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Samstag, 19. Juni 2004, 2:00 Uhr
Nicht von der "Alten Schule"
Rund 30 Jahre Drogenberatung am Kohfurth
Infoarchiv Norderstedt | Auch wenn die Drogenhilfe in Norderstedt im alten Garstedter Dorfschulgebäude untergebracht ist, bemühen sich die MitarbeiterInnen um ein Konzept, das alles andere als "schulmeisterhaft" daherkommt. Beratung und Prävention darf nicht "von oben herab" verabreicht werden, erklärt Matthias Nauerth. Die Hilfen müssen "am Puls der Zeit" angesiedelt sein, weiß der langjährige Mitarbeiter der Einrichtung zu berichten.
Zwei Gründe machen es für die MitarbeiterInnen in der Drogenhilfe nötig, die Ohren gespitzt zu halten für aktuelle Strömungen: Zum einen ist es wichtig, durch stetige Weiterbildung und gute Informationsvernetzung auf dem neuesten Stand zu bleiben, denn gerade in der Suchthilfe ändern sich Lebensumstände, Notlagen und Konsumverhalten der Hilfesuchenden. So ist zum Beispiel aktuell zu beachten, welche Folgen veränderte Cannabis-anbaumethoden für LangzeitkonsumentInnen haben. Die deutlich stärkere Dosis THC in einigen Pflanzen hat nach neuesten Beobachtungen unangenehme Folgen: Z. B. körperliche Entzugserscheinungen, die ansonsten beim Konsum von Cannabis nicht bzw. nicht in diesem Maß auftreten.
Der andere Grund, warum es nötig ist, am Puls der Zeit zu bleiben, sind die bereits umgesetzten und die neu zu erwartenden Einschnitte und Kürzungen im Sozialbereich. Eigentlich ist es die Aufgabe von Einrichtungen der Suchthilfe, von Obdachlosenhilfe oder Schuldnerberatungen, Hilfen zum Leben, oder sogar zum Überleben anzubieten. Aber immer öfter kommen diese Einrichtungen in die Situation, nicht nur die Existenz der Hilfesuchenden, sondern ihre eigene sichern zu müssen. Der Trend ist klar: Bundesweit werden soziale Standardleistungen zu "Luxusgütern". Dieses auf Bundesebene sozialdemokratische Handlungskonzept wurde durch die Ergebnisse der Europawahl wohl ausreichend kommentiert. Auf Kommunaler- und auf Kreisebene beweist die christdemokratische Mehrheit, dass es noch konsequenter geht: Dort wird den sozialen Einrichtungen in letzter Zeit zunehmend das Fürchten gelehrt. Die Drogenberatung am Kohfurth kann ein Lied davon singen. Nicht nur, dass in drei Jahren der Vertrag für das backsteinerne Haus in unmittelbarer Nähe zum Herold-Center abläuft: Hinzu kommt, dass die Kreiszuschüsse ab 2005 um 5% abgesenkt werden sollen. Dr. Hans-Jürgen Tecklenburg, Leiter der Einrichtung, weist auf die Konsequenzen hin: Insgesamt bedeutet das für die Drogenberatungsstellen des Landesvereins der Inneren Mission im Kreis Segeberg sowohl Personaleinsparungen als auch eine Veränderung in der Angebotsvielfalt.
Vom ehrenamtlichen Verein zur Konflikt- und Drogenberatung - Entstehungsgeschichte der Einrichtung
Seit Jahren bestreitet das Team am Kohfurth die komplementäre ambulante Suchthilfe für den Raum Norderstedt. Ein riesiger Aufgabenkomplex, der mit den Jahren und mit dem wachsenden Bedarf mehr und mehr ausgebaut wurde. In der Entstehungsgeschichte war das alte Backsteinhaus in der Nähe des Einkaufscenters unter dem Namen "Teestube" bekannt und richtete sich an Jugendliche mit sozialen Problemen. Gegründet wurde die Teestube vom Jugendhilfe Norderstedt e. V., einem Trägerverein, dessen Initiatoren bemüht waren, dem ideologisch eher christdemokratisch nahestehenden Sozialwerk, ein emanzipatorischeres Konzept in anderen Arbeitsbereichen entgegenzusetzen. Bald schon bildete sich für die Teestube als Schwerpunkt die Drogenhilfe heraus. Über die Jahre wurden die klassischen Aufgabenfelder der Therapieplatzvermittlung, Beratung und Angehörigenbegleitung auch durch Präventionsprojekte, durch Substitutionsbegleitung und durch Basiselemente akzeptierender Drogenarbeit, wie etwa der Vergabe von Spritzen und Kondomen erweitert.
