssatzung bezüglich politischer Kundgebungen zu ändern. Doch sowohl CDU, als auch FDP lehnten den Antrag ab, jetzt wird automatisch in der nächsten Stadtvertretersitzung beraten.
Johannes Paustenbach, Fraktionsvorsitzender der SPD, kritisiert die Haltung der Union jetzt in einer Presseerklärung scharf: "Es scheint, dass in dieser Sache der Unwille System hat. Der Rathausplatz soll somit wohl auch künftig eine Tabuzone für demokratische Grundrechte sein. Wer ist schon bereit, auf Dauer für eine Demonstration quasi Eintrittsgeld zu bezahlen ? So entledigt man sich auf dem Verwaltungswege seiner Kritiker". "Wir werden uns sehr genau ansehen", so Paustenbach weiter, "ob die jüngsten Demonstrationen nur deshalb mit Kostenbescheiden bedacht wurden, weil sie offenkundig nicht nach dem Gusto der schwarzen Rathausmehrheit waren."
Derweil hat Harning bis zum Freitag keine Rechnung des "FORUM" erhalten. Sowohl der Anmelder, als auch das Bündnis "Für eine soziale Stadt" haben aber bereits jetzt für diesen Fall juristische Schritte angekündigt. Die Anmelderin vom 16. Dezember: "Wir zahlen der Stadt keinen Cent für den Rathausmarkt".