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Mittwoch, 23. August 2006, 2:00 Uhr

Straßen, Straßen, Straßen

Immer mehr Bauprojekte: Jetzt wird es ernst in Friedrichsgabe

Von Olaf Harning | Die Planung steht: Stadtverwaltung und Vertreter des Landes Schleswig-Holstein erörterten am 22. und 23. August im Rathaus Argumente von insgesamt 333 Einwendungen gegen Ausbau und Verlängerung der Oadby-and-Wigston-Straße in Norderstedt-Mitte und Friedrichsgabe. Da solcherlei Einwände jedoch erfahrungsgemäß wenig Berücksichtigung finden, ist anschließend mit zügigen Planungsschritten zu rechnen, der Flächennutzungsplan 2020 wirft seine Schatten voraus.
Die derzeitig favorisierte Trasse soll über den Föhrenkamp bis zum Reiherhagen geführt, dann nach Osten zum Friedrichsgaber Weg abgeschwenkt werden. In einem zweiten Ausbauschritt ist am Rande des Neubaugebietes am Reiherhagen ein Abzweig zur Lawaetzstraße geplant, eine Art Liebesdienst für die dort ansässige Jungheinrich AG, die auch bereits die zusätzlichen Planungskosten für diese Strecke getragen hat. In einem dritten Bauabschnitt soll die Trasse schließlich nach Überquerung der Quickborner Straße zum Autobahnzubringer K113 geführt werden.
Langfristiger Hintergrund dieser Baumaßnahmen ist letztlich das Projekt, zusammen mit dem Ausbau der Niendorfer Straße (Umgehung Garstedt) eine geschlossene Ortsumgehung im Westen der Norderstedter Wohngebiete zu erreichen, die mindestens an beiden Enden (Ohechaussee und K113) an die Autobahn 7 anschließt. Dafür aber soll ein etwa 40 Meter breiter Streifen des Naherholungsgebietes Rantzauer Forst abgeholzt- und eine später stark befahrene Straße durch die Neubaugebiete Reiherhagen, Lawaetzstraße/Friedrichsgabe und Quickborner Straße geführt werden, wo derzeit noch das "Wohnen im Grünen" beworben wird.
Während ein Teil der diesbezüglich aus dem Boden sprießenden Bürgerinitiativen nicht weit darüber hinaus kommt, jeweils ihr konkretes Viertel entlasten zu wollen, ohne sich mit der gesamten Problematik auseinander zu setzen, gibt es andererseits durchaus brauchbare Alternativen: So schlagen einige Ausbaugegner vor, eine Umgehung westlich des Rantzauer Forstes zu bauen, wo zumindest derzeit keinerlei Wohngebiet tangiert wird. Die Grün Alternative Liste in Norderstedt (GALiN) indes erinnert an frühere Planungen, nach denen eine solche westliche Trasse direkt zum Autobahnanschluss Norderstedt-Nord geführt werden sollte, was zumindest auf den ersten Blick sehr viel logischer erscheint, jedoch den "Casa Jungheinrich" nicht berücksichtigt. Angesichts vorliegender Daten, die auch nach den Straßenbau-Maßnahmen keine nennenswerte Entlastung für die bisherigen Verkehrswege sieht, stellen die Norderstedter Ortsgruppen des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) und des NABU (Naturschutzbund Deutschland) den gesamten Flächennutzungsplan 2020 in Frage und befürchtet dahinter ganz andere Pläne: "Nach unserem Eindruck dienen die neuen Umgehungsstraßen lediglich als Vorwand, die Siedlungs- und Gewerbeflächen weit in die freie Landschaft auszudehnen, indem man die Umgehungsstraßen als neue Außengrenze definiert."
Bei allen zur Diskussion stehenden Streckenführungen bleibt eines Gewissheit: Mehr Straßen führen zunächst einmal zu - mehr Verkehr. Maren Plaschnick (GALiN) warnt daher nicht zu Unrecht, die Entlastung etwa des Friedrichsgaber Weges würde so "mit einer sehr viel größeren Belastung der AnwohnerInnen im Westen erkauft". Und die städtischen Planungen gehen noch wesentlich weiter: Die Westumgehung soll mit einem dritten Autobahnanschluss (!) auch noch mittig an die A7 angeschlossen, eine weitere Trasse durch das dort befindliche Naherholungsgebiet mit Wander- und Reitwegen asphaltiert werden. Nicht erst seit gestern werfen Naturschutzverbände, Anwohnerinitiativen sowie die städtische Opposition aus SPD und GALiN der CDU-Mehrheit und der planenden Verwaltung aufgrund derart massiver Straßenbauprojekte vor, den Slogan der "bewohnbaren Stadt" in einen der "befahrbaren Stadt" umzuschreiben.
Zudem beruhen sämtliche Vorhaben der Stadt auf weitgehend irrealistischen Annahmen. So geht die Norderstedter Verwaltung derzeit davon aus, dass Norderstedt 2020 rund 86.000 EinwohnerInnen und damit entsprechend angewachsenes Verkehrsaufkommen bewältigen muss. Da Norderstedt in den vergangenen zehn Jahren jedoch nur um knapp 3.000 Menschen gewachsen ist, dürften bis 2020 selbst großzügig aufgerundet allenfalls 5.000 NorderstedterInnen zuziehen, womit die Stadt weiterhin unterhalb von 80.000 Menschen liegen würde. Sämtliche Daten über das zukünftige Verkehrsaufkommen scheinen damit deutlich überhöht.
Schon seit Monaten stehen CDU-Mehrheit und Verwaltung in Norderstedt massiv in der Kritik, dem Auto- und Schwerlastverkehr absolute Priorität in der Verkehrsplanung einzuräumen. Auf diese Weise, so etwa der Norderstedter ADFC, wurde die einst gelobte Förderung des Fahrradverkehrs mittlerweile in ihr Gegenteil verkehrt: Norderstedt erreichte bei einem bundesweiten Ranking nur den 85. von 93 Plätzen in Sachen Fahrradfreundlichkeit in Städten unter 100.000 EinwohnerInnen. Darüber hinaus ist die Kfz-Dichte der Stadt ohnehin bereits traditionell eine der höchsten in ganz Deutschland. Neue, großzügige Verkehrswege in der und um die Stadt werden ohne gleichzeitige verkehrsmindernde Maßnahmen unbestritten zu einem weiteren Anwachsen des Auto- und Schwerlastverkehrs - und damit zu einer Minderung der Lebensqualität für alle NorderstedterInnen - führen.

Oadby-and-Wigston, Norderstedter Partnerstadt, muss für das aktuelleste Straßenbauprojekt herhalten.

Veröffentlicht in Umwelt mit den Schlagworten CDU, GALiN, Jungheinrich, Norderstedt, Schleswig-Holstein, SPD