- Themen
- Alternative Zentren
- Arbeit & Kapital
- Behindertenpolitik / Assistenzbedürftige
- Bildung
- Energiepolitik
- Faschismus / Antifaschismus
- Flucht und Migration
- Frauen / Feminismus
- Frieden
- Geschichte
- Internationalismus
- Jugendpolitik
- Kindergärten & Kinderbetreuung
- Kommunalpolitik
- Kultur
- Landesgartenschau & Stadtpark
- Lesbisch/Schwules
- Medien
- Medizinische Versorgung & Gesundheit
- Polizei & Justiz
- Religion
- Repression / Antirepression
- Sonstige
- Soziales
- Sport
- Stadtentwicklung
- Umwelt
- Verkehr
- Artikel Altbestand
- Schlagworte
- Galerien
- Links
- Termine
- Über uns
+ + + ARCHIVIERTER INHALT + + +
Diese Seite kommt aus unserem Archiv und enthält möglicherweise Informationen, die nicht mehr aktuell sind. Bitte beachten Sie das Veröffentlichungsdatum dieser Seite.
Sonntag, 17. September 2006, 2:00 Uhr
"Großes kreisangehöriges Gesundheitsamt"
Aus der Bahnhofsstraße in die Hausmeisterwohnung
von Mathilda Nymann | "Wir haben immer die Schwierigkeit gehabt, dass die Menschen für viele Angelegenheiten selbst heute noch bei der großen Stadt Norderstedt nach Segeberg fahren müssen. Eine Dreiviertel Stunde hin, eine Dreiviertelstunde zurück um formale Verwaltungsdinge zu erledigen." Diese Situation beschrieb Hans Joachim Grote vor zwei Jahren, und argumentierte damit, wie sehr die NorderstederInnen von dem neuen Status der großen kreisangehörigen Stadt profitieren könnten. Alles sollte ein bisschen unkomplizierter und bürgernäher werden, versprach der Bürgermeister, der durch den neuen Titel der Stadt zum Oberbürgermeister avancierte. SPD und GALIN führten damals dieses Argument des Stadtchefs in ihren Presseerklärungen ad absurdum und wiesen daraufhin, dass doch schon jetzt fast alle Behördengänge in Norderstedt zu erledigen wären und bereits eine Außenstelle des Gesundheits- und Jugendamtes existieren würde.
Womit wohl niemand gerechnet hat: Die Serviceleistungen für die NorderstedterInnen haben sich seit dem Sonderstatus der Stadt nicht wie erwartet gebessert, sondern in Sachen Gesundheitsamt entscheidend verschlechtert.
Das Gesundheitsamt ist nicht etwa aus der Obhut der Kreisverwaltung herausgehoben und in die Aufgabenbereiche der kreisgrößten Stadt eingebettet worden. Das Gesundheitsamt in der Bahnhofstrasse ist ganz einfach verschwunden. Aus Kostengründen, wie der Landrat verlauten lässt.
...den Norderstedtern geht es noch gut...
Wer aber den Weg in die Kreisstadt nicht bewältigen kann oder will, hat die Möglichkeit, im Kreisamt Segeberg einen Termin für Norderstedt zu vereinbaren: In der ehemaligen Hausmeisterwohnung des Jugendfreizeitheimes "Buschweg" finden neuerdings nach Terminabsprache Untersuchungen statt. Technisch seinen die Räume "am Knick" voll ausgestattet, versichert die Leiterin des Kreisgesundheitsamtes, Frau Dr. Meißner, es gäbe sogar ein Wartezimmer. Das mag sein, die Wahrheit ist aber auch, dass es bereits Mühe macht, die Räumlichkeiten überhaupt zu finden. Von der unbefestigten Straße aus ist zwar das Jugendfreizeitheim zu identifizieren, ein Hinweisschild zur Außenstelle des Kreisgesundheitsamtes gibt es nicht. Links und rechts gibt es keine benachbarten Gebäude. erst hinter einem Mauervorsprung an der Eingangstür des unscheinbaren Hausmeisterbungalows befindet sich ein Plastikschild mit der Aufschrift: Untersuchungsstelle. Keine Sprechzeiten, keine Telefonnummer, gar nichts. Kein Hinweis, wie man Kontakt aufnehmen kann. Wer nicht durch Hörensagen oder durch das renitente Recherchieren im Internet auf die Telefonnummer in Segeberg stößt, hat keine Chance. MitarbeiterInnen in den Sozialen Einrichtungen der Stadt hören immer wieder, dass Menschen sich auf dem Weg zu ihrem Termin verlaufen und in dem Nebengebäude eines Jugendfreizeitheimes nicht unbedingt einen Amtsarzt erwarten. Finden Hilfesuchende die Adresse aber doch, stehen sie nur zu oft vor verschlossener Tür: Während auf der offiziellen Homepage des Kreises Segeberg noch immer feste Beratungszeiten in Norderstedt angegeben sind, finden diese schon lange nicht mehr statt, ohne Anmeldung geht gar nichts....
