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Samstag, 23. Juni 2012, 19:24 Uhr
Alter Filz in neuen Schläuchen?
Ulzburger Vergabepraxis auf dem Prüfstand
Olaf Harning | Die Vorwürfe sind nicht neu, die Kritiker auch nicht viel zahlreicher als eh und je und doch könnte sich bald etwas an den eigentümlichen Vergabepraktiken Henstedt-Ulzburgs ändern: Eine von der Wählergemeinschaft Henstedt-Ulzburg (WHU) angeforderte Vergabeliste für Architekten- und Ingenieurleistungen mit erstaunlichen Auftragshäufungen sorgt nachhaltig für Diskussionen - jetzt soll es eine "interfraktionelle Arbeitsgruppe" richten.
Doch zunächst einmal bleibt in Henstedt-Ulzburg Alles beim Alten: Am vergangenen Dienstag lehnte der Hauptausschuss der Gemeinde einen Antrag der WHU ab, nach dem künftig auch in der Großgemeinde bei Auftragsvergaben die (Anti-)Korruptionsrichtlinie des Landes Schleswig-Holstein gelten sollte - eine Regelung, die immerhin für alle Kommunen empfohlen wird. Weil sich CDU, SPD, FDP und BfB jedoch sträubten, ließ sich am Ende auch die WHU auf die Einrichtung eines von CDU-Politiker Dietmar Kahle angeregten "interfraktionellen Arbeitskreises" ein, der nun in den nächsten Wochen oder auch Monaten die Vergaberegeln in Henstedt-Ulzburg untersuchen soll.
Bereits Ende Mai hatte die WHU im Finanz- und Wirtschaftsausschuss wissen wollen, welche Planungs- und Ingenieurbüros in den vergangenen fünf Jahren mit Aufträgen der Gemeinde Henstedt-Ulzburg bedacht worden sind. Eine Fragestellung, die sicherlich auf konkreten Verdacht hin zustande kam und die auch treffsicher Fragwürdiges zu Tage förderte: Zwar war die Vergabeliste nur für wenige Stunden unzensiert im Bürgerinformationssystem der Gemeinde aufgetaucht, bevor jedoch die Namen der Auftragnehmer eilig entfernt wurden, hatten sich nicht nur die Ulzburger Nachrichten (UN) eine vollständige Liste heruntergeladen. Das Online-Magazin arbeitete die Liste und ihre Aussagekraft in der Folge jedoch konsequent auf. Unter anderem gehen aus dem auch dem Infoarchiv vorliegenden Verwaltungsdokument diese auffälligen Auftragshäufungen hervor:
- Alleine 25 Aufträge zur Ausarbeitung von Bebauungsplänen gingen im genannten Zeitraum unter dem Stichwort "städtebauliche Leistungen" an das Büro Architektur + Stadtplanung, das einem Sohn des langjährigen Ulzburger CDU-Vorsitzenden Günther-Heinz Baum (†) gehört. Auftragsvolumen: Fast 180.000 Euro. Dazu kommt in etwa dieselbe Summe für Architektenleistungen des Büros Baum und Partner - das einst von Baum senior gegründet wurde, sich heute aber ohne Kontakte zur Gründerfamilie aufstellt.
- Alle drei in dieser Zeit vergebenen Statik-Aufträge wurden dem Norderstedter Büro KSK Ingenieure von Wolfgang Horstmann erteilt. Horstmann war zum Zeitpunkt der Auftragvergaben Vorsitzender der CDU Henstedt-Ulzburg, in seinen Geschäftsräumen befand sich bis vor kurzem zudem auch der Sitz der Ulzburger Christdemokraten. Auftragsvolumen: 45.000 Euro, wobei der in den Zeitraum fallende, aufwändige Umbau der Feuerwache noch hinzukommen dürfte. Der ehemalige Ulzburger SPD-Chef Uwe Rohlfing hatte bereits Anfang 2009 kritisiert, die Gemeinde vergebe Statik-Aufträge seit Jahren fast ausschließlich an Horstmanns Büro.
