+ + + ARCHIVIERTER INHALT + + +

Diese Seite kommt aus unserem Archiv und enthält möglicherweise Informationen, die nicht mehr aktuell sind. Bitte beachten Sie das Veröffentlichungsdatum dieser Seite.

Samstag, 28. Februar 2004, 1:00 Uhr

"Pauschal gesagt abwegig...."

Eltern befragen Kommunalpolitiker zu den Kürzungen im Kindertagesstättenbereich

Infoarchiv | Über achtzig Menschen füllten am 26.Februar das Foyer der Kindertagesstätte Tannenhofstrasse. Ein Wunder ist der große Andrang an Interessierten, und die Vielzahl der Wortmeldungen nicht :
300.000 Euro sollen nach dem aktuellen Haushaltsplan aus dem städtischen Budget für Kindertagesstätten entwendet werden. Einzelheiten des Coups sind nicht bekannt. Der erste Kürzungsentwurf der CDU, das Geld über indirekte Beitragserhöhungen einzubehalten, ist vorerst aufgeschoben. Wahrscheinlich bis nach der Wahl, wie die betroffenen Eltern während der Veranstaltung immer wieder vermuten. Aufgehoben ist der Entwurf sicherlich nicht, das macht Schlichtkrull während der Diskussion unmissverständlich deutlich. Und Helmuth Krebber (SPD) mimt auf der Podiumsdiskussion den loyalen Komplizen, der auf jeden Fall mit von der Partie ist, wenn es um die Einsparungen der 300.000 Euro geht. Lediglich in der Umsetzung sprach Krebber sich für Maßnahmen aus, die weniger die Eltern einseitig belasten. Er konnte aber andererseits kein Konzept benennen, wie mal kurz 300.000 Euro aus dem Betreuungsbudget entwendet werden können, ohne das dies zu Lasten der Qualität, der Leistungen, oder des Personals in den Einrichtungen geschehen soll.
Lediglich Ulli Böttcher von der GALiN sagte auf der Diskussionsveranstaltung, die angebliche Notwendigkeit von Kürzungen im sozialen Bereich sehe er "an der einen oder anderen Stelle anders" und denke nicht, "dass das im Kitabereich geschehen muss."

