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Dienstag, 28. Februar 2012, 11:28 Uhr
Ein Stolperstein für Carl Suhling
Lebendige Geschichte in der Fritz-Schumacher-Siedlung
Alexander Fuhse | Fast 100 Menschen versammelten sich am Samstagvormittag vor dem Haus im Wattkorn 7, um einen Stolperstein für den Widerstandskämpfer Carl „Cuddl“ Suhling einzuweihen. In einer kurzen Ansprache erinnerte Hans Matthaei, Vorsitzender der Willi-Bredel-Gesellschaft, an das Leben des Langenhorner Kommunisten.
Im Anschluß berichtete Tochter Ursula Suhling über die kurze gemeinsame Zeit, die sie mit ihrem Vater "Cuddl" erleben konnte. Der Veranstaltungsraum des „Olen Börner“ an der Tangstedter Landstraße war bis auf den letzten Platz gefüllt, so viele junge und vor allem ältere LangenhornerInnen folgten ihrem etwa einstündigen Vortrag. Anwesende ZeitzeugInnen sowie Kinder weiterer Langenhorner WiderstandskämpferInnen ergänzten in der folgenden Diskussion Fakten und Namen, so dass ein lebendiges Bild der damaligen Lebensumstände in der ehemaligen Arbeitersiedlung entstand.
Carl Suhling bezog 1924 als junger Mann und Siedler der ersten Generation das Haus im Wattkorn. Damals befand sich die Fritz-Schumacher-Siedlung noch im Aufbau. Die neuen Siedler kamen überwiegend aus den Hamburger Arbeiterquartieren, viele SiedlerInnen waren Mitglieder kommunistischer und sozialdemokratischer Organisationen. Carl Suhling trat 1928 der KPD bei. Seine Frau Lucie Suhling berichtete in ihren 1980 erschienenen Erinnerungen „Der unbekannte Widerstand“: „Unsere Parteigruppe in Langenhorn - wir waren ungefähr 70 Männer und Frauen- arbeitete sehr intensiv. Eine gute Kameradschaft verband viele von uns mit SPD-Genossen. Und viele Freundschaften wurden geschlossen. Ich möchte sagen, dass in unserer Siedlung fast jeder jeden kannte (…). Wir fühlten uns wie in einer großen antifaschistischen Familie“.
"Bei dem einzigen vor 1933 durchgeführten Aufmarsch der SA durch unsere Siedlung - es waren SA-Männer, die aus anderen Hamburger Stadtteilen nach Langenhorn beordert waren - standen Genossen der KPD, der SPD und parteilose Antifaschisten zur Abwehr bereit. Sie machten, als die Hakenkreuzler durch unsere Straße Wattkorn zogen, keinen Hehl aus ihrer Ablehnung. Als einige SA-Leute sich aus der Kolonne lösten und auf Cuddl und mich zugingen, hechtete Cuddl über die Gartenpforte, riß einen Knüppel aus dem Beet und die in unserer Straße wohnenden Siedler rannten mit schnell ergriffenen Stöcken zu uns, um einen möglichen Angriff abzuwehren."
Lucie Suhling in "Der unbekannte Widerstand"
In der neugebauten Arbeitersiedlung vor den Toren der Stadt konnten die erstarkenden Nazis zuerst nur von außen versuchen, den Widerstand der organisierten Antifaschisten aufzubrechen. Cuddl Suhling war Technischer Leiter des RFB (Roter Frontkämpferbund) und besprach mit dem sozialdemokratischen Pendant Reichsbanner, wer welche Straßen unter seinen Schutz nehmen sollte. Sie bereiteten sich in den Jahren 1932 und `33 auf das zu erwartende Parteienverbot und auf die Illegalität vor.
Nach der Reichstagswahl am 5. März 1933 kamen die Nazis auch in Hamburg offiziell an die Macht, was für die Arbeitersiedlung Langenhorn unmittelbare Konsequenzen hatte. Die hart erkämpften Mitbestimmungsrechte der BewohnerInnen wurden beseitigt, die nun gleichgeschaltete Führung des Siedlervereins setzte in jedem Wohnblock einen mit den Nazis symphatisierenden Blockobmann ein. Über 50 kommunistischen, sozialdemokratischen und jüdischen Familien wurden die Wohnungen gekündigt, damit dort NSDAP-Parteimitglieder, Gestapoleute oder Überläufer einziehen konnten, berichtet der Langenhorner Zeitzeuge und Lokalhistoriker Helmuth Warnke 1983 in seinem Buch „Der verratene Traum“. Die Namen der meisten dieser zwangsgeräumten Siedlerfamilien und deren „Nachmieter“ sind heute weitgehend unbekannt, die geringe Anzahl noch lebender ZeitzeugInnen hat es bisher erschwert, hier weiterführende Forschungen anzustellen.