- 24 Aufträge und damit ein Großteil des Auftragsvolumens bei Neubauprojekten im Tiefbau gingen an ein Norderstedter Ingenieurbüro, das auch bei der Stadt Norderstedt selbst hoch im Kurs steht. Dabei sollen in der Regel keine Alternativangebote eingeholt worden sein. Auftragsvolumen: Rund 870.000 Euro.
- Und beachtliche 20 "artenschutzrechtliche Betrachtungen", "Umweltschutz"-Planungen und teils auch landschaftsbauliche Projekte wurden an eine Norderstedter Garten- und Landschaftsarchitektinvergeben. Auftragsvolumen: Fast 220.000 Euro.
Dazu kommt noch eine Zusammenarbeit der besonderen Art: In der kurzzeitig veröffentlichten Vergabeliste findet sich auch das Büro eines Oersdorfer Architekten, der in den vergangenen 5 Jahren in satten 32 Fällen mit Architektenleistungen bedacht wurde. Unter anderem nach Recherchen der Ulzburger Nachrichten (UN) wurde er dabei einerseits als Werkvertragsnehmer im Auftrag der Gemeinde tätig, nahm aber andererseits auch von ihm in dieser Funktion "als Gemeinde" vorbereitete Anträge als Auftragnehmer an.
Im Großen und Ganzen dennoch korrekt, befindet Jörn Mohr, Fachbereichsleiter für Planen, Bauen und Umwelt im Ulzburger Rathaus - aber eben auch eine Folge der langjährigen Personalknappheit in seiner Abteilung. Neben ihm als Verwaltungsangestellten finden sich dort noch ein Techniker und eine weitere Verwaltungsangestellte, nicht einmal einen Hochbau-Ingenieur leistet sich die 27.000-EinwohnerInnen-Kommune. Genau deshalb auch die dauerhafte Beauftragung des Architekten, der von der Gemeinde mit einem Werkvertrag ausgestattet wurde, um die Maßnahmen aus dem Konjunkturpaket II abzuarbeiten - immerhin 1,3 Millionen Euro erhielt Henstedt-Ulzburg am Ende aus diesem Topf. An den Auftragshäufungen für einzelne Büros mag Mohr aber nichts aussetzen: "Wie machen Sie das denn privat?", fragte er im Gespräch mit dem Infoarchiv, "Sie greifen doch auch auf die Firma zurück, mit der Sie zufrieden waren und die sich in Ihrem Gebäude auskennt".
Wenig verwunderlich also, dass sich die WHU in ihrem bislang vagen Verdacht bestätigt sieht: "Vergabegrundsätze fordern zur Vermeidung von engen und lang anhaltenden Bindungen an dieselben Auftragnehmer (...), dass Bewerber gewechselt und ausreichend regional gestreut werden", formuliert Fraktionschefin Karin Honerlah in einer Presseerklärung fast schon zurückhaltend, "dies hat die Gemeindeverwaltung nach Ansicht der WHU nicht hinreichend berücksichtigt". Auch wenn die zuletzt umstrittene Chefin der Wählergemeinschaft den handelnden Personen um Jörn Mohr "Respekt für die Arbeitsleistung" zollt und die hohe Belastung der VerwaltungsmitarbeiterInnen kennt, fordert Honerlah nun "mehr Wettbewerb und Transparenz bei den Vergaben", beispielsweise durch die vermehrte Erstellung von Leistungsbeschreibungen und -verzeichnissen. Gerade vor dem Hintergrund des laufenden Untreue-Verfahrens gegen den beurlaubten Bürgermeister Torsten Thormählen (parteilos) hält die WHU es für wichtig, öffentliche Aufträge nach transparenten und sauberen Regeln zu vergeben.
