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Freitag, 23. Dezember 2005, 1:00 Uhr
Frohe Weihnachten!
Die Hochbahn, der Kreis Segeberg und die Obdachlosen
Als die Welt noch "in Ordnung" war: Der Bahnhof Norderstedt-Mitte 1981 auf einem Bild des "Eisenbahnfotografen" - und ohne Obdachlose.
Olaf Harning | Die Hamburger Hochbahn lässt regelmäßig zu Betriebschluss Obdachlose und andere "Randständige" an der U1-Endhaltestelle Norderstedt-Mitte aus den Fahrgastzügen- und vor allem: aus dem Bahnhofsgebäude werfen. Auch im Winter und ohne jede Hilfestellung, wie mehrere Augenzeugen jetzt wieder kritisieren. Stefan Karrenbauer, Sozialarbeiter beim Straßenmagazin Hinz & Kunzt, kommentiert zynisch: "Die Menschen wachen immer erst dann auf, wenn wieder ein Obachloser erfroren ist".
Ein Donnerstag Anfang Dezember 2005: Dirk Antony Fee kommt spät aus Hamburg zurück. Er hat die letzte Bahn der U1 aus der Innenstadt genommen, die gegen ein Uhr in Norderstedt-Mitte ankommt. Und er muss feststellen: Fahrgäste, die irrtümlich bis hier mitgefahren sind, stehen vor einem Problem, gibt es um diese Zeit doch kein Zurückkommen mehr, zumindest nicht mit der Bahn. Die U1 nimmt ihren Betrieb erst gegen 4.30 Uhr wieder auf. Als er aussteigt, beobachtet Fee, wie Bedienstete der Hochbahn einen offensichtlich alkoholisierten und "randständigen" Mann wecken, und ihn lautstark zum Verlassen des Bahnhofes auffordern. Als dieser - kaum mehr Herr seiner Sinne - die Anweisungen ignoriert, legen die Männer Hand an und befördern den Mann zwar vorsichtig aber doch mit Nachdruck aus dem Bahnhof. Fee protestiert und liefert sich eine verbale Auseinandersetzung mit den Beschäftigten der Hochbahn-Wache - jedoch ohne Ergebnis. Dirk Antony Fee ist Fördermitglied und ehrenamtlich Aktiver der Hamburger Obdachlosen-Einrichtung Café mit Herz und hat daher auch anderweitig Erfahrung in der Straßensozialarbeit. Er ist vom Vorgehen der Hochbahn erschüttert. Andreas Ernst, Pressesprecher der Hamburger Hochbahn, bestreitet derlei Vorkommnisse nicht. Für ihn handelt es sich hierbei zwar um ein "schwieriges und sensibles Thema", die Hochbahn habe aber keine andere Wahl: Ließe man die Bahnhöfe offen, so die Erfahrung, würden sich Obdachlose oder einfach nur volltrunkene Menschen auch in die Tunnel und auf die Gleisanlagen bewegen, das sei nicht zu verantworten. Stefan Karrenbauer von Hinz & Kunzt schüttelt ob dieser Vorgehensweise trotzdem den Kopf. Zwar scheint ihm das Argument der Gefährdung durchaus schlüssig, dennoch hält er es für fahrlässig, die Betroffenen einfach auf die Straße zu setzen. Sie müssten zumindest Hilfe erhalten, in eine sichere Unterkunft zu gelangen oder - etwa im Falle stark alkoholisierter Personen - in ärztliche Behandlung kommen. Diese Hilfe erhalten sie auch - zumindest nach den Worten von Hochbahn-Sprecher Ernst: Nach seinen Angaben sind die Beschäftigten der hier zuständigen Hochbahn-Wachen im Umgang mit Obdachlosen und "Randständigen" geübt. Der "Umgang mit diesem Klientel" sei zwar "nicht immer leicht", dennoch würden die Hochbahn-Wachen einen sensiblen Umgang pflegen. Allerdings wären nachts häufig auch Techniker im Einsatz und somit in Kontakt mit "dem Klientel", und die - so Ernst entschuldigend - sind halt Techniker, glauben Sie mir". "Hilflos zurückgelassen", so der Hochbahn-Pressesprecher, "wird von uns aber grundsätzlich niemand.". In Hamburg gibt es zu diesem Zweck enge Kooperationen mit der Sozialbehörde, in Norderstedt - glaubt der Pressesprecher - "wohl mit dem Sozialdezernenten". Eben jener - Dr. Harald Freter (SPD) - war am Freitag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Zu den Hilfsangeboten der Hochbahnwache sagt auch Dirk Antony Fee ziemlich direkt: "Quatsch, ich erlebe den Rauswurf von Obdachlosen regelmäßig und ein Hilfsangebot findet da grundsätzlich nicht statt". Schon mehrfach hätten sich die Betroffenen nach ihrem Rauswurf sogar an ihn gewandt und nach Unterschlupf gefragt. "Die wissen nicht, wo sie in Norderstedt hin können. Sie sind unsicher, und sie frieren. Die Hochbahn-Wachen zucken mit den Schultern oder sagen, dass sie nur ihre Arbeit machen".
