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Dienstag, 20. August 2013, 9:38 Uhr

Piraten enthüllen Massen-Überwachung

Polizei in Schleswig-Holstein ortet 7 Millionen Handys

Mobilfunkmasten auf einem Hausdach

Vorsicht, Polizei hört mit: Mobilfunkmasten auf einem Dach in Norderstedt-Mitte (Foto: Infoarchiv)

Olaf Harning | Orwell´s "1984" lässt grüßen: Nach Angaben der Kieler Landesregierung haben Polizei und Staatsanwaltschaft in Schleswig-Holstein seit 2009 insgesamt 850 sogenannte "Funkzellenabfragen" vorgenommen und dabei bis zu 7 Millionen Handys geortet. Die dabei gewonnenen Daten bleiben dauerhaft gespeichert.

Protest gegen Vorratsdatenspeicherung

Protest gegen Vorratsdatenspeicherung. Gespeichert wird auch ohne.

Diese Zahlen entstammen der Antwort auf eine Große Anfrage der schleswig-holsteinischen Piratenpartei. Die hatte unter anderem wissen wollen, wie viele "nicht individualisierte Funkzellenabfragen" in Schleswig-Holstein angeordnet werden, wie viele Menschen davon betroffen sind und welchen Erfolg diese massenhafte Durchleuchtung bringt. Die Ergebnisse sind erschreckend: So wurden von den Staatsanwaltschaften in Flensburg, Lübeck, Kiel und Itzehoe seit 2009 insgesamt 850 Abfragen initiiert. Nach Schätzungen der Piratenpartei sind dabei bis zu 7 Millionen Handys geortet worden. Die dabei gewonnenen Daten werden im Regelfall langfristig gespeichert, oft sogar über das Ende der jeweiligen Ermittlungen hinaus.

Eine "nicht individualisierte Funkzellenabfrage" bezeichnet die Erfassung sämtlicher Telekommunikationsverbindungsdaten in einem zuvor festgelegten, räumlich abgegrenzten Bereich. In einem Bezirk der Landeshauptstadt Kiel beispielsweise, sind bei einer solchen Abfrage im Jahre 2010 binnen 24 Stunden 2,3 Millionen Verbindungs- und Standortdaten von 300.000 Menschen erfasst worden. "Statistisch gesehen war danach jeder Mensch im Land schon mehrfach im Visier der Ermittler", sagt Uli König, Mitglied der Piraten-Fraktion im Landtag, "wer zur falschen Zeit am falschen Ort war, kann leicht zu Unrecht einer Straftat verdächtigt werden."

Hintergrund der Überwachungs- und Sammelwut ist die Hoffnung von Polizei und Staatsanwaltschaft, durch den Abgleich verschiedener Tatorte und Tatzeiten möglichen "Straftatserien" auf die Spur zu kommen. Ausgerechnet das aber gelingt bei den Abfragen höchst selten: Gerade einmal 36 Verurteilungen sind mehr oder weniger direkt auf Informationen aus Funkzellenabfragen zurückzuführen, in 111 Verfahren sorgte die Abfragen für "neue Ermittlungsansätze". Angesichts mehrerer Millionen erfasster Geräte eine Demonstration von Ineffizienz. Außerdem fällt bei Durchsicht der Zahlen auf, dass die Staatsanwaltschaften das Instrument in sehr unterschiedlichem Ausmaß anwenden: Wurden in der Region Flensburg bislang nur 16 Abfragen durchgeführt, langte die auch für Norderstedt zuständige Staatsanwaltschaft Kiel satte einundzwanzig Mal häufiger hin. Eine schlüssige Erklärung für diese Unterschiede gibt es nicht.

Handybildschirm mit Warnhinweis vor Funkzellenabfragen.

So oder wohl eher so ähnlich könnten sie aussehen, die Kurzmitteilungen der Polizei, mit denen Handybesitzer über ihre Ortung informiert werden (Foto: Infoarchiv)

Insbesondere die lange Speicherung der Daten sorgt auch im Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein für Unruhe. Während sich die stellvertretende Datenschutz-Beauftragte des Landes, Marit Hansen, mit der Frage befasst, ob nicht eigentlich sämtliche Besitzer polizeilich erfasster Handys über die Maßnahme informiert werden müssten, kündigte Barbara Körffer - zuständige Referentin des Landeszentrums - an, die Rechtmäßigkeit von Erfassung und vor allem Speicherung der Daten zu prüfen: "Da sind ungefähr 120 Verfahren, die abgeschlossen sind, bei denen die Daten aber trotzdem noch aufbewahrt werden", so Körffer. "Das macht uns schon etwas Sorgen." Außerdem sei zu hinterfragen, warum die Zahl der Funkzellenabfragen Jahr für Jahr zunehmen. "Aus den jetzt vorgelegten Informationen alleine", schränkt Hansen aber ein, "lässt sich noch kein Missbrauch belegen."

Am Mittwoch will die Piratenpartei das Thema nun in den Landtag tragen und wird dort offenbar auf eine durchaus uneinige Regierungskoalition treffen. Wärhrend sich Grünen-Fraktionschefin Eka von Kalben am Freitag vom Umfang der gesammelten Daten "überrascht" zeigte und eine vernünftige "Balance" zwischen dem Sicherheitsbedürfnis der Bürger und ihren Grundrechten anmahnt, sieht Innenminister Andreas Breitner (SPD) bislang keinerlei Handlungsbedarf. Die Funkzellenabfragen seien von der Staatsanwaltschaft beantragt und gerichtlich genehmigt - mehr rechtsstaatliche Sicherung gehe nicht.