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Montag, 12. September 2005, 2:00 Uhr
Rot-Grün ist der Umzug
"Leistungszentrum Bad Segeberg" drängt ALG II-EmpfängerInnen aus ihren Wohnungen
Von Olaf Harning | "Umzüge in kleinere oder billigere Wohnungen wird es (...) - wenn überhaupt - nur in Einzelfällen geben. Darüber entscheiden die Kommunen vor Ort", wusste noch kürzlich beschwichtigend die Bundesregierung zu berichten. Die Kommune Segeberg hat nun entschieden: Dieser Tage wurde nach einem Bericht der Segeberger Zeitung bekannt, in welch prekärer Situation sich derzeit hunderte Menschen im Kreis Segeberg befinden. Anhand der persönlichen Situation des 41jährigen Stefan Meeves aus Trappenkamp rollte das Blatt am 6. September das Vorgehen des sogenannten Leistungszentrums Bad Segeberg auf, einer auf die Hartz-Gesetze zurückgehenden Arbeitsgemeinschaft aus Agentur für Arbeit und Sozialamt zur Verwaltung und Durchsetzung des sogenannten "Arbeitslosengeldes II (ALG II)".
Demnach verschickte das an den Standorten Bad Segeberg, Kaltenkirchen und Norderstedt präsente Amt zuletzt hunderte Briefe an Betroffene, deren Wohnungen nach den Vorschriften der Hartz-Gesetze angeblich "zu groß" seien und forderte sie auf, sich jeweils kleinere, bzw. günstigere Wohnungen zu suchen. Einmal ganz von der individuellen Dramatik der Maßnahme insgesamt abgesehen, ist auch die Höhe der den Betroffenen zugestandenen Kaltmiete eher zur Belustigung angetan: 262 Euro seien im Bereich Trappenkamp "angemessen", so die Geschäftsführerin des Leistungszentrums Segeberg - Doris Baum - in Norderstedt hingegen 366 Euro. Alleine: Wo bekommt man derart günstige Wohnungen? So reagieren auch Immobilienkenner teilweise mit Unverständnis auf derartige Vorstellungen. Zwar gebe es durchaus billigen Wohnraum, der sei aber rar und in der Regel langfristig vermietet. Laut Segeberger Zeitung bietet etwa die Wankendorfer Baugesellschaft in Trappenkamp rund 80 ihrer insgesamt 700 Wohnungen zu dem genannten Mietzins an, allerdings sei keine davon aktuell frei. Auch die Makler von Alsternord-Immobilien in Henstedt-Ulzburg und vom C. Prokopp & Co in Wahlstedt sehen zwar mittelfristig durchaus Möglichkeiten, entsprechenden Wohnraum zu finden, die Qualität - weiß man etwa in Henstedt-Ulzburg - werde allerdings "entsprechend" sein.
Das Leistungszentrum macht dennoch Druck: Wenn Stefan Meeves nicht jeden Monat die geforderte Anzahl an Bewerbungen auf günstige Wohnungen vorlegt, wird ihm die Mietzahlung der Behörde auf den errechneten Satz gekürzt, Obdachlosigkeit könnte die unmittelbare Folge sein. Schon länger ist das Leistungszentrum in den Schlagzeilen, die "Norderstedter Zeitung" titelte erst am 9. März: "Hartz IV: Im Kreis herrscht Chaos". Damals bemängelte man noch, dass viel zu wenig Personal die damals rund 7.000 ALG II-EmpfängerInen betreuen müsse. "Leider" war man deshalb nur in der Lage das "Fordern" - also den repressiven Charakter der Hartz-Gesetze - durchzuführen, das "Fördern" musste hingegen auf der Strecke bleiben. Eine Praxis, die sich auch in der Frage angemessenen Wohnraums wieder zeigt: Trotzdem ein Umzug, den in der Regel das Leistungszentrum zahlen müsste, sowie der Personalaufwand des Leistungszentrum für die entsprechende Vorarbeit wesentlich teurer wären, als die Duldung des Status Quo, werden die Menschen aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen. Ein Umstand, den nicht nur der Hamburger Verein Mieter helfen Mietern regelmäßig kritisiert. Hier gibt es angesichts der Situation mittlerweile eine "Hartz-IV-Sprechstunde" für die Mitglieder, die gut angenommen wird.
Auch Doris Baum sagt zur repressiven Praxis ihres Amtes deutlich: "Die Frage nach dem Sinn, kann man sich bei allen staatlichen Repressionen stellen", es sei aber nicht ihre Aufgabe, sich darüber Gedanken zu machen. Baum dementiert, auch nur in einem Fall die Obdachlosigkeit der Betroffenen zu riskieren. Zumindest würden all jene in ihren Wohnungen geduldet, die deutliche Bemühungen zeigten, eine günstigere Wohnung zu finden. "Darüber hinaus", so Baum gegenüber dem Info Archiv, "prüfen wir immer den Einzelfall. Wenn der Betroffene nachvollziehbare Probleme damit hat, seine Wohnung zu verlassen, tolerieren wir ihn in seiner Situation.".
Die Geschäftsführerin räumt ein, dass es anfänglich Probleme mit der Umsetzung von Hartz IV gegeben hat. Mittlerweile aber sei man personell anders ausgestattet: 130 von 140 Stellen sind an den drei Standorten des Amtes besetzt, "bei 7.800 Bedarfsgemeinschaften im Kreis ausreichend", befindet sie. Man habe die Kunden zunächst kennenlernen- und die eigenen Strukturen aufbauen müssen. "Jetzt können wir die Leute mit etwa einem Sachbearbeiter pro 60 Kunden vernünftig betreuen." Ob das für die ALG II-BezieherInnen eine positive Nachricht ist, sei angesichts der aktuellen Ereignisse deutlich in Frage gestellt.