So vergibt Norderstedt
Bei Henstedt-Ulzburgs Nachbarin wären Auftragshäufungen, wie jetzt bei Architekten- und Ingenieursleistungen bekannt geworden, nicht mögich - zumindest nicht in der Praxis. Dafür sorgt unter anderem eine 40seitige Dienstanweisung, die insbesondere bei sogenannten "beschränkten Ausschreibungen" und erst recht bei "freihändigen Vergaben" enge Grenzen setzt:
- So soll auf bei freihändiger Vergabe nach Möglichkeit ein "Öffentlicher Teilnehmerwettbewerb vorangehen".
- Sowohl hier, als auch bei beschränkten Ausschreibung "soll unter den Bewerberinnen und Bewerbern möglichst gewechselt werden".
- Ausschreibung, Angebotsprüfung und Vergabe liegen nicht - wie in Henstedt-Ulzburg - in einer Hand.
- Ab einem Auftragswert von200.000 Euro (VOF) wird automatisch das städtische Rechnungsprüfungsamt eingeschaltet, bei VOB und VOL schon ab 25.000 Euro.
- Je nach Auftragshöhe und Fachbereich sind bei der Vergabe bis zu sieben städtische Stellen beteiligt, von der Sachbearbeiterin über den Oberbürgermeister bis zum zuständigen politischen Ausschuss. Bei freihändiger Vergabe ist die Kommunalpolitik bei VOF ab 50.000 Euro zu beteiligen.
Doch Unterstützung erhält die WHH für diese Forderungen bislang nur vom Bund Deutscher Architekten (BDA) - und durch vertiefte Recherchen der Ulzburger Nachrichten. Als "fatal" etwa bezeichnet Schleswig-Holsteins BDA-Chef Jan O. Schulz die Vergabepraxis der Großgemeinde. Zwar sei es grundsätzlich gut, örtliche Unternehmen zu bedenken, das aber nur, indem man aus einer größeren Liste infrage kommender Firmen reihum auswählt. Die Kommunalpolitik der Großgemeinde streitet derweil eher darüber, ob die fragliche Liste überhaupt in die Öffentlichkeit gelangen durfte - statt über die Vergabepraxis. Während die stellvertretende Bürgermeisterin Elisabeth von Bressensdorf (CDU) in der Sache nur schwer erreichbar ist, kann der CDU-Vorsitzende Michael Meschede kein Problem in der Auftragsvergabe an Mitglieder örtlicher Parteien erkennen. Auch Horst Ostwald (SPD) und Tile Abel (Bürger für Bürger) gaben sich zurückhaltend und wollten in der Sache zunächst nicht aktiv werden. Der nun beschlossene Arbeitskreis war da schon das höchste der Gefühle.
Neu sind Gerüchte und Vorwürfe über Seilschaften in Henstedt-Ulzburg indes nicht: Schon in den 80er Jahren soll der bereits genannte, damalige CDU-Chef Günther-Heinz Baum als Architekt zahlreiche Gemeinde-Aufträge erhalten haben, in den 90er Jahren dann sein Amtsnachfolger Volker Manke und dessen überregional bekanntes Unternehmen MANU-Bau (mehr dazu hier). In seinem 2006 erschienenen Buch "Leben in Suburbia" kommt der Soziologe, Politologe und Volkswirt Marcus Menzl nach intensiven Recherchen in Henstedt-Ulzburg zu dem wenig schmeichelhaften Ergebnis, dass in der Gemeinde "in kleinem Kreis wichtige Fragestellungen außerhalb der formal gewählten Gremien vorgesprochen und entwickelt werden". Da kann es dann auch nicht mehr verwundern, dass sowohl die Homepage der Gemeinde als auch die Internet-Präsenz der örtlichen CDU seit Jahren von der Firma Right Vision GmbH betreut wird - wobei zumindest auch ein Teil der Gemeinde-Kommunikation durch die Server dieses Unternehmens läuft und dort theoretisch auch gelesen werden könnte. Right Vision gehört CDU-Politiker Frank Bueschler.