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Mittwoch, 22. Juli 2009, 2:00 Uhr
Mission possible
Skandal um Erweckungsmissionare an Norderstedter Grundschule
Astrid Jodeit | "An unserer Schule geschieht etwas wunderbares". Mit diesen Worten beginnt der Schlamassel, in den sich Ingken D. (1), Schulleiterin der Grundschule Niendorfer Straße, vorletzte Woche gebracht hat. Mit diesen Worten nämlich eröffnete sie ihre Presseerklärung, in der sie davon berichtet, dass sich ganz viele junge Menschen aus aller Welt in ihrer Grundschule eingefunden hätten, um mit den Schülerinnen und Schülern tolle Sachen zu machen. Sie verschweigt in ihrem Schreiben nicht, dass es sich bei dem Träger dieser Veranstaltung um die Vereinigung "Jugend mit einer Mission" handelt und bittet um das Kommen der Presseleute und um Berichterstattung. Letzteres wird sie inzwischen wahrscheinlich bereuen.
Die Presse kam nämlich. Für die Norderstedter Zeitung erschien Heike Linde-Lembke. Sie besuchte das Ende der Veranstaltung in der Grundschule und sprach mit den jungen "Menschen aus aller Welt", die über sich sagen, das sie die Mission lieben und über Sport, Musik und Tanz den Inhalt des Neuen Testaments zu den Kindern bringen wollen. Linde-Lembke schrieb darüber einen ausführlichen Artikel für ihre Zeitung. Zudem recherchierte die Journalistin über die Vereinigung Jugend mit einer Mission (JMEM) und fand heraus, was jeder herausfinden kann, der einen Internetanschluss hat: Bei der Organisation handelt es sich um eine der größten internationalen Missionsgruppen, die den charismatischen Pfingstgemeinden zuzuordnen ist. JMEM betreibt weltweit Jüngerschaftsschulen in denen junge, erweckte Christen viel Geld bezahlen um sich ausbilden zu lassen, um nach einer dreimonatigen Schulung schließlich wieder viel Geld zu zahlen, um bei einem Einsatz praktisch tätig zu werden.
"Missionsbase in Norderstedt"
Seit 2006 gibt es eine solche "Missionsbase" samt Jüngerschaftsschule auch im Raum Hamburg, mit Standort im Norderstedter Aurikelstieg. Die Mitarbeiterschaft gruppiert sich um zwei Familien, die aus England bzw. Neuseeland angereist sind, um einen Ruck durch Hamburg gehen zu lassen. Bevorzugte Orte der Missionierung sind die Uni ("Studenten, eine fast unereichte Volksgruppe", wie der Internetauftritt der Gruppe verrät) und das Hamburger Rotlichtviertel. In ihren Zielen sind sie nicht bescheiden: "Wir wollen", schreiben sie in einem Rundbrief, "Deutschland gerettet und in seiner Berufung sehen, wieder eine der Haupt Missionars aussendenden Nationen der Welt zu werden" (Rechtschreibfehler im Orignial). Aber wie kommen diese Erweckungsevangelikalen bloß dazu, in einer Norderstedter Grundschule tätig zu werden? Ganz einfach: Der Sohn des neuseeländischen Missionars geht auf eben diese Schule.
Freikirchliche Strömungen wachsen
Die viel wichtigere Frage aber lautet: Wie kommt eine Grundschuldirektorin auf die Idee, eine solche Gruppierung einzuladen, drei Tage ihre SchülerInnen zu unterrichten? Ingken D. kann die Aufregung gar nicht verstehen. Den Artikel in der Norderstedter Zeitung, welcher umfangreich aber nicht übermäßig kritisch war, empfindet sie als diskriminierend und sachlich falsch. Das ganze erscheint auf den ersten Blick wie ein herrliches Sommertheater, wirkt albern, fast schon satirisch. Das einzig Gute an der Geschichte ist aber, dass eine längst überfällige Diskussion entsteht. Es ist an der Zeit, sich mit den heftig anwachsenden freikirchlichen und in diesem Fall charismatischen Bewegungen auseinanderzusetzen. Ein Fakt vorweg: In den acht Jahren (zwischen 1999 und 2007) entstanden in Deutschland einhundert neue Pfingstgemeinden. Diese Zahl ist beachtlich und schon deshalb imposant, da es sich bei den Pfingstlern nur um eine evangelikale freikirchliche Strömung unter vielen handelt. Es gibt noch andere mit ähnlichem Wachstumserfolg.