Dabei geht es den NorderstedterInnen noch gut, erfährt man im Gespräch mit Frau Dr. Meißner vom Kreisgesundheitsamt. Immerhin haben die hiesigen BürgerInnen noch die Möglichkeit, vor Ort (wenn auch auf etwas abenteuerliche Weise) Serviceleistungen vom Gesundheitsamt zu erhalten. Ganz anders ist die Situation für Menschen aus Kaltenkirchen, Henstedt-Ulzburg und den benachbarten Ortschaften. Bisher suchten die BewohnerInnen dieser einwohnerstarken Region bei Bedarf das Gesundheitsamt in der Bahnhofstrasse auf. Die frühere Außenstelle war ideal an das Nahverkehrsnetz angebunden, die AKN-Station nur ein paar Schritte entfernt. Diese Zeiten sind vorbei. In der Norderstedter Untersuchungsstelle, die ohnehin sehr viel ungünstiger zu erreichen ist, werden auch nur NorderstedterInnen behandelt. Die EinwohnerInnen der benachbarten Ortschaften müssen den umständlichen und beschwerlichen Weg in die Kreisstadt alternativlos über sich ergehen lassen. Das ist nicht nur teuer (eine einfache Fahrt nach Segeberg, Rückfahrt noch nicht eingerechnet, kostet per Autokraftbus 5;20 Euro), sondern für einen proportional großen Besucherkreis des Gesundheitsamtes, den Psychiatriepatienten, welche in hohem Maße auf eine Frequentierung des Gesundheitsamtes angewiesen sind und die z.B. an einer Angststörung, oder an Antriebsschwäche auf Grund einer Depression etc. leiden, einfach kaum zu überwinden.
Was schnell übersehen wird: Das Gesundheitsamt an der Bahnhofsstrasse galt seit Jahren für den gesamten westlichen Teil des Kreises als Basiselement in der sozialpsychiatrischen Versorgung der Region.
Sozialpsychiatrische Engpässe in der Region
Fatal sind die Veränderungen rund um das Gesundheitsamt also vor allem für Menschen mit Psychiatrieerfahrungen, denn gerade im sozialpsychiatrischen Bereich bekleidete die Außenstelle an der Bahnhofsstrasse eine notwendige Schnittstellenfunktion zwischen PatientInnen, Angehörigen, niedergelassenen Ärzten, Kostenträgern für therapeutische Maßnahmen, Kliniken, und jenen Einrichtungen, die ambulante und teilstationäre Hilfen anbieten.
Vor fast jedem Hilfsangebot, welche Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen für sich in Anspruch nehmen können, ob Betreuung im eigenen Wohnraum, eine berufliche Reha oder vor einem Umzug in eine betreute Wohngemeinschaft, steht die Begutachtung durch das Gesundheitsamt. Psychisch erkrankte Menschen, wird deutlich, sind dringend darauf angewiesen, dieses Amt in ihrer Nähe zu haben. Das Norderstedter Gesundheitsamt übernahm vielfältige Aufgaben der gemeindepsychiatrischen Versorgung: Die MitarbeiterInnen waren zuständig für die Beratung der Erkrankten und ihren Angehörigen, sie waren im psychiatrischen Notfall schnell vor Ort und machten Hausbesuche. Auch wenn die MitarbeiterInnen bemüht sind, diese Funktionen in abgespeckter Form noch immer zu erfüllen, ist ein Qualitätsverlust ( vor allem für den Nordwestlichen Teil des Kreises) nicht von der Hand zu weisen. Ist die gemeindepsychiatrische Versorgung im Kreis auf dem absteigenden Ast ?
Kreis Segeberg- peinliches Schlusslicht in Sachen Gemeindepsychiatrie
Der psychiatriekritische Film "Einer flog über das Kuckucknest" war bereits zum Klassiker geworden und die Psychiatriebewegung ein alter Hut, als der Kreis Segeberg sich dazu durchringen konnte, die psychiatrischen Hilfen in der Region zu dezentralisieren. Als vor zehn Jahren die ersten psychosozialen Zentren im Kreis installiert wurden, feierten andernorts ähnliche Einrichtungen bereits ihr zwanzigjähriges Jubiläum. Historisch ist der Kreis Segeberg ohne Zweifel ein peinliches Schlusslicht in Sachen Gemeindepsychiatrie. Dieser Buhmannstatus wird konsequent beibehalten: Der Kreis Segeberg gehörte zu den letzen, die ambulante Hilfen für psychiatrisch erkrankte Menschen einrichteten. Zählt er jetzt zu den ersten, die dieses bewährte und notwendige Konzept wieder einstampft ?
