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Montag, 6. Mai 2013, 23:12 Uhr
Der NSU und die "ordnende Hand"
Interview mit Bodo Ramelow (DIE LINKE)
"Schreddern, Spitzeln, Staatsversagen": Bodo Ramelow bei seiner Buchvorstellung im Norderstedter Rathaus (Foto: Infoarchiv)
Olaf Harning | Am 2. Mai stellte Bodo Ramelow im Norderstedter Rathaus das Buch "Schreddern, Spitzeln, Staatsversagen" vor, das sich mit der Verschleierung der Verbrechen des sogenannten "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) befasst und dahinter eine "ordnende Hand" vermutet. Wir haben den Herausgeber dazu befragt.
Infoarchiv Norderstedt: Herr Ramelow, ausgerechnet am 8. Mai bringen Sie das Buch „Schreddern, Spitzeln, Staatsversagen“ heraus. Von wem oder was müssen wir uns diesmal befreien?
Bodo Ramelow: Der 8. Mai ist Tag der Befreiung vom Faschismus. Wie schon Richard von Weizäcker in seiner berühmten Rede zum 8. Mai 1985 anmahnte, veranlasst dieser Tag uns immer wieder, Zeichen zu setzen, die deutlich machen, dass man sich um Antifaschismus mehr bemühen muss. Letztes Jahr am 8. Mai haben wir das erste Buch zum Thema veröffentlicht, eine Art Lesebuch über rechtsradikale Strukturen und die Vermischung von Thüringer Heimatschutz und Thüringer Verfassungsschutz. Jetzt sind wir nach einem Jahr Arbeit mit dem zweiten Buch auf den Markt gekommen.
Infoarchiv Norderstedt: Aber was ist die Bedrohung?
Bodo Ramelow: Wir müssen die Konsequenzen daraus ziehen, dass der Hitler-Faschismus ein fortwährender Auftrag ist. Dass sich neu formierende Strukturen schon im Keim erstickt werden müssen, erst recht wenn staatliche Stellen sie noch stark befördern.
Infoarchiv Norderstedt: Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sind tot, Beate Tschäpe steht seit heute vor Gericht – ist die „Zwickauer Zelle“ nicht Geschichte?
Bodo Ramelow: Tja, das ist ein interessanter Hinweis. Wissen Sie: In Thüringen redet man von der „Zwickauer Zelle“, in Sachsen von der „Thüringer Zelle“, andernorts sind Mundlos, Böhnhardt und Tschäpe das „NSU-Trio“ und jetzt heißt es nur noch „Zschäpe-Prozess“. Das ist eine Verengung, die das gesamte Netzwerk des braunen Terrors mit all seiner staatlichen Vermischung unter den medialen Teppich kehren soll.
Infoarchiv Norderstedt: Sie titeln „Schreddern, Spitzeln, Staatsversagen“ – welche Rolle hatten die Geheimdienste in der Szene um Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe, was wusste welcher Geheimdienst?
Bodo Ramelow: So viel Platz haben Sie gar nicht, um das alles wiederzugeben. Die Geheimdienste wussten lückenlos über die Entstehungsgeschichte des Netzwerkes Thüringer Heimatschutz Bescheid, sie haben es sogar gefördert und befördert. Der MAD wusste sehr genau, wer welche Rolle im Heimatschutz gespielt hat. Auch über die Militarisierung waren die Geheimdienste bestens informiert. Es waren sogar staatliche Spitzel beteiligt, Waffen zu besorgen und Spuren zu beseitigen. Es gibt keine Trennung zwischen der Entstehungsgeschichte der militanten Neonazi-Strukturen und den Aktivitäten der Geheimdienste. Das Einzige, was nicht geklärt ist, ist ob Geheimdienste unmittelbar von den Morden Bescheid wussten. Auch die Polizei hätte effektiver arbeiten können, wenn sie nur einen Bruchteil des Wissens der Geheimdienste zur Verfügung gehabt hätte.
Infoarchiv Norderstedt: Während der Veranstaltung in Norderstedt haben Sie zwischen belegten und nicht belegten Informationen unterschieden. Zu Letzteren gehört eine „ordnende Hand“, die Sie hinter dem „NSU-Trio“ vermuten. Wer sollte warum was ordnen?
Bodo Ramelow: Also, ich unterscheide immer zwischen den einfach und doppelt belegten Informationen. Die einfach belegten deuten vielfach darauf hin, dass es eine ordnende Hand hinter dem NSU gab. Ein Computer der Staatskanzlei aus Sachsen griff beispielsweise permanent auf geschützte Informationen des Bundeskriminalamtes zum mysteriösen Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter zu. Am Ende ordnete das Gericht an, dass der Bediener dieses Computers genannt werden muss, aber die Sache ist bis heute nicht aufgeklärt. Da werden am selben Tag in mehreren Geheimdiensten Akten mit Auslandsbezug geschreddert, da wird bei der Hinrichtung Michéle Kiesewetters ein ausländischer Dienst geortet, warum gehen wir dem nicht nach? Belegt ist nur, dass der Mitarbeiter eines ausländischen Dienstes da war, unter anderem durch das Foto einer Radarfalle. Und nicht zuletzt der aktuelle Hinweis aus Luxemburg. Dort findet gerade ein Prozess in Sachen "Stay behind " statt und da spielt ein BND-Mitarbeiter eine große Rolle. Dessen Sohn sagt aus, dass sein Vater auch am Anschlag auf das Münchner Oktoberfest beteiligt war, das ja auch der Wehrsportgruppe Hoffmann um Karl-Heinz Hoffmann zugeschrieben wird. Da schließt sich dann der Kreis, denn 1990 kehrt dieser Mann nach Thüringen, konkret in seinen Geburtsort Karla zurück und da ist heute der Dreh- und Angelpunkt des Blood-and-Honour-Netzwerkes.
