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Freitag, 11. Juni 2004, 2:00 Uhr

Einstweilige Vergnügung

Das Imperium schlägt zurück ... oder Stadtwerke contra „Bündnis für eine Soziale Stadt“

Info Archiv Norderstedt | Es hätte eine Idee des Bündnisses sein können: Nachdem in einer massiven Öffentlichkeitskampagne zu den Bürgermeisterwahlen am kommenden Sonntag bereits 4.500 Flugblätter an Norderstedter Haushalte verteilt worden waren, verhalf den UrheberInnen des „Bündnis für eine soziale Stadt“ erst eine Einstweilige Verfügung zu größtmöglicher Bekanntheit: Seit Mittwochabend dürfen auf Anordnung des hiesigen Amtsgerichts die letzten 500 Flyer nicht mehr von AktivistInnen verteilt werden.

Die Verfügung, die das Norderstedter Amtsgericht auf Antrag von Stadtwerke-Direktor Volker Hallwachs erließ, verbietet insgesamt drei Repräsentanten des seit Ende 2003 aktiven Bündnisses die Verbreitung zweier Zahlen und zweier Begrifflichkeiten, die im Zusammenhang mit den seit 2002 skandalumwitterten Norderstedter Stadtwerken stehen. Dabei geht es – soviel kann man bereits sagen – allenfalls um Nickligkeiten. Im Hinblick auf die jährliche Schuldenlast der Stadtwerke-Tochter wilhelm.tel etwa verschrieben sich die AutorInnen des Flugblattes um eine Zahl: Statt 2003 – wie behauptet – machte das Unternehmen im Jahre 2002 3,5 Millionen Euro Verlust. Doch wie bereits der Redakteur der Norderstedter Zeitung im Interviewgespräch mit einem der betroffenen Bündnis-Aktivisten feststellte, „geht die Einstweilige Verfügung ziemlich ins Leere“. Als Olaf Harning (IG BAU Hamburg-Nord), Hans-Georg Becker (Bildungsinitiative Norderstedt) und Jörg Wilczek (ver.di Norderstedt) das juristische Dokument am Mittwochabend erhielten, waren bereits 4.500 der inkriminierten Flugblätter unter die Leute gebracht. In Reihen des Bündnisses sorgte die gerichtliche Keule dann auch keinesweg für Schrecken, wie Hallwachs wohl beabsichtigte. Vielmehr herrschte bereits große Heiterkeit, seit am Mittwochmorgen sowohl der Stadtwerke-Chef, als auch der amtierende Bürgermeister Hans-Joachim Grote bei Unterzeichnern des Flugblattes anriefen und zweideutige Fragen zu der Urheberschaft stellten. Zumindest der Bürgermeister geriet dabei auch in Zorn: Er legte den Hörer mitten im Gespräch auf. Die Einstweilige Verfügung erzeugte dann endgültig ausgelassene Stimmung: Man hatte mit der Kampagne offenbar den Nerv getroffen. Was will das Bündnis? Tatsächlich handelt es sich beim nun gestoppten Flugblatt „Keine Werbung für diese Politik“ (Siehe eingescannte Titelseite unten) um eine reine „Anti-Kampagne“, das heißt um eine Kampagne gegen den amtierenden Bürgermeister Hans-Joachim Grote und die Norderstedter CDU. Grote stellt sich am kommenden Sonntag erneut als Bürgermeisterkandidat zur Wahl und tritt dabei gegen die SPD-Kandidatin Elisabeth Kühl, sowie den Mann der Bürgerpartei – Michael Martin – an. Grote und der CDU werden in der Flugschrift massive Kürzungen im sozialen Bereich bei gleichzeitigen Millionenausgaben für Straßen und Prestigeprojekte vorgeworfen. Dabei sind auch die Stadtwerke Stein des Anstoßes, weil hier seit Jahren indirekt hohe Summen städtischer Gelder unter anderem in die schnellen Internet-Verbindungen der umstrittenen Tochter wilhelm.tel gepumpt werden – ein „Lieblingskind“ von Stadtwerke-Direktor Hallwachs. Der wiederum steht bereits seit Juni 2002 in der öffentlichen Kritik. Nachdem das Rechnungsprüfungsamt in Berichten über die Geschäftsjahre 2000 und 2001 unter anderem “zweifelhafte Auftragsvergaben“ und „Mißwirtschaft“ kritisierte, durchsuchten am 15. November 2002 56 Polizeibeamte, zehn Staatsanwälte, sechs Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft und 40 Kripobeamte des Landeskriminalamtes die Räume der Stadtwerke, sowie 16 Dienst-, Wohn und Firmengebäude im Zusammenhang mit der Stadttochter. Die Durchsuchungen folgten laut Oberstaatsanwalt Uwe Wick damals auf den Anfangsverdacht der „Bestechung, Bestechlichkeit, Betrug und Untreue sowie Beihilfe zu diesen Straftaten“, die nachfolgenden Ermittlungsverfahren gegen Volker Hallwachs und den zweiten Werksleiter Axel Gengelbach laufen nach Informationen des Info Archivs noch immer. Das Rechnungsprüfungsamt führte unter anderem auf, dass in 2001 - die Kosten von wilhelm.tel erneut nicht korrekt weiterberechnet wurden, also letztlich die Norderstedter Strom- und Wasserkunden belasten, - einzelne Stadtwerke-MitarbeiterInnen erstaunlich hohe „Zulagen“ und „Aufwandsentschädigungen“ erhielten, - 160 Computer-Arbeitsplätze für 74 kaufmännische Angestellte unterhält, - 2,56 Millionen Mark an das externe TV-Unternehmen Noa4 gezahlt hat, was „kritisch zu betrachten“ sei, - die Stadtwerke die Oberliga-Mannschaft des 1. SC Norderstedt mit fast 450.000 Mark förderten, während andere Vereine und Mannschaften lediglich 500 Mark erhielten, Hallwachs hatte sich zuvor bereits um den Vorsitz des 1. SCN beworben, - für mehr als 70.000 Mark VIP-Plätze in der AOL-Arena gebucht wurden und vieles mehr. Daraufhin verstieg sich die „Norderstedter Zeitung“ in einem Artikel vom 31. Mai 2003 zu der provokanten Überschrift “Stadtwerke: Sliwowitz, Sekt und Manipulationen“. Unter dieser Headline wurde berichtet, dass neben Hallwachs-Sohn Peter (Gastronom im Stadtwerke-Bad „Arriba“) auch ein Cousin des Stadtwerke-Bosses seit dem 15. Juni 2000 beim Unternehmen beschäftigt war: Für 9.500 Mark netto monatlich samt kostenfreiem Dienstwagen und kostenloser Dienstwohnung bis einschließlich 2001! Übrigens: Das „Bündnis für eine soziale Stadt“ hat es seit dem Nachmittag des vergangenen Mittwochs ebenfalls „zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß zu behaupten in Zusammenhang mit den Stadtwerken Norderstedt das Fehlinvestitionen und Vetternwirtschaft vorliegen.“ (Originalzitat mit Rechtschreib- und Satzbaufehler aus dem Schriftsatz des Amtsgericht Norderstedt vom 9. Juni 2004). Der Hauptausschuss der Stadt Norderstedt kam derweil im Juni 2003 zu der Erkenntnis, dass aus den obigen Vorwürfen keine Konsequenzen zu ziehen seien. Ausschussvorsitzender Günther Nicolai erklärte dazu lediglich, dass bei der umfangreichen Geschäftstätigkeit natürlich auch „kleinere oder größere Fehler passieren" können. Weitere, interessante Artikel zum Umgang der Stadtwerke und Volker Hallwachs mit KritikerInnen:„Drohungen gegen Politikerin“, Norderstedter Zeitung vom 25. Juni 2002 und "Stadtwerke: Hallwachs beschwert sich bei der Stadtpräsidentin", Norderstedter Zeitung vom 13. August 2003 Der Stein des Anstosses: Titelseite des Bündnis-Flugblattes, um juristisch attackierte Passagen geschwärzt