Gegen Homosexualität, Abtreibungen die Evolutionstherorie ...
Aber was um alles in der Welt sind Pfingstgemeinden? Schlicht gesagt handelt es sich bei den Pfingtlern um eine charismatische Bewegung, etwa hundert Jahre alt, in der Zungenreden, Wunderheilung und auch moderner Exorzismus (Austreibung von angeblichen Dämonen durch Gebet, z.b. bei Psychosen) praktiziert wird. Pfingstler haben was gegen vorehelichen Geschlechtsverkehr, gegen Homosexualität, gegen Abtreibungen und zu einem großen Teil auch gegen die Evolutionstherorie. Keine Leute also, die man unbedingt zum Missionieren in der Grundschule haben will. Missionierung oder "Evangelisation", das steht außer Frage, ist das Steckenpferd der Pfingstler. Wer schon nicht Zungenreden kann, oder Heilen, oder Prophezeien, der muss zumindest rausgehen in die Welt und Menschen vor der Hölle bewahren. Ein obskures Projekt der deutschen Missionspfingstler ist etwa der Auftrag auf Goa (Indien), einem beliebten Urlaubsziel israelischer Touristen, eben diese davor zu bewahren, sich mit buddhistischen Lehren auseinanderzusetzen und sie dazu zu bringen, zu Jesus zu finden. Auf die Idee muss man erstmal kommen. So komisch das alles klingen mag, der Misssionsauftrag ist bierernst. Es werden sehr junge Menschen in Krisengebiete geschickt und es wird ihnen gesagt, dass es sein kann, das sie ihr Leben lassen. Ist ja für Jesus. Erschreckend ist auch die Sprache, der sich die Erwecker bedienen. Es ist eine Sprache, die man sonst lediglich aus militärischen Kreisen hört: Vom großen Kampf ist die Rede, von Heimatfront, "Strategic Frontier" und natürlich auch von dem leibhaftigen Feind, der sich in Menschengestalt begibt: Satan. Dämonen sind für Pfingstler reale Phänomene. Geisteskranke sind von solchen besessen, und müssen gesund gebetet werden. Aber nicht nur Dämonen machen krank, auch die eigene "Sünde" kann zu Störungen führen. Masturbation wird schon mal als Erklärung für Hautkrankheiten herangezogen und in den "Heilräumen" kursieren noch ganz andere Krankheitserklärungsmodelle.
Seit 1999: Pfingstgemeinde auch in Norderstedt
Aber doch nicht in Norderstedt, wird mancher Leser denken, und irrt. In Norderstedt existiert die Pfingstgemeide seit 1999 als Christliche Gemeinde Norderstedt (CGN) in der alten Post gegenüber der Falkenbergkirche. Während die benachbarte Landeskirche um ihr Aussterben besorgt ist und Pastor Gunnar Urbach mit immer ausgefalleneren Events um Aufmerksamkeit bettelt, aktuell mit dem Projekt der gläsernen Hochzeitskirche auf dem Gelände der Landesgartenschau, wächst die CGN ohne viel Tamtam und erreicht vor allem junge Leute. Die CGN in Norderstedt ist so etwas wie die Partnergemeinde der "Missionsbase" am Aurikelstieg. Auch wenn in den Internetpräsenzen der Gruppen nicht offen aufeinander verwiesen wird, ist die Verbindung doch deutlich.
Schulleiterin: ... nur Basketball und Tanzen ...
