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Freitag, 24. Februar 2012, 18:30 Uhr

Schrei nach Mindestlohn

Die Jobcenter-Geschäftsführung im Hauptausschuss des Kreises Segeberg

Tabelle der Miethöchstgrenzen im Kreis Segeberg

Die Miethöchstgrenzen im Kreis Segeberg seit September 2011

Hans-Georg Becker und Olaf Harning | Im Kreis Segeberg wird weiter über die Arbeit des Jobcenters diskutiert. Weil nach einer teils erklärungsbedürftigen Absenkung der Miethöchstgrenzen durch den Kreis viele Hartz-IV-EmpfängerInnen dazu gedrängt werden, den nun plötzlich „überhöhten“ Mietanteil selber zu tragen, beschäftigten sich nacheinander der Sozial- und Hauptausschuss des Kreises mit dem Thema. Am Rande überraschte Jobcenter-Geschäftsführer Michael Knapp dabei mit offenherzigen Aussagen: „Sie sehen“, rief er den Ausschussmitgliedern nach einem Vortrag zu, „die Lage schreit geradezu nach einem Mindestlohn“.

Im Hauptausschuss stellte Knapp am letzten Donnerstag zunächst Organisation und Aufgabenbereiche des Jobcenters vor, das eine gemeinsame Einrichtung des Kreises Segeberg und der Bundesagentur für Arbeit ist. Bei der Vorstellung der Zahlen der Leistungsbezieher ging er besonders auf die Situation bei den sogenannten „Aufstockern“ ein. Das sind erwerbstätige Personen, deren Verdienst so gering ausfällt, dass sie zusätzlich Leistungen vom Jobcenter in Anspruch nehmen müssen. Erste Überraschung: Von den insgesamt 10.110 erwerbsfähigen Leistungsbeziehern im Kreis Segeberg gehören alleine 3.227 Menschen zu dieser Personengruppe. Von ihnen wiederum verdienen 1.453 Personen bis zu 400 Euro im Monat, 822 zwischen 400 und 800 Euro und 952 Personen über 800 Euro. Die Letztgenannten befinden sich demnach in einer Vollbeschäftigung, von deren Entlohnung sie nicht leben können. Das empörte selbst den Geschäftsführer des Jobcenters, zumal dieser Personenkreis naturgemäß einen hohen Verwaltungsaufwand erzeugt – durch monatliche Vorlage der Verdienstbescheinigung, aufwendige Nachberechnungen und gegebenenfalls Rückforderungen.

Foto von Heinz-Michael Kittler

Heinz-Michael Kittler

Vor diesem Hintergrund schloss er seinen Vortrag mit der durchaus überraschenden Forderung nach einem einheitlichen Mindestlohn, was insbesondere Heinz-Michael Kittler, Fraktionsvorsitzender der Partei DIE LINKE im Kreis, sichtbar Vergnügen bereitete: Er nutzte die Gunst der Stunde und forderte neben dem Mindestlohn auch die Einhaltung der Tariftreue bei Personalentscheidungen und Auftragsvergaben des Kreises. Das Problem der abgesenkten Mietobergrenzen und entsprechender Umzugsaufforderungen des Jobcenters (wir berichteten) war bereits Anfang Februar im Kreissozialausschuss thematisiert worden und erregte dort VertreterInnen aller Parteien. Nachdem sich auch CDU-Politiker Joachim Miermeister inhaltlich hinter einen Antrag der LINKEN gestellt hatte, der Kürzungen und Umzugsaufforderungen bei nachträglichen Veränderungen der Mietgrenzen künftig ausschließen wollte, verhinderte nur noch ein Einwurf der Ausschussvorsitzenden Jutta Altenhöner (SPD) die sofortige Beschlussfassung: Zwar gehe der Antragstext der LINKENin die richtige Richtung“, sei aber so nicht rechtskonform. Aufgrund der Brisanz des Sachverhalts wurde am Ende eine Sondersitzung im Mai einberufen, auf der eingehend über die Erhebung der neuen Werte und deren Folgen diskutiert werden soll.

Foto von Joachim Miermeister

Joachim Miermeister

Die umstrittenen Änderungen der Miethöchstgrenzen im September 2011 gehen auf Daten zurück, die das der Wohnungswirtschart nahestehende Consultingunternehmen Analyse & Konzepte im Auftrag des Kreises Segeberg erhoben hatte. Nach Abfrage zahlreicher Vermieter ermittelten die Berater für die Stadt Norderstedt mit minus 6 bis minus 13 Prozent deutlich niedrigere Miethöchstgrenzen als bisher, während die Obergrenzen in anderen Kommunen teilweise angehoben wurden. Besonders erklärungsbedürftig: Während die Mieten in aller Regel sinken, je weiter man sich aus dem Hamburger Ballungsgebiet herausbewegt, ermittelte Analyse & Konzepte für Henstedt-Ulzburg und Ellerau zum Teil deutlich höhere Obergrenzen, als für das verstädterte Norderstedt. So darf eine fünfköpfige Bedarfsgemeinschaft in den beiden Kommunen 778,05 Euro monatlich (ohne Heizkosten) ausgeben, im eigentlich teureren Norderstedt aber nur 645,05 Euro – satte 130 Euro weniger.

Flagge und Symbol der Firma Plambeck

Dafür konnte dem Infoarchiv auch Volker Heins keine Erklärung liefern, der zusammen mit Axel Trennt für das Wohnungsunternehmen Plambeck in Norderstedt gut 3.000 Wohnungen verwaltet. Durch die neuen Miethöchstgrenzen, nach denen nun sogar viele Sozialwohnungen der Stadt „zu teuer“ geworden sind, befürchtet er eine Verdrängung in Richtung Umland: „Der Druck auf den Wohnungsmarkt wird nicht geringer, die Mieter sind gezwungen, sich in der Peripherie günstigere Wohnungen zu suchen.“ Weil dadurch an anderer Stelle neue Kosten produziert werden, müsse man sich schon fragen, „ob das zielführend ist.“ Für das Infoarchiv hat Heins einmal am Beispiel von Ein-Personen-Haushalten ermittelt, wie viele Plambeck-Wohnungen im Rahmen der Höchstgrenzen denn überhaupt pro Jahr frei werden – mit bedrückendem Ergebnis: Gerade einmal 12 Wohnungen waren es 2011, also genau eine Wohnung pro Monat – und das bei einem der größten Vermieter der Stadt und wohl demjenigen mit den meisten Sozialwohnungen. Die Aufforderung des Jobcenters an Betroffene, monatlich acht Bemühungen um eine günstigere Wohnung zu dokumentieren, wirkt vor diesem Hintergrund fast schon grotesk.

Immerhin sind die umstrittenen Schreiben an LeistungsbezieherInnen, die oberhalb der neuen Miethöchstgrenzen liegen, als juristisch unverbindlich anzusehen. Vor Ablauf eines Jahres, das ist die den Betroffenen gesetzte Frist, wird das Jobcenter von sich aus keinen weiteren Druck in Richtung Mietsenkung oder Umzug aufbauen. Und bis dahin gibt es dann sowohl neue Weisungen des Landes in Sachen Mietpreisermittlung, als auch ein Ergebnis der Beratungen im Sozialausschuss. Abwarten scheint für Betroffene also eine gute Empfehlung zu sein, darüber hinaus sollten sie sich nach Möglichkeit an eine Sozialberatungsstelle, ihre Gewerkschaft oder einen Mieterverein wenden.