Mitte der Neunziger Jahre wechselte die Trägerschaft. Der Jugendhilfe Norderstedt e.V. konnte mit seiner engagierten, zum größten Teil ehrenamtlichen Arbeit dem großen Hilfsbedarf kaum gerecht werden und gab ihre Aufgabenstellung dem Kreis Segeberg zurück, der dem Landesverein für Innere Mission die Fortführung der gewachsenen Angebote übertrug und erweiterte. Zu den jüngst nachgewachsenen Aufgabenfeldern gehört z. B. die ambulante Betreuung von Suchterkrankten im eigenen Wohnraum. Diese Maßnahme hilft, oftmals schon jahrelang Erkrankte aus der Isolation und Aussichtslosigkeit herauszuholen. Zunehmend ist Suchterkrankung gepaart mit schwerwiegenden sozialen Problemlagen, wie hoher Verschuldung oder sogar der Gefahr des Wohnungsverlustes. Gerade in diesem Zusammenhang erweist sich der "schnelle Draht" mit anderen Hilfseinrichtungen, vor allem z. B. zur TAS (Tagesaufenthaltsstätte für Wohnungslose) als sehr nützlich.
Wenn die Wohnungslosenhilfe ihr Obdach verliert - Anekdoten aus der Sozialen Arbeit in Norderstedt
Aufgrund der Kahlschlagpolitik auf Stadt- und Kreisebene hat sich die kommunikative Nähe zwischen der Drogen- und der Wohnungslosenberatung auch zu einer räumlichen ausgewachsen: Inzwischen hat die Beratungsstelle für Wohnungslose ihr Obdach verloren, denn nach Kürzungen städtischer Zuschüsse, dem kompletten Wegfall der Kreis- und der Kürzung der Landeszuschüsse war die Miete für das Beratungsbüro und die Personalkosten nicht mehr zu halten. Fürs erste ist die Beratungsstelle in den Räumlichkeiten der Drogenberatung Norderstedt untergekommen - eine Notfalllösung. Trotz des wachsenden Bedarfs ist die Beratungszeit von fünf Stunden in der Woche auf zwei Stunden die Woche eingeschrumpft. Auch die Zukunft der Aufenthaltsstätte am Herold-Center ist noch nicht abgeschlossen geklärt. Der Bedarf steht hingegen außer Frage: Die Container werden gut frequentiert. Viele Menschen in sozialen Notlagen nutzen die Anlaufstätte um zu duschen, eine warme Mahlzeit zu sich zu nehmen, ein Gespräch zu führen, Kontakt zu haben. Die ehrenamtlichen HelferInnen haben während ihrer Schichten viel zu tun.
Um in ihrer Arbeit unterstützt zu werden, erhalten sie von den MitarbeiterInnen der Drogenhilfe Fortbildungs- und Schulungsangebote. Vor vier Jahren erhielt die Drogenberatungsstelle der Inneren Mission vom Kreis eine Aufstockung von einer halben Stelle, um dem zunehmenden Hilfsbedarf alkoholkranker Menschen in sozialen Notlagen zu decken. Im ersten Jahr begann die Einrichtung mit der Versorgung von etwa 50 Personen. In diesem Jahr ist die Zahl der Hilfesuchenden, Betroffenen und Angehörigen auf 170 angestiegen. Bei gleicher Personallage ist das für die MitarbeiterInnen der Drogenberatung kaum zu bewältigen. Aber es kommt noch schlimmer : Die CDU hat auf Kreisebene den Antrag gestellt, die halbe Stelle der Drogenberatung am Kohfurth wieder abzuziehen und sie dem Sozialwerk zu überlassen. Eine politische Entscheidung am grünen Tisch, die fachlich ein Desaster wäre, da gewachsene und gut funktionierende Hilfsangebote, Kontakte und Vernetzungen für die Hilfesuchenden verloren gingen. Eine schwerwiegende Entscheidung, die noch aussteht, und hoffentlich im Sinne der Betroffenen entschieden wird.