Drei Tage lang haben Missionare dieser Gruppierungen den Unterricht an der Grundschule Niendorfer Straße übernommen. Alles falsch, sagt D. jetzt in einer ausführlichen Gegendarstellung, und bemüht sich, den Artikel der Norderstedter Zeitung zu entkräften: Alles nur Hip-Hop. Es ging lediglich um Basketball und Tanzen, mehr war da nicht. Die Schülerinnen können ja auch kein Englisch, also konnten sie ja gar nicht bekehrt werden, argumentiert die Schulleiterin. Etwas peinlich ist dabei, dass sie bei ihrer nur wenige Tage vorher veröffentlichten Presseerklärung angibt, es ständen Dolmetscher zur Verfügung. Wichtig ist es Ingken D. richtig zu stellen, dass Steve Fail, der Vater einer ihrer Schüler, zwar das Projekt organisiert hat, nicht aber der Leiter der Gruppe ist, wie die Norderstedter Zeitung behauptet. Es mag richtig sein, dass die Missionsgruppe keine Leitung hat (außer natürlich Jesus), es stimmt aber auch, das Fail aus keinem anderen Grund in Norderstedt ist, als die Jüngerschaftsschule voranzutreiben und junge Anwärter zu lehren. Wie er selbst sagt: "Mein Herz schlägt für die Jüngerschaft, für die Mission, ich liebe es zu lehren." Eindeutiger geht es wohl kaum. Was D. allerdings selbstkritisch einräumt: Sie hat die Relevanz der Zugehörigkeit der Gruppe als unwesentlich eingeschätzt. Es soll auch Absprachen gegeben haben, nachdem dieses Projekt keinen missionarischen Charakter haben sollte. Und sie ist davon überzeugt, dass keine Inhalte dieser Art während der drei Projekttage vorkamen. Die jungen Leute von Jugend mit einer Misssion sahen das anders, und auch die Kinder fanden laut der Norderstedter Zeitung die Gespräche über Jesus gut.
Auseinandersetzung über aggressiv missionierende Gruppierungen notwendig
Letzlich sind Frau D.´s Motive unerheblich, es ist auch unerheblich, wie viel die Schülerinnen von dem verstanden haben, was ihnen in den drei Tagen erzählt wurde. Wahrscheinlich hat es keine Spontanerweckungen gegeben, es wurde auch niemand von ADS geheilt und niemand sprach in Zungen. Was wichtig ist, ist eine öffentliche Auseinanderstzung über aggressiv missionierende Gruppierungen, die sich allein durch ihr homophobes, zutiefst frauenfeindliches Auftreten (Abtreibung wird in Gesprächen z.B. als Massenmord tituliert) immer wieder jenseits der Grundrechte wiederfinden. Auf den Internetseiten der Extremchristen tauchen die Fotos und Namen von Kindern auf (eben auch jenen von Steve Fail) denen Großes prophezeit wird, über die gesagt wird, Gott habe bedeutendes mit ihnen vor. Das ist nicht lustig. Auch in Norderstedt betreiben diese Gruppierungen offensive Kinder- und Jugendarbeit. Sie organisieren Pfandfindergruppen, Musikabende, Freizeiten. Als in Norderstedt das Jugendkulturcafe Aurikelstieg geschlossen werden sollte, bot sich die CGN bei der Stadt Norderstedt an, den Laden zu übernehmen um offene Jugendarbeit anzubieten. Die Jugendlichen des Kulturcafés waren clever genug, sich zu wehren und die richtigen Fragen zu stellen. Aber an Aufklärung mangelt es.
Viele halten die Evangelikalen zwar für exzentrisch aber für absolut harmlos. Nach dem Motto: Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden. Auch Religionsfreiheit ist schließlich ein Grundgesetz. Stimmt. Das Problem an fundamentalistischen Gruppen wie diesen ist, dass sie selbst ganz und gar nicht davon ausgehen, dass jeder nach seiner Fasson glücklich werden darf. Andere Religionen gelten als Irrglauben, Homosexualität darf nicht gelebt, sondern muss therapiert werden, Sexualität darf es nur in der Ehe geben, ohne Erweckung lauert die Hölle, Beziehungen zu Nichterweckten gelten als gefährlich (Sitze nicht da, wo die Spötter sitzen), ein ständiger Kontakt zur Gemeinde muss gehalten werden, sonst stirbt der Glaube, Abtreibung ist Mord an Wehrlosen. Das sind nur einige Auffassungen und Regeln aus dem freikirchlichen Glaubensleben. Von den durch die Stadt Norderstedt anerkannten und aus öffentlichen Mitteln unterstützen Jugendverbänden sind vier freikirchlich organisiert. Es ist Zeit, eine Warnung auszusprechen.
(1) Der Name wurde von der Redaktion auf Wunsch der Betroffenen nachträglich abgekürzt.