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Dienstag, 1. April 2014, 8:56 Uhr

VION darf wieder töten

Investitionen angekündigt, "Schlachtgeschwindigkeit" gedrosselt

VION-Logo, Schriftzug "Passion for better food"

"Passion for better food", so wirbt der Nahrungsmittelkonzern für seine Produkte (Screenshot: Infoarchiv)

Infoarchiv Norderstedt | Nach gut einmonatiger Zwangspause und zahlreichen Zugeständnissen bei Tierschutz- und Hygienebestimmungen heißt es bei der VION Bad Bramstedt GmbH wieder: "Passion for better food". Nach einer Razzia am 25. Februar war dem Nahrungsmittelkonzern der Betrieb seines Schlachthauses bis auf weiteres untersagt worden.

Der VION-Konzern

VION N.V. ist ein niederländischer Nahrungsmittelkonzern, der im Juli 2006 aus der Sovion N.V. hervorgegangen ist. Seine Anteilseigner sind laut wikipedia rund 16.000 Landwirte, die im niederländischen Bauernverband zusammengeschlossen sind. Das Unternehmen ist in die Bereiche "Ingredients", "Fresh Meat" und "Conveniance" aufgeteilt und produziert in den Niederlanden und Deutschland. Mit Hilfe seiner etwa 13.000 Mitarbeiter erzielt der VION-Konzern einen Jahresumsatz von 6,5 Milliarden Euro.

 

In Bad Bramstedt beschäftigt VION bis zu 400 Mitarbeiter, von denen aber nur etwa 140 zur Stammbelegschaft zählen. Neben ihnen werden zahlreiche Leihkräfte eingesetzt, viele von ihnen aus Rumänien. Mit bislang etwa 70 geschlachteten Rindern pro Stunde ist der Schlachthof der größte seiner Art in Schleswig-Holstein und einer der größten in Norddeutschland. Jährlich verlieren in Bad Bramstedt zwischen 120.000 und 130.000 Rinder ihr Leben.

Es müssen schockierende Zustände gewesen sein, von denen Landwirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und der ermittelnde Staatsanwalt Mitte März in einer gemeinsamen Sitzung des Innen-, Rechts- und Umweltausschusses berichteten. Wer angesichts solcher Vorwürfe auf eine Wiedereröffnung dränge, so FDP-Politiker Heiner Garg im Anschluss, "der muss nicht ganz dicht sein." In teils öffentlicher, teils nichtöffentlicher Sitzung war da von nicht oder nicht vorschriftsmäßig betäubten Rindern die Rede, von Kühen, die bis zu 12 Stunden auf die Schlachtung warten mussten, ohne gemolken zu werden. Von kranken und gesunden Rindern, die gemeinsam auf ihre Schlachtung warteten.

Diese und weitere Missstände sollen im Rahmen einer Großrazzia am 25. Februar festgestellt worden sein, der Schlachthof wurde vorläufig geschlossen. Doch während Habeck schon kurz nach der Durchsuchung ernsthafte Zweifel an der notwendigen Seriosität des VION-Konzerns für den Weiterbetrieb des Bad Bramstedter Schlachthauses äußerte und die Segeberger Kreisverwaltung anwies, ein Verfahren zum Widerruf der Betriebszulassung einzuleiten, äußerte Landrätin Jutta Hartwieg (SPD) von Beginn an Zweifel an den Vorwürfen. Und Dr. Kurt Warlies, Leiter des Kreisveterinäramtes, sagte noch Tage nach der Razzia: "Ich weigere mich zu sagen, dass etwas schiefgegangen ist." Für die meisten der Missstände fand Warlies - im Kreis gleichzeitig für Tiergesundheit, Tierhaltung und Schlachtungen zuständig - einfache Erklärungen. So vermutete er als Ursache für vor Ort festgestellten Wurmbefall, es könne sich um Finnen (Bandwurm-Larven) gehandelt haben, deren Vorkommen innerhalb bestimmter Grenzen "normal" sei.

Dank an Unterstützer

"Die Geschäftsführung der VION Bad Bramstedt GmbH bedankt sich ausdrücklich für die starke Unterstützung von Seiten der Landwirtschaft und der Kunden, der Mitarbeiter sowie der Gewerkschaft, aus Bevölkerung und Politik"

 

VION-Presseerklärung vom 27.03.2014

Gestern um 9 Uhr lief die Produktion in Bad Bramstedt nun wieder an, schon gegen sieben rollten die ersten Viehtransporter mit "schlachtreifen" Kühen und Rindern auf den VION-Betriebshof. Zur gleichen Zeit starteten Geschäftsführung und Veterinäre eine Hygieneinspektion der Betriebsanlagen. Damit es überhaupt so weit kommen konnte, hatte der niederländische "Food-Konzern" weitreichende Zugeständnisse gemacht und am Standort Bad Bramstedt Investitionen in Höhe von rund 1,5 Millionen Euro angekündigt. So sollen vorübergehend unabhängige Experten mit Generalvollmacht und Weisungsbefugnis hinzugezogen werden, um eine "tierschutzgerechte und sichere Schlachtung und Zerlegung" zu gewährleisten, zahlreiche Modernisierungen vorgenommen- und die "Schlachtgeschwindigkeit" um 25 Prozent gedrosselt werden. Außerdem kündigte der Konzern an, die Betäubungsanlage des Schlachthofes mit einer Videoüberwachung zu versehen und sie "auf den Stand der Technik zu bringen." Warum sie das nicht schon vorher war, bleibt ebenso unklar, wie die Frage, weshalb die bis zu 200 eingesetzten rumänischen Werkarbeiter bislang offenbar keine ausreichenden Möglichkeiten hatten, einschlägige Vorschriften in ihrer Sprache zu erhalten.

Britta Reimers

"Ich konnte mir ein Bild davon machen, dass die Einhaltung und Verbesserung des Tierschutzes für Schlachtunternehmen sehr wichtig ist." Die Europaabgeordnete Britta Reimers (FDP) nach einem Besuch des Bad Bramstedter Schlachthofes im Juli 2010. (Foto: FDP)

Kreispolitiker von CDU, SPD und Piratenpartei, sowie die Gewerkschaft NGG äußerten sich nach Bekanntwerden des "Neustarts" zufrieden. Sie hatten die Zwangspause des Schlachthofes ohnehin kritisch begleitet, stellten immer wieder die Bedeutung des Betriebes für die Region und die damit verbundenen Arbeitsplätze in den Fokus. Dabei attestierte der ordnungspolitische Sprecher der SPD-Kreistagsfraktion, Martin Ahrens, dem VION-Konzern unter anderem ein "funktionstüchtiges Krisenmanagement". Und Piraten-Politiker Thomas Wilken fühlt sich in seiner Einschätzung bestätigt, "dass ein Entzug der Betriebsgenehmigung nicht zu vertreten gewesen wäre."

Tatsächlich wäre die Dimension einer Schließung beträchtlich gewesen. Nicht nur, dass die Viehwirtschaft im Kreis nach dem 25. Februar ins Stocken geriet, auch die Beschäftigten des Schlachthofes und sage und schreibe 20 Mitarbeiter des Kreishygieneamtes bangten um ihre Jobs. Die Stadt Bad Bramstedt (14.000 Einwohner) sorgte sich indes um ihr Klärwerk, bzw. steigende Abwassergebühren, weil die Anlage wegen des Schlachthofes auf 60.000 Einwohner ausgelegt ist. "Was", möchte man die nachfolgenden Diskussionen zusammenfassen, "sind da schon ein paar Tierschutz- und Lebensmittelvorschriften?"