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Freitag, 18. Oktober 2013, 12:53 Uhr

Erinnerungen an den Vorhof zur Hölle

Vor 80 Jahren wurde das KZ Wittmoor geschlossen

Gedenken am Gedenkstein des KZ Wittmoor, November 2011

Gedenken am Glashütter Fuchsmoorweg, November 2011 (Foto: Infoarchiv)

Olaf Harning | Am 18. Oktober 1933 war die Räumung des Lagers im heutigen Norderstedter Stadtteil Glashütte abgeschlossen. Für die Häftlinge bedeutete das nichts Gutes: Sie wurden ins KZ Fuhlsbüttel verlegt, viele von ihnen dort misshandelt oder getötet.

Buchdeckel "Im übrigen herrscht Zucht und Ordnung ..."

1987 veröffentlichte Willy Klawe ein Buch über das KZ Wittmoor, Titel: "Im übrigen herrscht Zucht und Ordnung ..."

Grund für die Schließung des bereits am 10. April 1933 eingerichteten Lagers war nämlich nicht Mitmenschlichkeit, sondern die Vereinheitlichung des Systems der Konzentrationslager unter Führung der SS. Was das für die zum Zeitpunkt der Schließung inhaftierten 110 Männer bedeutete, war schon Anfang September zu erahnen gewesen, als das polizeilich geführte Lager zunächst dem Hamburger Strafvollzugsamt unterstellt wurde. Dessen Präsident Max Lahts trat am 4. September vor die sogenannten "Schutzhäftlinge" in Fuhlsbüttel und informierte sie mit diesen Worten über die neue Gangart:

"Ich habe Sie hier antreten lassen, um Ihnen mitzuteilen, dass der Herr Reichsstatthalter mit dem heutigen Tag die Schutzhaftgefangenen dem Strafvollzugsamt unterstellt hat. Die Veranlassung und Ursache hierzu ist die Erkenntnis, dass ein grosser Teil von Ihnen nicht gewillt ist, seine feindliche Einstellung dem neuen Staat gegenüber aufzugeben, wie Sie es durch Ihr Gesamtverhalten immer wieder zum Ausdruck gebracht haben. Insbesondere ist bekannt geworden, dass Sie sich über die Schutzhaft, wie sie bisher durchgeführt wurde, lustig gemacht, dieselbe mit einer Kleinkinderbewahranstalt verglichen und in den Gemeinschaftssälen die wüstesten Hetzreden gehalten haben. Diese unhaltbaren Zustände werde ich als Präsident des Strafvollzugsamtes restlos beseitigen. Das Strafvollzugsamt wird Ihnen als bewußten Feinden des nationalsozialistischenen Staates zielbewußt, unerbittlich und hart unter Einsatz aller Mittel beweisen, daß niemand ungestraft den Staat Adolf Hitlers in seiner Aufbauarbeit stören darf."

Gedenken am Fuchsmoorweg

Heute versammeln sich jedes Jahr im Januar und November einige Dutzend NorderstedterInnen an der Gedenkstätte des KZ Witmmor, um an die NS-Opfer zu erinnern (Foto: Infoarchiv)

Was Lahts mit "unerbittlich und hart" meinte, wurde erst nach Kriegsende wirklich klar: Mehr als 500 Frauen und Männer wurden zwischen 1933 und 1945 in den verschiedenen Haftanstalten in Fuhlsbüttel ermordet oder in den Tod getrieben, viele von ihnen einfach totgeschlagen.

Das KZ Wittmoor war im April 1933 in einer alten Torfgewinnungsfabrik an der Segeberger Chaussee eingerichtet worden - als eines der reichsweit ersten Konzentrationslager überhaupt. Vor allem "Politische" saßen dort ein, überwiegend Kommunisten und Sozialdemokraten. Außerdem sollten Zeugen Jehovas, Homosexuelle und Transvestiten in Glashütte "umerzogen" werden - unter anderem durch körperliche Arbeit: Die Häftlinge wurden tagsüber in der Torfgewinnung und Moorkultuvierung eingesetzt. Ursprünglich für bis zu 800 Häftlinge gedacht, waren in Wittmoor aber zu keiner Zeit mehr als 140 Männer untergebracht. "Prominente" Insassen waren der ehemalige KPD-Bürgerschaftsabgeordnete Alfred Levy, der später in Fuhlsbüttel ermordete Schriftsteller Willi Bredel, der jüdische Dramaturg Heinz Liepmann und der Langenhorner Antifaschist Helmuth Warnke, der zusammen mit seinem Vater ohne Verfahren in "Schutzhaft" genommen wurde und später mehrere Bücher über die NS-Zeit schrieb. In der Umgebung war das KZ bekannt und gefürchtet: "Lieber Gott, mach mich stumm, dass ich nicht nach Wittmoor komm", so der Volksmund.

Weil das Lager polizeilich geführt war, sind die Häftlinge vergleichsweise gut behandelt worden, tätliche Übergriffe oder Misshandlungen waren dort die Ausnahme. Das war auch einer der Gründe für die frühe Auflösung des Lagers: Nach seinem Besuch im August 1933 hatte der Hamburger Reichsstatthalter Karl Kauffmann befunden, in Wittmoor würde "zu wenig geprügelt". 

Wittmoor-Gedenkstein auf Hamburger Seite

Wittmoor-Gedenkstein auf Hamburger Seite (Foto: wikipedia, sirdon)

Nachdem die Existenz des KZ Wittmoor über 50 Jahre lang nirgends mehr erwähnt wurde, starteten die Grün-alternative Liste (GAL) im Ortsausschuss Hamburg-Walddörfer und die Liberale Fraktion in Norderstedt 1985 fast zeitgleich Initiativen zur Einrichtung von Gedenkstätten, die zumindest in Hamburg zu heftigen Auseinandersetzungen über die Inschrift des Gedenksteins führten. So setzte die CDU durch, dass auf einem schließlich im Wittmoor aufgestellten Stein nicht von "Kommunisten und Sozialdemokraten" die Rede ist, sondern von Menschen, die "wegen ihrer politischen Überzeugung und ihres Glaubens" in Haft waren. Außerdem wurde der linkslastigen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) das Recht verwehrt, auf Gedenkveranstaltungen zu sprechen. In Norderstedt einigten sich Politik und Stadtverwaltung schließlich darauf, einen Gedenkstätte am Fuchsmoorweg, am Rande des Wittmoor einzurichten. Im Januar 1987 beschloss der Kulturausschuss der Stadt folgende Inschrift:

"Wir gedenken der 6 Millionen Juden, die in deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden, der Opfer des Widerstandes, der ermordeten Sinti und Roma, der getöteten Homosexuellen, der umgebrachten Geisteskranken, der Menschen, die um ihrer religiösen oder politischen Überzeugung willen sterben mußten. Bundespräsident Richard von Weizsäcker, 8.5.1985. In Erinnerung an das Lager Wittmoor."

Fast 25 Jahre später errichtete die Stadt auf Initiative des Vereins Chaverim - Freundschaft mit Israel zusätzlich eine Gedenkstele am ehemaligen Standort des Lagers an der Segeberger Chaussee 310. Verhandlungen über eine Gedenktafel am dortigen Gebäude der Baustoffhandlung Beckmann und über eine Stolper-Stele auf dem Firmengelände scheiterten am Widerstand des Besitzers, der rechtsradikale Anschläge fürchtet. Beckmann hatte in den 80er Jahren gegen Proteste aus dem Stadtteil die letzten Reste der alten Torffabrik abreißen lassen, um seinen Baustoffhandel zu errichten.