Unmissverständlich deutlich wurde während der Podiumsdisskussion der Unmut der Eltern, einerseits mit indirekten Beitragserhöhungen und Leistungseinsparungen konfrontiert zu werden, während andererseits nicht einmal der nötige Bedarf an Kitaplätzen gedeckt ist.
Viele Eltern schilderten ihre Situation, keinen Hort oder Krippenplatz zu finden. Eine Mutter berichtet, sie hat ihr Kind direkt nach der Geburt auf mehrere Wartelisten setzten lassen. Jetzt ist ihre Tochter zwei Jahre alt und sie hat immer noch keinen Platz. Bei der Stadt hat man sie an Tagesmütter verwiesen, diese seien aber einfach zu teuer.
Herr Krebber von der SPD konnte diesem Erfahrungsbericht kaum glauben und fragte nach, warum sie keine Tagesmütter genommen hätte, die von der Stadt anerkannt wären und auch städtisch unterstützt würden. "Die sind genauso teuer", berichtete die Mutter. Daran zweifelte der SPD- Vertreter und wandte sich an den Leiter des Amtes für junge Leute, Struckmann, der im Publikum zugegen war. Dieser musste der Mutter beipflichten. Das Problem mit den teuren Tagesmuttersätzen war ihm geläufig.
Die Legende, fehlende Krippenplätze wären kein Problem, man könne ja alternativ auf Tagesmütter zurückgreifen, ist hiermit wiederlegt. "Wir Mütter dürfen dann wieder zu Hause bleiben !" Resümiert eine Anwesende. "Da bin ich sehr verärgert drüber !"
Andere Eltern berichten von der Odyssee, einen Hortplatz für ihr Kind zu ergattern. Eine Mutter erzählt, sie habe es an vier Horten probiert. Einen Platz habe ihr Kind aber schließlich nur in einem an eine Schule angegliederten Hort bekommen, weit von der Grundschule entfernt, in der das Kind eingeschult werden soll. Ihr wurde vorgeschlagen ihr Kind doch einfach umschulen zu lassen.
Des weiteren ist es Gang und Gebe, den ratlosen Eltern in den zuständigen Ämtern zu raten, ihr Kind ganz früh und am besten gleich bei ganz vielen Einrichtungen auf die Wartelisten zu setzen, damit es wenigstens bei einem Platz klappt.
Durch diese Doppelanmeldungen, argumentieren dann aber Politiker wie Herr Schlichkrull(CDU), sei der wirkliche Bedarf an Plätzen nicht zu ermitteln. Es gäbe bisher noch keine zentrale Warteliste für alle Kindertagesstättenanbieter. Somit, wollte Schlichtkrull weiß machen, sei der Engpass an Plätzen längst nicht so schlimm. Die Erfahrungsberichte der anwesenden Eltern straften diesen Besänftigungen Lüge. Und das es sowohl im Elementarbereich, aber vor allem im Krippen- und Hortbereich einen teilweise dramatischen Platzmangel gibt, mochte auch Herr Schlichtkrull nicht ernstlich dementieren.
Aber statt diese akuten Mängel zu beheben, beschäftigt sich die Stadtvertretung zur Zeit hingegen damit, die vorhandenen Leistungen der Kinderbetreuung zu beschneiden. "Warum werden solche Maßnahmen getroffen ", fragte eine Mutter denn auch unter Beifall, "wenn noch nicht einmal Lösungen gefunden sind ? Deutschland ist im europäischen Vergleich in Sachen Bildung und Betreuung nach wie vor ein Entwicklungsland! "
Und eine andere Interessierte fürchtet, dass mit den geplanten Einsparungen "Qualitätsverschlechterungen Tür und Tor", geöffnet werden. "Das ist nur der Anfang", vermutet sie. "In der Schule erleben die Eltern die Einschränkung seit Einführung der garantierten Halbtagsgrundschule schon hautnah. Förderunterricht gibt es nur noch in der ersten Klasse." Danach sollen Eltern diese Leistung übernehmen.
"Dehnt sich diese Verschlechterung der Bildungssituation jetzt auch auf die Kindertagesstätten aus?" Werden die Politiker aus dem Publikum gefragt.
Ein Vater ist besorgt über die Schließzeiten im Sommer, in der bestimmte Einrichtungen dicht machen. Die Kinder, die auf Grund der Berufstätigkeit der Eltern eine Unterbringung brauchen,sollen dann einfach mal für drei Wochen in eine andere Einrichtung verfrachtet werden . "Wie soll ich das meinem dreijährigen Kind erklären. Da ist doch alles neu : Die Räume, die anderen Kinder, die ErzieherInnen..."
Dass man Kinder nicht mal einfach von der einen in die andere Umgebung verpflanzen kann findet Schlichkrull" pauschal gesagt abwegig."
Bedürfnisse, Forderungen und Sorgen der NorderstedterInnen als "pauschal gesagt abwegig" zu bewerten ist zwar sicherlich nicht sonderlich WählerInnenfreundlich, aber mit Sicherheit christdemokratischer Parteislogan in Norderstedt. Wurde nicht auch der Wunsch der Jugendlichen nach Erhalt des Jugendkulturcafes als unangebrachter Protest einer "privilegierten Minderheit" gewertet ?
Fast zum Abschluß der Podiumsdisskusion erhielt der Beitrag einer Anwesenden den stürmischen Beifall der Elternschaft, in dem nachgefragt wurde, wie es angehen kann, dass ständig von Kosten gesprochen wird und selbst in einem Zeitungsartikel nachgefragt wird, ob Norderstedter Kinder zu teuer sind, wenn in den Kitas sehr schlecht bezahlte ErzieherInnen sehr qualifizierte und engagierte Arbeit verrichten.
"Es geht um unsere Kinder!" Sagt die Mutter unter Applaus. "Es geht um den gesetzlich zugebilligten Betreuungs- und Bildungsauftrag. Es geht nicht um Luxusstandards, sondern um Mindeststanddards."

Abschließend ist es fraglich, ob die Podiumsdiskussion den Eltern neue Erkenntnisse und Informationen gebracht hat. Die anwesenden Kommunalpolitiker wiesen bei empfindlichen Themen immer wieder daraufhin, dass es sich bei ihnen um ehrenamtliche Kommunalpolitiker handelt, die nicht für den Mist verantwortlich gemacht werden könnten, der auf Kreis-, Landes oder Bundesebene verbockt wird.
"Aber ihr sitzt da doch für eure Parteien", war dazu aus dem Publikum zu hören.
Informativ war der Abend allemal für die Gesandten der Parteien, denen eine klare Stimmung entgegenschlug: Kinderbetreuung ist kein Luxus, und Qualitätsstandards in der pädagogischen Arbeit sind kein Ballast, der sich beliebig über Bord werfen lässt, während für teure Asphaltprojekte, LDC und Landesgartenschau keine Kosten und Mühen gescheut werden !
Einsparungen bei den Kitas ? Die Antwort der Eltern ist unmissverständlich: Nicht mit uns !

Veröffentlicht in Soziales mit den Schlagworten CDU, GALiN, Landesgartenschau, Norderstedt, Schule, SPD