+ + + ARCHIVIERTER INHALT + + +

Diese Seite kommt aus unserem Archiv und enthält möglicherweise Informationen, die nicht mehr aktuell sind. Bitte beachten Sie das Veröffentlichungsdatum dieser Seite.

Montag, 19. November 2012, 21:00 Uhr

Proteste gegen HaK-Räumung

Demonstration am 1. Dezember

Spontandemonstration auf dem Segeberger Markt, 1. November 2012 (Foto: HaK)

Spontandemonstration in der Segeberger Fußgängerzone, 1. November 2012 (Foto: HaK)

Infoarchiv Norderstedt | Das „Hotel am Kalkberg“ (HaK) ist Geschichte. Am 1. November ließ die Bad Segeberger Stadtverwaltung das alternative Jugendzentrum polizeilich räumen und umgehend abreißen. Am 1. Dezember wollen deshalb mehrere Hundert Menschen in der Kreisstadt auf die Straße gehen, um ein neues, selbstverwaltetes Haus zu fordern und gegen die Umstände der Räumung zu protestieren. Der Polizei werden mehrere Übergriffe vorgeworfen.

Eingezäuntes HaK, Dach mit Transparent

"Kein Abriss ohne neues Haus", Transparent am eingezäunten Hotel am Kalkberg (Foto: HaK)

So berichtet ein Demonstrant in einem Radiointerview, er sei am Rande einer spontanen Kundgebung vor dem Rathaus der Stadt von Beamten mehr oder weniger grundlos „zu Boden gebracht“ und dort liegend getreten und geschlagen worden. Auf die Frage, was man ihm denn vorwerfe, hätte es weitere Schläge und die Bemerkung gegeben: „dass Du atmest.“ Trotz dieser und weiterer Vorwürfe möchte Polizeipressesprecherin Sandra Rüder gegenüber dem Infoarchiv nicht zu den Vorgängen am 1. November Stellung nehmen. Obwohl Einsatzleiter Andreas Wilkerling sich zuvor verschiedentlich zu Einzelheiten des Einsatzes geäußert hatte, teilte Rüder nur mit, die Polizei gehe grundsätzlich nicht auf derartige Vorwürfe ein. Auch die Zahl erstatteter Anzeigen gab die Pressesprecherin selbst nach mehreren Rückfragen nur mit „ungefähr sieben“ an. Glaubt man anderen Medien, die mehr Erfolg in Sachen polizeilicher Auskunftsbereitschaft hatten, kam es am 1. November vor dem Segeberger Rathaus vor allem deshalb zum Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken, weil einer der Protestierenden dort eingesetzte Polizisten mehrfach fotografiert hatte. Beamte sollen ihm daraufhin in einem Handgemenge die Kamera entrissen und ihn zu Boden geschmissen haben, andere DemonstrantInnen eilten zur Hilfe. HaK-Aktivist Tim Sünram schildert die Ereignisse zwar geringfügig anders, bestätigt aber über den Tag verteilt vier Fest- bzw. Ingewahrsamnahmen. Einer der Betroffenen sei mitgenommen worden, weil er eine Tonbandaufnahme von Anweisungen der Polizeikräfte anfertigte. Aus all dem Aggressionen der DemonstrantInnen oder gar den Straftatbestand der „Gefangenenbefreiung“ zu machen, ist für Sünram eine Verdrehung der Tatsachen: Selbst Angehörige einer Mütterinitiative seien den allzu ruppig zu Werke gehenden Beamten in den Arm gefallen.

