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Freitag, 3. Februar 2006, 1:00 Uhr
Freisprüche für Nazi-Schläger
Amtsgericht und Staatsanwaltschaft verharmlosen rechte Gewalt
Info Archiv Norderstedt | Es war im Juli vergangenen Jahres, als Ali, Hicran und Ugur Erman das Schützenfest in Seth besuchen wollten. Doch schon nach kurzer Zeit war für sie das Fest vorbei: Neben ihnen und zahlreichen Sether BürgerInnen waren auch ein- bis zwei Dutzend rechtsradikaler Dorfjugendlicher aus Nahe und Itzstedt erschienen und veranstalteten eine kleine Menschenhatz. Nichts "Besonderes", wenn man die regelmäßigen rassistischen Übergriffe und Erniedrigungen zugrunde legt, mit denen die Jungfaschisten ihre Wochenenden zubringen, aber immerhin eine kleine Menschenhatz.
Ali, Hicran und Ugur wurden also durch die nächtlichen Straßen gejagt, Ali Erman schließlich "erhascht" und zusammengeschlagen. Daran - wieder einmal - beteiligt: Willy T., Phillip Sch. und Hans Kristian W.. Ganz richtig stellte das Gericht nun fest: "Auffällig ist, dass immer dann, wenn die drei Angeklagten (...) erscheinen, es zu Randale und Gewalt kommt." Dass es jedoch meist Ausländer oder politisch Andersdenkende sind, die verprügelt oder gejagt werden, interessiert offensichtlich wenig. Auch für das obligatorische Grölen rassistischer Parolen zeigten weder Gericht noch Staatsanwaltschaft Interesse. Aber der Reihenfolge nach: Das Amtsgericht verhandelte insgesamt vier Fälle, in denen jeweils mindestens einer der drei genannten Faschisten angeklagt war.
Nasenbeinbruch aus Versehen
Das erste Verfahren richtete sich gegen Phillip Sch. (19 Jahre, arbeitslos, wohnt in Nahe bei seinen Eltern). Der Vorfall ist einfach beschrieben: Am Rande einer Disco-Veranstaltung auf dem Schulgelände in Nahe am 11. Juni 2004 tritt Sch. dem 17jährigen Julien J. ohne erkennbaren Grund in "die Weichteile". Als der sich noch wegdrehen kann, folgt ein Faustschlag ins Gesicht - J. geht mit gebrochener Nase bewusstlos zu Boden. Kurz zuvor waren Sch. und Kumpanen vom Sicherheitsteam der Party vor die Tür gesetzt worden. Warum? Das schien das Gericht nicht zu interessieren. Da Sch. sich in einem Zivilprozess bereits zur Zahlung von 1.000 Euro Schmerzensgeld bereit erklärt hatte, und J. darauf hin seine Strafanzeige zurückzog, plädierte der Staatsanwalt im Hinblick auf diesen "Täter-Opfer-Ausgleich" auf Freispruch. Ach ja: Sch. hatte den Vorfall anders im Gedächnis: Er habe nur einen Freund von hinten "anspringen" wollen, J. dabei wohl "versehentlich getroffen".
"Pack schlägt sich, Pack verträgt sich"
Der nächste Fall nur drei Monate später, angeklagt diesmal Hans Kristian W. (20, arbeitslos, werdender Vater, wohnt in Itzstedt bei seinen Eltern). Auf einer Geburtstagsfeier bei Sch. und dem dritten Schläger Willi T. in der Segeberger Chaussee in Itzstedt wird "Pogo" getanzt. Eine eher wilde und teils gewalttätige Bewegungsform, die ursprünglich in der Punk-Szene verbreitet war, heute aber auch von Nazis zu entsprechend aggressiver und nationalistischer Musik getanzt wird. W. springt dabei den eigentlich gleichgesinnten Johannes "Jojo" Schm. aus Wakendorf II an, der zu Fall kommt und sich den Kopf aufschlägt. "Jojo" verlässt darauf zunächst den Raum, kommt aber mit einem "Quartz-Handschuh" bewaffnet zurück und greift W. an. In der Folge kommt es zu einer längeren Auseinandersetzung, die schließlich darin mündet, dass "Jojo" nachdrücklich des Grundstücks verwiesen wird, dabei noch mehrfach Schläge einstecken muss. Dazu Angeklagter W.: "Als er weglaufen wollte, habe ich ihn festgehalten und zugeschlagen. So in Notwehr.". An dieser "Notwehr" beteiligt: Eine Gruppe Kieler "Gäste", unter ihnen offenbar auch Peter von der Born, ein Führungskader der militanten Neonazi-Szene Kiels. Da sich "Jojo" und W. mittlerweile wieder vertragen haben, kommentiert Richter Niehaus den Vorfall lediglich mit den Worten: "Pack schlägt sich, Pack verträgt sich". Anschließend stimmt er der Staatsanwaltschaft zu, die das "Shake-Hands" der Kameraden wohlwollend beobachtet hat und sich mittlerweile über die Verhaltensformen der "Jugendlichen" amüsiert. Auch die "Jugendlichen" selber sind nun von der Verhandlung angetan und beginnen, Späßchen zu machen. Freispruch.
