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Dienstag, 17. Februar 2004, 1:00 Uhr

"Gnade vor Recht ergehen lassen..?."

Über die Arbeit des Norderstedter Frauenhauses

Infoarchiv | Auch wenn der bittere Kelch der Kürzungen am Frauenhaus in Norderstedt in diesem Jahr noch einmal vorbeigegangen ist und es auf Grund engagierten Widerstands nicht zu der gedrohten Platzreduzierung kam, gibt es für die Mitarbeiterinnen und Nutzerinnen des Frauenhauses nicht nur Grund zum Frohlocken.
"Es ist bei uns wie überall im sozialen Bereich ", erzählt eine Mitarbeiterin des Frauenhauses, " das Wasser steht vielen bis zum Hals." Für die BetreuerInnen im Norderstedter Frauenhaus bedeutet dies, dass nicht mehr alle anfallenden notwendigen Aufgaben in den bewilligten Arbeitstunden zu bewältigen sind. Vermehrt kommt es vor, dass Tätigkeiten außerhalb der Arbeitszeit mit nach Hause genommen werden.
Dieser zunehmende Druck trifft aber wie überall nicht nur die MitarbaieterInenn sozialer Eiunrichtungen. Er trifft vor allem Menschen in sozialen Notlagen.
Davon wissen die langjährigen Mitarbeiterinnen des bald 20 Jahre bestehenden Frauenhauses die eine oder andere bittere Anekdote zu berichten .
"Der Druck wird größer", erklärt Susanne Haußmann, die Leiterin des Frauenhauses, "alles schneller und effektiver zu machen." Welche Auswirkungen das hat, zeigt sich an folgenden Beispielen :
- Da gibt es z.B. die Sozialämter, die sich verweigern, Gelder für Kinderkleidung zu bewilligen, wenn Frauen mir ihren Kindern nach ihrer Flucht vor dem gewalttätigen Mann nichts anderes bei sich haben als eben das, was sie gerade "auf dem Leib tragen". Das Sozialamt argumentiert dann in manchen Fällen, es wäre ja genug in der verlassenen Wohnung vorhanden und es wird nicht eingesehen, warum es für eine traumatisierte Frau unzumutbar ist, Kleidung für sich und die Kinder aus der Wohnung zu holen, die sie mit dem gewalttätigen Ehemann oder Lebensgefährten teilte, und die dieser noch bewohnt.
- Eine weitere große Schwierigkeit ist die Vermittlung von Wohnraum und Arbeitsplätzen. "Ich will mein Leben in den Griff kriegen", ist der häufig formulierte Wunsch der Frauen, nach dem sie von den oft unaussprechlichen Erfahrungen im Frauenhaus etwas Abstand gewinnen konnten. Viele möchten endlich unabhängig leben. Aber zu oft ist den Frauen der Weg in ein selbstbestimmtes Leben verwehrt, da äußerliche Faktoren, Vorurteile und gesellschaftliche Realitäten ein solches Leben unmöglich machen. Diese Barrieren beginnen schon bei der Wohnungssuche. "In den letzten 12 Jahren, war es gar nicht möglich in Norderstedt Wohnungen für Frauen aus dem Frauenhaus zu finden", berichtet eine Mitarbeiterin. Auch und gerade die grossen Genossenschaften und Wohnungsbauunternehmen mit ihrem Pool an staatlich geförderten §-5-Schein Wohnungen verweigern die Vermietung an Frauen, die nach ihrem Leben im Frauenhaus wieder auf eigenen Füssen stehen wollen. Ganz und gar aussichtslos ist die Wohnungssuche für im Frauenhaus lebende Migrantinnen. Die Wohnungsgesellschaft Plambeck argumentiert bei ihren Ablehnungen gerne mit dem Schlagwort "sozialer Durchmischung". Was soviel bedeutet, dass, wenn in einem Haus schon "Ausländer" wohnen, man nicht noch einen oder eine will, die "Balance" muss schließlich gehalten werden...Neben diesem offen rassistischen Konzept tun sich Vermieter zudem schwer, an alleinerziehende Frauen zu vermieten. Vor allem dann, wenn die Frauen keinen Arbeitsplatz vorzuweisen haben.
- Und da zeichnet sich bereits das nächste Problem ab: Die Arbeitslosenstatistik sieht trotz aller kosmetischen Täuschungsmannöver in Norderstedt eben so verherrend aus, wie im Rest der Republik. Es muss nicht erwähnt werden, dass diese Situation für Alleinerziehende die gerade aus dem Frauenhaus kommen, noch problematischer ist. Inzwischen verweigern selbst Leihfirmen, diese Frauen in ihre Vermittlungskarteien aufzunehmen.
- Es bedarf nicht viel Phantasie, sich auszumalen, wieviel Arbeitszeit der Mitarbeiterinnen des Frauenhauses allein für die Existenssicherung der Hilfesuchenden aufgebraucht werden muss und wieviel erniedrigende und entmutigende "Windmühlenkämpfe" jede der Bewohnerinnen auf sich nehmen muß, um sich ein "Leben nach dem Frauenhaus" zu erarbeiten. Oft erscheint es hoffnungslos. Wer keine Wohnung hat findet keine Arbeit, wer keine Arbeit hat, kriegt keinen Kindertagesstättenplatz, aber ohne Kindertagesstättenplatz kann eine alleinerziehende Faru nicht arbeiten und ohne Arbeit gibt es keine Wohnung und keine Perspektive auf ein unabhängiges Leben.... Ein schrecklicher Teufelskreis, der bewußt macht, dass die materielle Abhängigkeit, die Frauen früher zwang bei ihren gewalttätigen Männern auszuharren, längst kein alter Hut ist, sondern zunehmend wieder zur Realität wird. Der unter dem Begriff Agenda 2010 gefaßte Sozialabbau wird genau das zunehmend zur Folge haben: Eine wachsende Abhängigkeit von der finanziellen Unterstützung des Mannes.
- Ein anderes schwerwiegendes Problem, welches die Mitarbeiterinnen während der Jahreshauptversammlung des Frauenhauses schildern, sind die Auswirkungen des erschreckend florienden Frauenhandels. Es gibt namentlich bekannte Männer aus Norderstedt und Henstedt-Ulzburg, die sich im flotten Rhythmus von etwa zwei Jahren Frauen aus Katalogen aussuchen, diese menschenverachtend behandeln und nach einiger Zeit wieder loswerden wollen, um sich "eine Neue" anschaffen zu können. Diese Frauen, häufig aus Asien, zunehmend aber aus Osteuropa, wissen häufig nicht, wohin sie sich in einem fremden Land wenden können, um Hilfe zu bekommen.
- Haben sie es aber geschafft, der häuslichen Gewalt irgendwie zu entkommen, droht ihnen die Abschiebung. Denn nur wer zwei Jahre verheiratet war, hat ein Bleiberecht. Immer wieder erleben die Mitarbeiterinnen die Verzweiflung dieser Frauen, die sich oft in ihrer Situation gezwungen sehen, sich wieder zu verheiraten, weil ihnen alleinstehend in Deutschland jegliche Lebensgrundlage genommen wird.