Begonnen hatten die Ereignisse am Räumungstag mit dem verfrühten Anrücken von Polizei und Abriss-Trupp. Obwohl die Übergabe der Schlüssel für das Gebäude am Kalkberg erst für den Nachmittag vereinbart war, rollte die Staatsmacht bereits gegen halb sieben vor das HaK und schirmte die Einzäunung des Hauses gegen aufkeimende Proteste ab. Weil sich eine kleinere Gruppe von Aktivisten weigerte, das Jugendzentrum zu verlassen und sich stattdessen im Dachgeschoss verschanzte, verschaffte sich die Polizei am Ende Zutritt durch die Dachhaut: Mit Sägen und grobem Werkzeug drangen die Beamten in den Raum ein und nahmen die Besetzer in Gewahrsam. Von diesem Einsatz zeichnen die HaK-Aktiven übrigens ein sehr differenziertes Bild: Als ein Beamter versucht habe, einen Jugendlichen an den Haaren aus dem Raum zu zerren, so ein Augenzeuge gegenüber dem Infoarchiv, sei ein weiterer Uniformierter eingeschritten und habe seinen Kollegen zur Mäßigung aufgerufen. Dennoch wurden alle Besetzer in Handschellen vom Grundstück geführt oder auch getragen. Im Verlauf des Tages kam es dann zu verschiedenen Protestaktionen, an denen sich bis zu 50 Personen beteiligten. Neben kurzen Spontandemonstrationen versammelten sich mehrere Dutzend Personen am Rathaus und hielten dort eine Kundgebung ab – zumindest bis die Polizei gegen die Gruppe vorging. Solidaritätsaktionen wurden mittlerweile auch aus Hamburg, Lübeck und Kiel gemeldet.

Mit Räumung und Abriss des umstrittenen Alternativ-Zentrums hat die Stadt Bad Segeberg und insbesondere ihr Bürgermeister Dieter Schönfeld (SPD) vorerst einen dicken Strich unter die „Akte HaK“ gemacht. Vorausgegangen war eine jahrelange Auseinandersetzung, die noch weit in die Amtszeit von Schönfeld-Vorgänger Hans-Joachim Hampel (CDU) hineinreicht. Dabei warf die Stadt den überwiegend sehr jungen BetreiberInnen immer wieder vor, sich nicht an Absprachen zu halten, nicht ausreichend gegen Sachbeschädigungen und Sprühereien durch Besucher zu unternehmen und keine tragfähigen (Finanzierungs)Konzepte vorzulegen. Das Jugendzentrum seinerseits hielt der Stadt vor, konsequent gegen das Haus zu arbeiten, mit dem zwischenzeitlichen Verbot größerer Veranstaltungen die Finanzierung des Projektes gezielt zu behindern und die BetreiberInnen durch immer neue Anforderungen mürbe zu machen. Sümnich im Rückblick: „Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Konzepte und Papiere wir denen in den letzten Jahren vorgelegt haben.“ Zuletzt wurde überdies immer deutlicher, dass Bürgermeister Schönfeld nicht nur qua Amt gegen das HaK vorging, sondern emotional involviert war, einen fast schon persönlichen Groll gegen die Alternativ-Jugendlichen hegte. So ließ er es sich nicht nehmen, die Betreiber gegenüber der Presse als „Junge Erwachsene, die nichts auf die Reihe kriegen“ zu bezeichnen. Außerdem verweigerte der Sozialdemokrat in den letzten Monaten jegliches Gespräch mit den HaK-AktivistInnen. Vielleicht also kein Wunder, dass Schönfeld sich nicht zu den Fragen des Infoarchivs äußern wollte, auf mehrere Anfragen nicht reagierte.

"Ein selbstverwaltetes Jugendzentrum in ein über Jahrzehnte (...) gewachsenes, urbanes und sehr bürgerlich strukturiertes, bis stark konservatives Wohngebiet zu setzen, überwiegend bewohnt von der Generation 55+, wird mittelfristig nicht funktionieren. Man bring so nicht nur unterschiedliche Generationen zusammen, sondern auch Lebensbilder und Lebensentwürfe, die sich diametral gegenüber stehen."


