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Mittwoch, 14. Mai 2014, 11:02 Uhr

Mildtätige Höchstmieten

Diakonie-Verein schockt Mieter mit deftigen Aufschlägen

Straßenschilder "Greifswalder Kehre", schwarz-weiß-Foto

Die Greifswalder Kehre in Harksheide: Um bis zu 226 Prozent will der Landesverein für Innere Mission hier die Miete für seine 24 Wohnungen erhöhen (Foto: Infoarchiv)

Olaf Harning | Mehr als verdreifachen will der Landesverein für Innere Mission in Schleswig-Holstein die Miete für seine 24 Wohnungen in Harksheide. Die Bewohner sollen damit die Zeche für eine umfangreiche Sanierung und Instandsetzung zahlen - der Mieterverein ist entsetzt.

Tina und Reinhard Bomme vor ihrem Hauseingang in der Greifswalder Kehre

Tina und Reinhard Bomme vor ihrem Hauseingang in der Greifswalder Kehre. Wie lange sie ihre Wohnung hier noch bezahlen können, wissen sie nicht. (Foto: Infoarchiv)

Eigentlich ist Kurt Plagemann kein Mensch, den man leicht aus der Fassung bringt. Seit 1980 arbeitet er nun schon für den Mieterverein Norderstedt, hat hier als Geschäftsführer fast täglich mit Fällen deftiger Mieterhöhungen und Menschen in misslichen Lagen zu tun. Doch ein Schreiben wie jenes, das ihm kürzlich Mieter des Landesvereins für Innere Mission vorlegten, hatte er noch nie zuvor gesehen.

Von 3,69 auf 12,03 Euro pro Quadratmeter will der Diakonieverein die Miete für seine Wohnungen erhöhen, das entspricht einer Steigerung von bis zu 226 Prozent. In anderen Fällen soll die Miete immerhin noch um 150, bzw. 118 Prozent steigen. Es sind kleine Wohnungen, die hier betroffen sind - sehr kleine Wohnungen, um genau zu sein: 32,2 Quadratmeter bieten die Wohneinheiten in der Greifswalder Kehre, die von der damals noch eigenständigen Gemeinde Harksheide nach dem Krieg als »Rentnerwohnungen« errichtet worden waren - für die finanziell schlechter gestellten oder mittellosen Senioren des Ortes. Nach dem Bau aber wurde an den drei Mietshäusern nicht mehr allzu viel getan - weder von der Gemeinde Harksheide, noch von der 1970 gegründeten Stadt Norderstedt. Als der Landesverein die Gebäude schließlich im April 2011 kaufte, um dort in einigen Wohnungen ein Inklusionsprojekt mit psychisch erkrankten Menschen zu verwirklichen, waren sie ein klassischer Sanierungsfall.

"Sanierung" oder "Modernisierung"?

 

Das deutsche Mietrecht unterscheidet zwischen Instandsetzungsarbeiten, deren Kosten ausschließlich der Vermieter zu tragen hat und der Modernisierung eines Hauses, an der die Mieter beteiligt werden dürfen.

 

Nach Auskunft des Deutschen Mieterbundes sind Baumaßnahmen dann als Modernisierung anzusehen, wenn sie dazu beitragen, Energie zu sparen (klassische Beispiele: Einbau einer Heizungsanlage, Erneuerung der Fenster), oder wenn sie den Wohnwert erhöhen - etwa durch den Anbau eines Balkons, den Einbau eines Fahrstuhls oder die Vergrößerung des Sanitärbereits.

 

Wird eine Wohnung modernisiert, kann der Vermieter 11 Prozent der Kosten auf die Jahresmiete aufschlagen, unabhängig von der sonst stark reglementierten Möglichkeit für Mieterhöhungen. Dieser "Modernisierungszuschlag" gilt unbefristet.

 

Ob in der Greifswalder Kehre modernisiert, oder doch nicht eher zu großen Teilen instandgesetzt wurde, das könnte am Ende eine der Fragen sein, mit der sich die Gerichte auseinandersetzen müssen. Alleine ein Fünftel der gesamten Bausumme kamen hier durch Maler- und Fassadenanstricharbeiten zustande, die eigentlich als klassische Instandhaltungsarbeiten gelten.

"Es gibt neue Einbauküchen, wir haben die elektrischen Leitungen erneuert, neue Bodenbeläge eingebaut, Klingelanlagen installiert und die Häuser gestrichen", verteidigt Landesverein-Sprecherin Regina Rocca die Mieterhöhung. Am Ende zahlte man mehr als eine Million Euro, Kosten, die der Diakonie-Träger jetzt auf die Mieter umlegt: Jährlich elf Prozent der Gesamtsumme sollen sie künftig zahlen, dabei hat der Landesverein die bisherige Miete sogar unter den Tisch fallen lassen - sonst wäre der Quadratmeterpreis auf 15 Euro gestiegen. So viel in etwa kostet eine Wohnung in feinster Hamburger Lage.

Auch heute wohnen in den ehemaligen Rentnerwohnungen überwiegend Menschen mit kleinem Einkommen. Die Ankündigung der Mieterhöhung vom 26. Februar traf sie wie ein Schlag: "Der Boden unter den Füßen war weg", erinnert sich Tina Bomme (37) an den Moment, als sie den Brief las, "ich fühlte mich wie Dreck". Zusammen mit ihren Nachbarn war sie im Dezember 2011 zum Kaffee in die nahe Begegnungsstätte des Landesvereins geladen und dort über die Sanierungsmaßnahmen informiert worden. Anschließend aber hatten alle verstanden, dass die Miete nach der Sanierung um elf Prozent erhöht werde - und eben nicht, dass sie elf Prozent der gesamten Baukosten tragen müssten. "Wir haben mit allem gerechnet", sagt Bomme, "aber dass die uns das Fell über die Ohren ziehen - das hätten wir nicht gedacht."

Straßenschild "Greiswalder Kehre", dahinter ein leeres Fenster

Auch Kurt Plagemann ist nachhaltig erschüttert: "Es kommt zwar regelmäßig vor", sagt er, "dass Vermieter die von ihnen zu tragenden Instandhaltungskosten mit Sanierungskosten vermischen und auf die Mieter abwälzen". In diesem Fällen aber gehe es um Steigerungen von 30, mal auch 50 Prozent. "Eine Erhöhung von über 100 Prozent", so Plagemann weiter, "habe ich in meinen 34 Jahren beim Mieterverein noch nicht gesehen". Wohl auch, weil der Fall Wellen schlägt und ein Großteil der Betroffenen mittlerweile Schutz beim Mieterverein sucht, hat Rocca jetzt Gespräche angekündigt - mit den Mietern, der Stadt und der Politik: "Es ist auf keinen Fall in unserem Interesse, dass Menschen ausziehen müssen, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können. Wir suchen einvernehmliche Lösungen." Ähnliche Töne werden am Donnerstag auch von Landesverein-Geschäftsführer Claus vom See erwartet, der wegen der Miet-Affaire zur Sitzung des Norderstedter Sozialausschusses geladen wurde.

An der Empörung Plagemanns aber ändert das wenig: "Was für mich nicht zusammenpasst: Da ist ein mildtätiger Verein, der sich auf christliche Werte beruft. Ich bin auch Christ, aber unter mildtätig und christlich verstehe ich etwas anderes."


Der Artikel ist zunächst in der Tageszeitung "Neues Deutschland" erschienen.