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Freitag, 26. November 2004, 1:00 Uhr
Jede vierte Frau...
Kampftag gegen Männergewalt- Von Fachtagungen, eindeutigen Statistiken und Frauenhausschließungen
Infoarchiv Norderstedt | Das Interdisziplinäre Frauenforschungszentrum der Universität Bielefeld befragte für die Studie 10.000 in Deutschland lebenden Frauen zwischen 16 und 85 Jahren. Sie ermittelten, dass 37 % aller beteiligten Frauen mindestens einmal körperliche Gewalt seit dem 16. Lebensjahr erlebt und 13 % der befragten Frauen sexuelle Gewalt erlitten haben; 40 % erlitten körperliche und/oder sexuelle Gewalt.
58 % der Befragten haben unterschiedliche Formen von sexueller Belästigung erfahren und 42 % aller an der Umfrage Beteiligten erfuhren Formen von psychischer Gewalt wie systematische Abwertung, Demütigung, Ausgrenzung, Verleumdung, schwere Beleidigung, Drohung und Psychoterror.
Gewalt in ihren verschiedenen Formen und Ausprägungen, von Belästigung auf der Straße über Übergriffe im Berufsleben bis hin zu Misshandlung und sexuellem Missbrauch, innerhalb und außerhalb der Familie, gehören für einen großen Teil der Frauen in Deutschland zum Alltag. Am häufigsten werden dabei immer noch Frauen im persönlichen Nahbereich Opfer von Gewalt, nämlich jede vierte Frau, die in einer Partnerschaft gelebt hat, hat körperliche (23%) oder- zum Teil zusätzlich - sexuelle (7%) Übergriffe erlebt. Und, wie aus dem Flyer zur Einladung der Norderstedter Fachtagung zu entnehmen ist, 2/3 der Frauen die Opfer häuslicher Gewalt werden, geben an, dass auch ihre Kinder Gewalt erleben.
Die Ergebnisse der Studie sind eindeutig, aber für Erschrecken sorgen sie nicht. Die Erkenntnisse sind nicht neu, lediglich inzwischen empirisch belegt. Aber auch in den Jahren davor war bekannt, dass jährlich in der Bundesrepublik über 45.000 Betroffene ins Frauenhaus flüchten. Dass sind mehr als 100 Frauen an einem einzigen Tag. Zentrales Anliegen der Studie war es, teilte das Ministerium mit, bestehende Forschungsdefizite über das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen zu schließen, eine empirisch solide, dem europäischen Standard angemessene Datenbasis für gezielte Maßnahmen und Strategien zum Abbau der Gewalt im Geschlechterverhältnis zu schaffen, sowie den konkreten Handlungs- und Hilfsbedarf zu ermitteln.
Der konkrete Handlungs-und Hilfsbedarf dürfte durch die Studie unzweifelhaft ermittelt sein. Aber mehr als ermitteln ist nicht drin. Wissen schützt vor Dummheit nicht. Taten lässt die Bundesregierung nicht folgen:
Obwohl die Studie eindeutig feststellt, dass die Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden, erheblich ansteigt, je unselbstständiger und abhängiger die Lebenssituation einer Frau ist und je geringer der ihr zugesprochene soziale Status ist, wird durch die Einführung von Hartz IV alles drangesetzt, die traditionelle Frauenrolle festzuschreiben. Ein weiterer Aspekt der Forschung war die Befragung bestimmter Gruppen von Frauen, die als Minderheiten gelten und zu denen bei standardisierten Datenerhebungen ein schwierigerer Zugang besteht. Diese Sonder-Erhebungen erforschten Prostituierte, strafgefangene Frauen, Frauen mit Behinderung und Flüchtlinge. Obwohl gerade Frauen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus besonders häufig Gewalterfahrungen erleiden müssen, ist ihr Schutz am wenigsten gewährleistet. Das beginnt schon bei der Unterbringung von Flüchtlingen in isolierten Sammelunterkünften, in denen häufig keine getrennten sanitären Anlagen für Frauen und Männer vorgesehen sind. Ein weiteres Manko ist die Tatsache, dass MigrantInnen und Flüchtlinge ihre gewalttätigen Partner nicht verlassen können, da sie sonst ihren Aufenthaltsstatus verlieren. Oft erdulden diese Frauen, häufig zusammen mit ihren Kindern, über lange Zeiträume die Gewaltverhältnisse, da sie ihre Abschiebung befürchten. Der Hamburger Senat hat sich in diesem Jahr darum bemüht, diesen unhaltbaren Zustand noch zu verschärfen: Es wurde nicht nur die Schließung des 1. Hamburger Frauenhauses beschlossen, obwohl die Einrichtung voll ausgelastet war, es wurde zudem angeordnet, dass Frauen und Kinder mit einer Duldung oder Aufenthaltsgestattung zukünftig kein Recht auf den Schutz im Frauenhaus haben. In einer Erklärung zur Demonstration gegen die Schließung des Frauenhauses fragt das Hamburger Sozialforum: "Ist der Schutz vor Gewalt und das Grundrecht auf Unversehrtheit eine Frage des Status und ein Privileg nur für bestimmte Frauen? Wir fordern das Recht auf Schutz und Unterstützung im Frauenhaus für alle gewaltbetroffenen Frauen und Kinder !"
Und wie sieht es im Kreis Segeberg aus ? Aus dem Flyer zur Einladung zur Fachtagung anlässlich des Protesttages gegen Gewalt an Frauen ist zu entnehmen: "Mit dem In-Kraft-Treten des Gewaltschutzgesetzes im Jahr 2002 ist der Schutz von Opfern häuslicher Gewalt deutlich verbessert worden. Aktuell gerät neben den betroffenen Frauen verstärkt die Situation der Kinder, die in einem Umfeld häuslicher Gewalt aufwachsen, in den Vordergrund." Es ist nicht einmal ein Jahr her, da wurde für den Kreis eine Kürzung der Beratungsgelder für Frauen und Kinder beschlossen. Diese rabiaten Einsparungen betreffen vor allem Opfer von (sexualisierter) Gewalt, obwohl der Bedarf fachlicher Unterstützung in den letzten Jahren stetig anwuchs.
"Trotz eindeutiger Fallzahlen", berichtete die Norderstedter Zeitung im Dezember des letzten Jahres, "und großer Erfolge bei der Umsetzung des Gewaltschutzgesetzes hätten die Beratungsstellen ihre ohnehin knappen Forderungen nicht durchsetzen können." Wenigstens die Platzzahlen des Norderstedter Frauenhauses blieben nach einigen erbitterten Kämpfen unangetastet.
Im Anschluss an die Fachtagung, welche von der KIK-Runde
( Kooperations- und InterventionsKonzept gegen häusliche Gewalt an Frauen) des Kreises wird von den Beteiligten ein Forderungskatalog zur Verbesserung der Situation im Kreis Segeberg erarbeitet werden. Eine Forderung dürfte schon jetzt klar sein: Die Standards zurückzuerhalten, mit denen in den vergangenen Jahren erfolgreiche und unverzichtbare Arbeit geleistet wurde.