Es sieht so aus. In der über siebzigtausend Einwohner zählenden Stadt Norderstedt gibt es lediglich einen zeitweilig in der Stadt residierenden sozialpsychiatrischen Dienst. Es muß schon ein großer Zufall sein, wenn sich alle psychiatrischen Notfälle die sich in der größten Stadt des Kreises abspielen, immer dann ereignen, wenn gerade ein Kollege aus Segeberg zugegen ist. Diese Miesere verstärkt sich durch den Umstand, dass es in der Region Norderstedt zu wenige niedergelassene PsychiaterInnen gibt. Eine Versorgungslücke, die schon lange bekannt ist und eine gut aufeinender abgestimmte gemeindepsychiatrische Arbeit erschwert. Und obwohl psychiatrische Erkrankungen zunehmen (Udo E. Müller, Bezirksgeschäftsführer der AOK Norderstedt, berichtet von einer Zunahme psychosozialer Erkrankungen um 10 Prozent) wurden, nur ein Beispiel, die Zuschüsse für die Begegnungstätten der psychosozialen Zentren im Kreis um -zufällig ebenfalls 10 Prozent- gekürzt, obwohl die Frequentierung der Einrichtungen in den letzten Jahren stetig und nachweislich zunahm. Keine schöne, aber leider eindeutige Entwicklung...
"Der Gewinner sind nicht wir, sondern der Kreis..."
Aber zurück zum Kreisgesundheitsamt: Es drängt sich die Frage auf, warum Norderstedt, mit seinem Sonderstatus der ersten großen kreisangehörigen Stadt Schleswig-Holsteins eben jene elementare Versorgungsaufgabe für seine BewohnerInnen nicht übernimmt. Verwaltungstechnisch, scheints, hat sich in Norderstedt nicht viel getan, seit der Modellversuch seit zwei Jahren läuft. Die Stadt sei zwar inzwischen zuständig für das Jugendamt und die untere Naturschutzbehörde. Aber so richtig zuständig dann doch wieder nicht. Wer zum Beispiel so wichtige Dinge, wie die gemeinsame elterliche Sorge beantragen will, muss noch immer nach Segeberg reisen. In den Bürgern dürften keine zu hohen Erwartungen geweckt werden, ließ SPD-Fraktionschef Johannes Paustenbach zu diesem Thema in der Norderstedter Zeitung verlauten. Der erhoffte und erwartete bessere Service lasse auf sich warten. Mehr Stellen seien weder für die Jugendbetreuung noch für die untere Naturschutzbehörde vorgesehen. "Der Gewinner sind nicht wir, sondern der Kreis, der 127500 Euro pro Jahr spart."
Und in Sachen Gesundheitsamt ? Irgendwie kann niemand ausreichende Antworten geben. Ja, erfährt man vom ärztlichen Leiter des Kreises, Dr. Willart, es hat zwischen Stadt und Kreis Gespräche um eine Übernahme des Gesundheitsamtes gegeben. Aber die Einigung sieht einen Weiterbetrieb durch den Kreis vor. Eine Veränderung sei nicht geplant. Auch Kai-Jörg Evers, Pressesprecher der Stadt Norderstedt weiß nicht den genauen Grund, warum auch weiterhin der Kreis und nicht die Stadt die Leitung des Gesundheitsamtes übernimmt. Lediglich Frau Dr. Meissner, Leiterin des Kreisgesundheitsamtes sagte zu der Frage sehr vorsichtig: "Wenn jemand heutzutage ein Gesundheitsamt einrichten will, muss er sich klar sein über die Kosten, über den personellen Bedarf..."
Neckische Spielchen um Zuständigkeiten
Etwas hat aber geklappt, wenn es um die veränderten Aufgaben der Stadt auf Grund des Statuswechsels geht: Die Baubehörde in Norderstedt ist inzwischen weitestgehend unabhängig. Baugenehmigungen können viel unkomplizierter beschieden werden. Das freut uns. Vielleicht ist es perspektivisch sogar möglich, der Hausmeisterwohnung, in der das hiesige Gesundheitsamt untergebracht ist, zumindest ein von der Straße aus sichtbares Hinweisschild zu spendieren ?
Das wird nicht gehen, erfährt man vom Norderstedter Pressesprecher, diese Zuständigkeit fällt ja wohl ganz klar in den Bereich der Kreisverwaltung. Schon lustig, dass man von Mitarbeitern des Kreises zu hören bekommt, was das Gebäude und seine Lage und Ausstattung beträfe, sei natürlich Norderstedt in der Verantwortung. Aber diese neckischen Spielchen zwischen Stadt und Kreis sind nun wirklich nichts neues. Diese Büchse der Pandora sollte für diesen Artikel nun wirklich nicht mehr geöffnet werden...
"Großes kreisangehöriges Gesundheitsamt", Straßenansicht