Infoarchiv Norderstedt: Aber - Blood & Honour ist doch verboten ...
Bodo Ramelow: Inoffiziell haben sich die Strukuren bis heute nicht aufgelöst. Wir haben einen Verein verboten, nicht die dahinter liegende Ideologie und ihre Strukturen. Das internationale Blood & Honour-Netzwerk führt auf seiner Homepage immer noch die deutsche Sektion.
Infoarchiv Norderstedt: Thema polizeiliche Ermittlungsarbeit, wir sprachen ja schon über mangelnden Informationsfluss. Hätten die NSU-Mörder früher gefasst werden können?
Bodo Ramelow: Ja. Es gibt zwei Belege, bestätigte Belege dafür. Einerseits haben die Zielfahnder aus Thüringen eine Aktennotiz angelegt. Darin steht sinngemäß: „Wir sind immer am richtigen Ort, aber immer zum falschen Zeitpunkt.“ Damit wird angedeutet, dass die Zielfahnder vom Geheimdienst verarscht wurden. Die polizeiliche Untersuchungskommission in Bayern hat Vieles getan, sogar Profiler auf die Täter angesetzt. Die Möglichkeit eines rassistischen Hintergrundes ist aber nie zum Ermittlungsschwerpunkt geworden. Wenn diese Beamten die Information gehabt hätten, dass es in Nazi-Magazinen bereits ein Loblied auf die NSU-Morde gab, dass entsprechendes Liedgut mit der Verherrlichung der Hinrichtungen veröffentlicht wurde, wären ganz andere Ermittlungserfolge möglich gewesen. Eine dritte Geschichte ist ein grober polizeilicher Fehler: Alle drei Tatserien, die Banküberfälle, die Bombenanschläge die Mordserie, sind durch das „Tatmerkmal Fahrrad“ gekennzeichnet. Dass stets Fahrräder genutzt wurden, ist aber nie in den Polizeicomputer eingegeben worden.
Infoarchiv Norderstedt: Sie sagen sinngemäß: „Vorsicht, es ist noch nicht vorbei“. Was erwartet uns … und was ist zu tun?
Bodo Ramelow: Was erwartet uns? Ich befürchte, es erwartet uns zunächst, was nach dem Oktoberfest gelaufen ist. Danach sind es immer nur Einzeltäter. Uns erwartet die Reduktion auf zwei oder drei Typen, die etwas schreckliches getan haben. Auf dem Höhepunkt der RAF-Hysterie in den 80er Jahren wurden bei Fahndungsaktionen ganze Städte und Autobahnen abgeriegelt, die Rasterfahndung eingeführt, Gesetze geändert. Jetzt haben wir es mit braunem Terror zu tun und nichts Vergleichbares passiert. Es gibt genügend Querverbindungen ins internationale rechtsradikale Milieu, nach Südafrika, Österreich, in die Schweiz. Das hat alles nichts mit dem Inlandsgeheimdienst zu tun, das sind keine Aufgaben für den Verfassungsschutz. Auch die „Stay behind“-Gruppen oder Vorgänge, wie sie jetzt in Luxemburg aufgearbeitet werden, das sind alles Dienstelemente des BND. Meine Vermutung ist daher: Eine "ordnende Hand" ist eher im BND zu suchen.
Infoarchiv Norderstedt: Und was sagt der BND?
Bodo Ramelow: Gar nichts. Keinerlei Unterlagen, keinerlei Verbindungen. Dieses ohrenbetäubende Nichts macht es so auffällig.
Infoarchiv Norderstedt: Was ist unsere Aufgabe, was kann man tun?
Bodo Ramelow: Dafür sind kritische Medien und Blogger da, man darf die Intensität nicht zurückfahren. Also gehe ich auch von unserem dritten Buch aus. Überall da, wo Nazis sich ansammeln, muss Zivilgesellschaft engagiert sein.
Infoarchiv Norderstedt: Herr Ramelow, wir danken für das Gespräch!
Bodo Ramelow ist Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag und Vorstandsmitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Am 2. und 3. Mai nahm er an einer gemeinsamen Sitzung der Vorsitzenden der LINKEN Landtagsfraktionen sowie der Bundestagsfraktion im Norderstedter Parkhotel teil.
Eine lesenswerte Zusammenfassung seiner Kritik an der Arbeit der Geheimdienste im Zusammenhang mit dem NSU gibt es hier. Und hier ein Artikel über die Verbindungen des Neonazi-Netzwerkes in die Region.