"Es gibt mehrere Orte in der näheren Umgebung, in denen ich niemals wohnen würde. Dazu zählt Nahe." (Richter Niehaus zu den Angeklagten)
Und es kam für sie noch witziger. Mit Jevgeny F. wurde ein weiteres ihrer Opfer in den Zeugenstand gerufen und machte deutliche Aussagen: "Scheiß Ausländer" hätten Sch. und der dritte Angeklagte Willi T. (19, Auszubildender, wohnt bei seinen Eltern in Itzstedt) am Rande einer Zeltfete am 11. Juli 2004 in Borstel gerufen, ihn dann getreten und geschlagen. Später kommt heraus, dass zunächst Neonazi Thorsten A. gegen F. vorgeht, der in modischer Tarnkleidung vor Gericht erscheint. Er "legt ihn auf den Rasen" und will ihm nach eigener Aussage "eine auf die Schnauze hauen", ehe er Mitleid bekommt: Weil Jevgeny "angefangen hat, zu flennen." Deshalb gibt er ihm nur eine Ohrfeige und zischt ihm zu, er solle sich "verpissen". Genau das gestaltet sich für F. jedoch in der Folge schwierig, weil ihm etwa ein Dutzend Neonazis - freilich heldenhaft - den Weg versperren. Unter ihnen, wer konnte es ahnen: Die drei Angeklagten, wobei Hans Kristian W. sich deutlich zurückgehalten haben soll. Sie beleidigten F. mit den Worten "Scheiß Kanacke, was hast Du in unserem Land zu suchen?", dann muss er Schläge einstecken. Das Opfer: "Ich hatte noch ein paar Tage Schmerzen in den Rippen, schlimmer war aber der verletzte Stolz."
Doch auch dieser - eindeutig politisch motivierte Übergriff - überzeugt Gericht und Staatsanwaltschaft nicht. Wegen "nicht einwandfrei bewiesener Schuld" werden T. und Sch. auch hier: freigesprochen. Zuvor war sich der Staatsanwalt freilich nicht zu schade dafür, auch in dieser Situation einen "Täter-Opfer-Ausgleich" ins Spiel zu bringen - etwa in Form eines "Gesprächs der Kontrahenten mit Sozialpädagogen". Worüber die beiden dann reden sollten, blieb im Dunkel: Etwa über das rassistische Weltbild der Angeklagten? Unangenehm fiel jetzt auch der Rechtsanwalt von Phillip Sch. auf. Wie um die Opfer seines Mandanten zu verhöhnen, sagte Jörn Wohlgehagen auf einen Fluch des Aussiedlers hin: "Herr F. hegt offenbar einen Groll gegen meinen Mandanten, den ich mir nicht erklären kann."
Es muss kaum erwähnt werden, dass die Nazis - mit den zahlreich erschienenen Zeugen aus dem Milieu mittlerweile fast 10 an der Zahl - jetzt langsam in Party-Laune geraten. Vor dem Gerichtssaal wird bereits diskutiert, wer das Bier holt, man lacht über einzelne Belastungszeugen.
Geldbuße für rassistische Hatz
Im Juli 2005 der vorläufige Schlussakkord der gerichtsbekannten Freizeitaktivitäten der "Jugendlichen". Wie schon erwähnt, entdecken rund zwei Dutzend Nazis die drei Mitglieder der kurdischen Familie Erman auf dem Schützenfest in Seth und greifen sie sofort an. Während sich Ugur in einen mobilen Sanitärwagen flüchten kann, wo er mutig von den auf dem Fest arbeitenden Geschwistern Andree (31) und Susanne Voigt (32) geschützt wird, werden Hicran und Ali Erman durch die Straßen gejagt. Ali erleidet schließlich zahlreiche Blessuren, als er von seinen Häschern verprügelt wird. Warum für diese Ausländerhatz ausschließlich der zum Tatzeitpunkt minderjährige Willi T. angeklagt wird, bleibt ebenso unverständlich, wie das erneut milde Urteil des Richters: Geldbuße in nicht genannter Höhe. Die Ermans jedenfalls zeigen - gefragt nach den Tätern vom letzten Juli - auf die Gruppe Neonazis im Flur des Amtsgerichts. Als jemand nachfragt, ob wirklich alle anwesenden Nazis dabei waren, antworten sie nur: "Alle." Neben Willi T. also auch Phillip Sch., Hans Kristian W., Thorsten A., der ohne Zeugenaussage entlassene Matthias S. und Weitere. Das bestätigen auch andere ZeugInnen vor dem Gerichtssaal, etwa die Voigts.
Bleiben viele Fragen. Etwa ob die Staatsanwaltschaft nicht in der Lage oder nicht Willens war, die Sether Ausländerhatz vollständig aufzuklären. Ob sie es nicht als für den Prozess relevant betrachtete, dass die Angeklagten auch für den monatelangen Terror verantwortlich waren, dem Familie Erman seit Mitte 2003 in Itzstedt ausgesetzt war und der in eingeworfenen Scheiben ihres Wohnhauses gipfelte. Selbst das Landeskriminalamt ermittelte in dieser Sache. Und schließlich die Frage, was die Nazi-Schläger als nächstes planen, besser: Wen sie als nächstes zusammenschlagen.
Ob die Bande beim nächsten Mal von ihren Opfern angezeigt wird, darf getrost bezweifelt werden. Zunächst wäre es schwer genug, die Polizei der Region zum Eingreifen zu bewegen. Die anschließende Farce vor Gericht nützt nur den Nazis. Dabei war die Justiz am 2. Februar in Bad Segeberg keinesfalls auf dem rechten Auge blind. Sie hatte gar nicht erst eines.
Prozess unter Polizeischutz: Vier PolizistInnen und ein Beamter in zivil "beobachteten" den "Hahnenkampf" in Bad Segeberg