Infoarchiv | Den 17. Februar wird Merdiye Erman so schnell nicht vergessen: An diesem Tag erhielt sie Post vom schleswig -holsteinischen Innenminister Buß (SPD) persönlich, der ihr in seinem Schreiben mitteilte, ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik für zwei Jahre gesichert zu haben. Viele Monate kämpften Freunde, KlassenkameradInnen, LehrerInnen und UnterstützerInnen für diesen Moment. Merdiyes "Fall" hatte Aufsehen erregt. Der Norderstedter Teil des Abendblattes hatte mehrfach berichtet, ein Radiointerview und ein Bericht auf Noa4 wurden gesendet. Über 600 Unterschriften hatten die Freunde in kürzester Zeit gesammelt und als der Innenminister Buß letzten Sommer anlässlich einer Feierlichkeit im beschaulichen Örtchen Itzstedt verweilte, wartete dort eine Protestversammlung auf ihn. "Merdiye ist eine von uns", war auf Plakaten zu lesen. Eine Aktion, an die sich Buß noch gut erinnert, wie er Merdiye in seinem Brief mitteilt. Schon damals versprach er vor laufender Kamera, "alles für Merdiye und ihre Familie zu tun."
"Alles zu tun", bedeutet: Merdiye darf zwei Jahre bleiben- was mit ihrer Familie passiert, ist nach wie vor unklar.

Die Schrecken des Vorjahres wiederholen sich auf makabare Weise: Der September galt als der gefürchtete Monat, denn im September wurde Merdiye volljährig. Ein Datum dem viele Teenager entgegeneifern. Ein Datum, dass für die Familie Erman mit großer Angst besetzt war, denn mit achtzehn konnte Merdiye getrennt von ihrer Familie abgeschoben werden. In Einzelfällen ist dies in der BRD auch vor Erreichung der Volljährigkeit geschehen.
Dieses Jahr im September wird Merdiyes Bruder achtzehn. Auch er soll abgeschoben werden. Die gesamte Familie Erman (ausgenommen Merdiye) haben nur eine Duldung für drei Monate. Fürchtete Metrdiye noch vor einiger Zeit ohne ihre Familie in die Türkei abgeschoben zu werden, muss sie nun fürchten, ohne ihre Familie in Deutschland zu bleiben.

Kürzlich zur Landtagswahl gastierte die Bundesvorsitzende der Grünen, Claudia Roth, in Norderstedt und besuchte die dortige Flüchtlingsberatung.
"Schleswig Holstein ist vorbildlich. Ich komme aus Bayern", ließ sie sich in den Zeitungen zitieren, "und würde gern in Schleswig-Holstein leben, wenn ich sehe, was hier für Flüchtlinge getan wird."
Man möchte gar nicht wissen, was Flüchtlinge in anderen Bundesländern zu erleiden haben, die Situation in Schleswig-Holstein ist gravierend genug. Die Aussgage der Grünen Politikerin mochte auch die Mitarbeiterin der Norderstetder Flüchtlingsberatung, Giesela Niguid, nicht unkommentiert stehen lassen. In einem Leserbrief an das Abendbaltt verdeutlicht sie ihre Meinung zu dem Claudia- Roth-Zitat:
"...Die Abschiebung selbst wird auch in Schleswig-Holstein rigoros durchgesetzt. Auch bei uns werden durch Abschiebung Familien getrennt, die seit vielen Jahren in Deutschland leben. Junge, gerade volljährig gewordene Männer und Frauen, die in Deutschland aufgewachsen oder gar geboren sind, werden allein in ihr angebliches Heimatland zurückgeschickt...."
Die Leidensgeschichte der Familie Erman illustriert die Situation nur zu gut. In der Türkei hatte die Familie Angst vor den Angriffen der Armee. Der Vater war im Gefängnis, Merdiyes kleine Schwester erlitt schwere Verwundungen und hat noch immer Geschossplitter in ihrem Körper. In Schleswig Holstein hatte die Familie Angst vor Jungnazis, die nachts vor dem Haus in Itzstedt randalierten, Parolen riefen und Scheiben einwarfen. Im letzten Jahr musste die Familie Angst haben, ihre älteste Tochter zu verlieren. Jetzt fürchten sie um den Sohn....Die Angst bleibt.
Dabei hatte der Segeberger Landrat Gorissen der Familie ein gemeinsames Bleiberecht zugesagt. In einem Chat-interview wurde er dazu befragt, ob die Lösungen, die auf kommunaler- und auf Landesebene für Merdiye gesucht werden, auch die Familie miteinbeziehen. Seine Antwort war eindeutig: "Die Gespräche betreffen die gesamte Familie. Man muss die Familie als Einheit betrachten."
Davon ist nichts zu bemerken.
Für die UnterstützerInnen von Merdiye ist die Situation eindeutig: Der Kampf ist noch nicht vorbei: Merdiye bleibt ! Und ihre Familie auch !