Fee kritisiert in diesem Zusammenhang auch die Abschaffung des sogenannten Sozialtickets in Hamburg. Damit wären zu allem Überfluss viele sozialschwache NutzerInnen von Bussen und Bahnen zu SchwarzfahrerInnen geworden. In einer der letzten Ausgaben des Straßenmagazins etwa hatten mehrere Obdachlose bekundet, sie könnten schlicht nicht mehr als 25 Euro monatlich für Fahrkarten berappen - weit weniger als sie jetzt eigentlich aufwenden sollen. Schon einmal war die Hochbahn wegen ihrer Bahnhofs-Politik in die Kritik von Obdachlosen-Initiativen und Sozialverbänden gekommen: Als im Winter 1997/1998 Temperaturen von zeitweise unter -10 Grand erreicht wurden, öffnete die Deutsche Bahn in Hamburg ihre Bahnhöfe und Anlagen für Obdachlose. Einzig die Hochbahn verweigerte dies selbst in dieser Situation. In diesem Winter erfroren in Deutschland 27 Menschen auf der Straße, in Hamburg starb nur mit viel Glück niemand. Laut Stefan Karrenbauer ist die Zahl der "auf Platte" sterbenden Wohnungslosen ohnehin weit höher, als die offiziellen Zahlen glauben machen: Natürlich, so der Sozialarbeiter, würden die Menschen, wenn sie mit Erfrierungen aufgefunden werden, sofort in Krankenhäuser gebracht. Dort sterben dann viele Betroffene erst nach Tagen. Genau diese Opfer der gesellschaftlichen Kälte fehlen aber in jeder Statistik. Hinz & Kunzt verzeichnet jährlich 75 Hamburger Tote aus dem Milieu - allerdings alle Todesarten zusammen genommen. Auch ohne die Probleme mit der Hochbahn haben Obdachlose in Norderstedt einen ebenso schweren Stand: Seit Jahren streiten sich Stadt und Kreis etwa über die Finanzierung der Obdachlosenunterkunft im Langenharmer Weg. Während der Kreis Segeberg eigentlich mehr zahlen müsste, aber angeblich kein Geld dafür hat, hätte die Stadt Norderstedt eben dies, muss aber nicht zahlen. Diese Spirale der Ignoranz der Verantwortlichen endete bereits einmal fast tödlich: Polizeibeamte bargen am 24. Februar diesen Jahres den schon reglosen Körper eines Obdachlosen mit schweren Erfrierungen. Schon damals fragte das Info Archiv: "War es alleine der Alkohol, der den 43jährigen das Risiko des Erfrierens eingehen ließ, oder hielten ihn vielleicht doch die unannehmbaren Umstände in der vorhandenen Hilfseinrichtung davon ab, dort Schutz zu suchen?" Fröhliche Weihnachten!