In diesem Monat, erzählen die Mitarbeiterinnen des Norderstedter Frauenhauses, hat sich ein Vermieter dann doch überreden lassen, an eine Frau aus dem Frauenhaus zu vermieten. Sein Kommentar zu dieser "großzügigen Handlung" war :" Na, da will ich mal Gnade vor Recht ergehen lassen..."
Dieser Satz spiegelt sehr eindrucksvoll die Situation der (mißhandelten) Frauen. Häusliche Gewalt und Vergewaltigungen in der Ehe sind erst seit kurzem strafbar. Einiges verändert sich zwar, aber es verdeutlicht sich letztenendes, dass mißhandelte Frauen zwar Zuflucht finden können, dass aber ein generelles Recht für Frauen auf ein gewaltfreies, selbstbestimmtes und herrschaftsfreies Leben nicht vorgesehen ist. Deutlich wird dies z.B. in der Tasache, das in Deutschland frauenspezifische Fluchtgründe, wie Zwangsverheiratungen, Beschneidungen, familiäre Gewalt nach wie vor nicht anerkannt sind. Deutlich wird dies auch in dem Umgang mit zur Prostitution gezwungenen und teilweise wie Sklavinnen gehaltenen Frauen aus Osteuropa, deren "Befreiung und Schutz" lediglich darin besteht, sie alsbald wie möglich abzuschieben.

Veröffentlicht in Frauen/Feminismus mit den Schlagworten Henstedt-Ulzburg, Norderstedt, Plambeck