Lucie und Carl Suhling nahmen in ihrer Dachgeschoßwohnung im Wattkorn das geheime Archiv der nun in der Illegalität agierenden Hamburger KPD in ihre Obhut. Ein Langenhorner Polizist, der SPD-Genosse war, warnte die Suhlings vor einer bevorstehenden Gestapo-Durchsuchung in ihrem Wohnhaus, woraufhin sie das Material verbrannten, um nicht hunderte Beteiligte der Schutzhaft oder schlimmerer Repressalien auszuliefern. Carl Suhling war 1933 einer der ersten Langenhorner Kommunisten, die in das Konzentrationslager Fuhlsbüttel eingesperrt und dort gefoltert wurden. Seiner Frau gegenüber äußerte er nur knapp: „Mach Dich auf das Schlimmste gefasst, wenn sie uns holen. Es sind Tiere und keine Menschen.“ Als er im August 1933 freigelassen wurde, konnte er die Geburt seiner Tochter Ursula erleben. Im Oktober 1934 begann eine Verhaftungswelle der Gestapo gegen Langenhorner KommunistInnen, unter ihnen Lucie Suhling. Die Tochter Ursula wurde für kurze Zeit in ein Waisenhaus eingeliefert, was sie heute noch als traumatisches Erlebnis beschreibt. Eine zweite Massenverhaftung richtete sich im Januar 1935 gegen sozialdemokratische SiedlerInnen. Der Widerstand in der Langenhorner Arbeitersiedlung war nun weitgehend gebrochen, obwohl es immer noch heimliche Flugblatt-Verteilungen gegen die bevorstehende Kriegsgefahr gab.
Die Haftjahre von Carl und Lucie Suhling erstreckten sich über den Zeitraum 1934 bis 1937 und 1938/1939. Durch seine Haftstrafen galt Carl Suhling als „wehrunwürdig“, wurde jedoch nach Kriegsbeginn im besetzten Polen als als Kraftfahrer dienstverpflichtet. Im Oktober 1942 wurde die „Bewährungsdivision 999“ geschaffen, eine Strafeinheit für politische Häftlinge, die dort zusammen mit „Kriminellen“ an den gefährlichsten Frontabschnitten schlecht ausgerüstet eingesetzt wurden. Gemeinsam mit vielen anderen Langenhorner Antifaschisten wie z.B. Fritz Simon, Ernst und Helmut Knust sowie Rudolf Swolinski kam Carl Suhling an die Ostfront nach Cherson am Fluß Djepr. Weil es aus den Reihen der „Politischen“ zu massenhaften Desertationen und Überläufen zur Roten Armee kam, wurden die „999er“ schließlich abgezogen und nach Griechenland und Nordafrika verlegt. Dort befanden sich seit Mitte 1944 die regulären Truppen der Wehrmacht auf dem Rückzug. Ursula Suhling: „Die 999er mussten den Weg für den Rückzug freikämpfen und die Nachhut bilden. Trotz aller Gefahren setzten die politischen 999er ihre illegale Tätigkeit auch unter diesen lebensbedrohlichen Umständen fort: Während des Rückzugs aus Griechenland und Jugoslawien sollte jeder die Gelegenheit nutzen, sich in Gefangenschaft zu begeben. Doch nur wenigen ist es gelungen, diesem Himmelfahrtskommando zu entrinnen und sich in Kriegsgefangenschaft zu retten. Fast alle anderen haben ihren Widerstand mit dem Leben bezahlt. Auch mein Vater, Carl Suhling.“
Das letzte Lebenszeichen von „Cuddl“ ist ein Brief vom Dezember 1944, in dem er schreibt, bald Sarajevo zu erreichen. Die aktuellen Nachforschungen legen nahe, dass Carl Suhling im Laufe der schweren Gefechte zwischen PartisanInnen und Wehrmacht in Jugoslawien als Überläufer hingerichtet wurde. Auf dem Stolperstein am Wattkorn 7 steht: Hier wohnte Carl Suhling, JG. 1904, verhaftet 1933, „Vorbereitung zum Hochverrat“, KZ Fuhlsbüttel, 1943 Strafbattaillon 999, hingerichtet März 1945 bei Sarajevo.
Ein Kommentar zu diesem Artikel
01.03.2012, 11:26 Uhr Entdinglichung: kleine Anmerkung
das gute Verhältnis zwischen KPD und SPD in Langenhorn rührte unter anderem auch daher, dass (worauf Helmuth Warnke in seinen autobiographischen Schriften hinweist) in der Langenhorner KPD die innerparteilicher Oppositionsströmung der "Versöhnler" stark vertreten war, welche den harten Konfrontationskurs der Thälmann-Führung gegenüber der SPD (Sozialfaschismus-Doktrin, RGO-Politik) ablehnte ... und offenbar war die Langenhorner SPD auch nicht voll auf Linie ... die Geschichte von SPD und KPD vor 1945 in Langenhorn einmal systematisch zu erfassen wäre eine verdienstvolle Sache (leider habe ich momentan nicht die Möglichkeit, mich da intensiver hinterzuklemmen)