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Donnerstag, 3. Juni 2004, 2:00 Uhr

Merdiye bleibt bei uns !

600 Unterschriften und eine Protestaktion

Infoarchiv | Die SchülerInnen des Schulzentrum-Süd in Norderstedt kämpfen darum, dass ihre Mitschülerin Merdiye Erman nicht von ihrer Familie getrennt und in eine unsichere Zukunft abgeschoben wird! Anläßlich eines Besuches des schleswig-holsteinischen Innenministers Klaus Buß in Itzstedt, haben sie gestern mit der Übergabe von Unterschriftenlisten und eines Protestbriefes eindrucksvoll das Bleiberecht der jungen Kurdin sowie ihrer Familie eingefordert.

Viele SchülerInnen des Schulzentrum Süd in Norderstedt-Glashütte befinden sich zur Zeit in den Abschlussprüfungen. Auch Merdiye Erman und ihre MitschülerInnen bereiten das diesjährige Abschlussfest vor. Alle freuen sich auf die Sommmerferien und machen Pläne für die unterrichtsfreie Zeit. Durch die Zukunftspläne von Merdiye wurde allerdings ein jäher Strich gezogen: Statt sich auf den Realschulabschluß vorbereiten zu können, welchen sie im nächsten Schuljahr machen wollte, soll sich die 17jährige darauf einstellen, alleine, ohne ihre Familie in die Türkei abgeschoben zu werden. Zurück in das Land, aus dem die Familie 1996 floh, nachdem der Heimatort durch die türkische Armee niedergebrannt, und Merdiyes kleine Schwester schwer verletzt wurde. Das Mädchen hat noch immer Metallsplitter im Arm. Reden mag die Familie nicht gerne über die erlebten Schrecken. Der Vater leidet unter den den Erinnerungen der Kriegserlebnisse in Median und den Erfahrungen durch Haft und Folter, er wird psychotherapeutisch behandelt. In Deutschland erhoffte sich Familie Erman ein sicheres Leben. Die damals 7-köpfige Familie erlebte lange Trennungszeiten von Geschwistern und Mutter, erduldete ständig durch immer andere Sammelunterkünfte für Flüchtlinge geschleust zu werden. Drei Kinder der Familie wurden in Deutschland geboren und mit dem Umzug in eine größere Wohnung in Itzstedt glaubte die Familie, endlich zur Ruhe kommen zu können. Im neuen Wohnort wurde die Familie aber von einem ganz anderen Terror heimgesucht: Jungnazis drangsalierten die Familie regelmäßig, grölten Parolen, nach denen Itzstedt "deutsch bleiben" solle und warfen schließlich eines nachts schwere Steine durch ein Glasfenster des Wohnhauses an der Hauptstrasse. Nach einigen Pressartikeln, der Intervention antirassistischer Gruppen und der ortsansässigen Kirchengemeinde boten viele ItzstedterInnen der Familie ihre Unterstützung an. Die Übergriffe gegen die Ermans fanden ein Ende. Aber der erhoffte Frieden für die Familie bleibt aus: Seit einiger Zeit werden die Ermans von einer neuen, existenziellen Bedrohung belastet: Diesmal durch die Entscheidung der Ausländerbehörde, die älteste Tochter der Familie gegen ihren Willen in die Türkei abzuschieben. Merdiye ist verzweifelt: Außer den Kriegsschreckensbildern ihrer Kindheit verbindet sie nichts mit der Türkei. Sie ist im Kreis Segeberg groß geworden, ihre jüngeren Geschwister sind hier geboren. Merdiye will ihre Familie und ihre Freunde nicht verlassen! Sie will nicht fortgeschickt werden, in ein Teil der Türkei, in welchem es nach Medienberichten keine Sicherheit für alleinstehende Frauen gibt und keine Zukunftsperspektiven. MitschülerInnen von Merdiye, Freunde der Familie, NachbarInnen und UnterstützerInnen haben am gestrigen Donnerstag anläßlich des Besuchs von Innenminister Klaus Buß vor dem Amt Itzstedt das Bleiberecht für Merdiye und ihre Familie eingefordert. Sie überreichten dem obersten Dienstherrn der Ausländerbehörde(n) dabei auch die gesammelten Unterschriften und forderten seine Stellungnahme zu dem Fall. Dem kam Buß scheinbar gutwillig nach. Nachdem zunächst seine allgegenwärtigen Bodyguards für Ordnung gesorgt hatten, beugte sich der Inneminister zu Merdiye hinunter und sagte ihr leise zu - so dass es schon die Umstehenden kaum mehr wahrnehmen konnten - in ihrem Fall aktiv zu werden. So wolle er unter anderem mit Landrat Gorrissen reden, auch wenn er als Innenminister "natürlich nicht zuständig" sei. Nun liegt es ausschließlich an der Auslegung von Ermessensspielräumen, die Ämter, Behörden und der Innenminister entgegen ihren Aussagen in großer Zahl haben, ob Merdiye aus ihrem Leben gerissen und in ein fremdes Land abgeschoben wird, oder bei ihrer Familie bleiben kann.