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Freitag, 30. Juni 2006, 2:00 Uhr

Proteste am Cop

Zentral-Abi und Stellenstreichungen: Kiel organisiert neue PISA-Krise

Von Olaf Harning | Vor einem eindrucksvollen Stapel von Schulheften, die den steigenden Arbeitsaufwand der Lehrkräfte symbolisieren sollte, sprachen "kurz vor zwölf" Lehrerin Barbara Franke, die Vorsitzende des Schulelternbeirats Timmann, die GEW-Aktivistin Sabine Dubbert und der Schülersprecher Michael Mehr zu den Protestierenden, die u.a. auch vom Lise-Meitner-Gymnasium und vom Gymnasium Harksheide ans "Cop" gekommen waren.
Schon die erste Rednerin ging dabei ins Eingemachte: Nachdem eine Gruppe junger Schülerinnen immer wieder die Parole "Wir sind hier und wir sind laut – weil Ihr unsere Bildung klaut" skandiert hatte, kritisierte Barbara Franke die ausgedünnte Personaldecke der Schulen. Krankheitsbedingte Ausfälle könnten nicht ersetzt-, lernschwache SchülerInnen nicht ausreichend gefördert werden. Selbst die Wirtschaft würde mit dem "fürchterlichen Wort Humankapitalschwäche" den sinkenden Bildungsstand aufgreifen und der sei Folge der genannten Bundes- und Landespolitik. Am Rande kritisierte Franke übrigens auch die Einführung von Studiengebühren in der nahen Hansestadt: "Wenn eine Familie 2 Kinder hat, sind das 2.000 Euro im Jahr, damit die Kinder studieren können."
Eine Elternvertreterin stieß anschließend in das gleiche Horn, auch sie beklagte Stundenausfall und überlastete Lehrkräfte, mahnte bessere Lernbedingungen ein und rief den 500 Demonstrierenden abschließend zu: "Unsere Kinder sind unsere Zukunft!". Den größten Beifall erhielt aber der Schülervertreter Michael Mehr. "Ob Lehrer zwei oder drei Stunden mehr arbeiten müssen, kann uns eigentlich völlig egal sein", begann er seinen Beitrag ironisch an der Lautsprecher-Anlage, um nach deren Ausfall per Megaphon zu erläutern, warum sich der Druck auf die Lehrer am Ende auch negativ auf die SchülerInnen auswirkt, beispielsweise Neueinstellungen verhindert: "Wir wollen aber auch junge Lehrer, die neue pädagogische Strömungen verkörpern (...). Das neue Abitur wird viel schwerer werden und uns dennoch schlechter auf ein späteres Studium vorbereiten." Er erinnerte die Anwesenden auch daran, dass die demonstrierenden LehrerInnen mit ihrer Teilnahme die berufliche Karriere aufs Spiel setzen: "Dafür ein ganz herzliches Dankeschön!"
In einem Flugblatt der "Lehrerschaft, Schülerschaft und Elternschaft des Copernicus-Gymnasiums" stellen die OrganisatorInnen auf die Frage "Wird Deutschland Weltmeister?" süffisant fest, dass man beim Vergleich der Bildungsausgaben aller WM-TeilnehmerInnen mit 4,6% des Bruttosozialproduktes knapp hinter Paraguay und dem Iran auf dem 17. Platz liegt. Außerdem beklagen sie den Arbeitsplatzabbau durch Arbeitszeitverlängerung: 360 Lehrkräfte würden so eingespart, die Verringerung der Neuverschuldung des Landes würde die Große Koalition alleine über die Reduzierung der Personalkosten anstreben.
Diese Stellenvernichtung führe vor allem auch zu größeren Klassen mit über 30 SchülerInnen. Insbersondere die Chancen für Kinder aus sozial benachteiligten Familien würden so sinken. Das 12jährige Abitur bedeute zudem mehr Lernstoff in weniger Zeit mit zum Teil schon jetzt 34 Wochenstunden für Siebtklässler, die sogenannte Profiloberstufe mit Zentralabitur sorge neben einer Erschwerung des Abiturs ebenfalls für größere Klassen und zur "reinen Paukerei (...) ohne kritische, differenzierte Herangehensweise an den Lernstoff."
Die ProtestlerInnen beenden das Flugblatt mit einem zynischen Vergleich: "Es ist widersinnig, bei der Feldbestellung den Dünger wegzulassen, altes Werkzeug zu benutzen, nicht zu gießen, aber durch ständiges Messen, Wiegen, Protokollieren sowie Drangsalieren der Gärtner eine Spitzenernte erzielen zu wollen." Eine Reaktion des Bildungsministeriums war am Freitag nicht mehr erhältlich.

Veröffentlicht in Soziales mit den Schlagworten Schule