Dieter Fiesinger, Leiter der JugendAkademie

Alexander Wagner, Vorstandsmitglied der Segeberger Jusos, sieht diese starre Haltung zumindest teilweise in Schönfelds Blick auf Jugendarbeit begründet. So habe der Bürgermeister das Finanzierungsmodell des HaK „nie akzeptiert“, halte außerdem nicht viel von selbstverwalteten Projekten. Andererseits habe Schönfeld das Problem letztlich als festgefahrenen Konflikt von seinen Vorgängern „geerbt“ und auch die HaK-Betreiber hätten nicht immer glücklich agiert, mögliche Kompromisslinien frühzeitig ausgeschlagen. Wie auch Dieter Fiesinger, Leiter der Segeberger JugendAkademie, sieht Wagner den Hauptfehler der Jugendlichen im unbedingten Festhalten am Standort Kalkberg. Dabei hat Fiesinger einschlägige Erfahrungen in Sachen selbstverwaltete Zentren: Vor 38 Jahren verfolgte er als Jugendlicher in Braunschweig ein durchaus ähnliches Projekt – mit einem Unterschied: „Wir haben das Scheitern nach knapp 2 Jahren eingesehen, uns mit der Stadt lösungsorientiert um eine räumliche Alternative bemüht und dann hat es funktioniert.“ Einmal abgesehen davon, dass in Braunschweig vielleicht auch die andere Seite etwas „lösungsorientierter“ aufgetreten ist, war es für den Sozialpädagogen schnell klar, dass das HaK an seinem Standort scheitern würde (siehe Kasten). Zudem hätten die jüngsten Angriffe von SympathiesantInnen des Zentrums gegen Bürgermeister Schönfeld der „Diskussionsfreudigkeit“ eher geschadet. Insgesamt sieht Fiesinger die Jugendarbeit der Stadt im Aufwind, etwa durch die Schaffung zusätzlicher Stellen oder die zur Zeit diskutierte Verlagerung des JuZ Alte Feuerwache in größere Räume. Dennoch stellt er klar, „in keinster Weise die Berechtigung der Existenz selbstverwalteter Jugendarbeit“ in Frage zu stellen – „im Gegenteil“, wie er noch hinzufügt.

"Der Unterschied zu Damals ist doch wohl nur der, dass die Polizei bei ihren Übergriffen noch lügen muss, um auf breite Akzeptanz zu stoßen. Und dass es noch kein politisches Programm für die Legalisierung solcher Übergriffe gibt. Dementsprechend auch keine Gaskammern."                                                                                        Margret Bonin, Radio Bad Segeberg

Trotz ihrer auch in Richtung HaK kritischen Haltung fühlen sich die Jusos mit dem Alternativ-Zentrum „prinzipiell solidarisch“ und rufen inzwischen mit zahlreichen anderen Organisationen zu einer Demonstration am 1. Dezember auf, um sich für ein neues Gebäude einzusetzen. Deutete sich bislang eine hohe Beteiligung auch aus Städten und Gemeinden der Umgebung an, wurde die Unterstützung der Jugendlichen zuletzt ausgerechnet durch eine Art „Störfeuer“ aus den eigenen Reihen gefährdet: Margret Bonin, Initiatorin einer HaK-solidarischen Mütterinitiative, verglich die Räumung des Jugendzentrums in einem Radiobeitrag allen Ernstes mit der Reichspogromnacht und verteidigt diese Einschätzung bislang auch uneingeschränkt. Bonin, die in den Bürgermeister in den letzten Wochen unter anderem mit offenen Briefen, Anzeigen und Dienstaufsichtsbeschwerden überzog, stellte allerdings klar, dass die umstrittenen Passagen ausschließlich von ihr stammten, die HaK-Jugend damit nicht im Zusammenhang stand. Dieter Schönfeld hat mittlerweile (anderen Medien) angekündigt, gegen die Äußerungen Boninsrechtliche Konsequenzen“ zu prüfen.

Zur gemeinsamen Anreise zur Demonstration in Bad Segeberg hat auch das Soziale Zentrum in Norderstedt einen Treffpunkt bekannt gegeben: Interessierte können sich am 1. Dezember um (pünktlich!) 13.15 Uhr am Bahnhof Ochsenzoll anschließen, dort an der Abfahrtstelle des Autokraft-Busses in Richtung Kreisstadt.