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Freitag, 25. März 2011, 15:43 Uhr

Lohndumping am Kulturwerk?

Vorfälle in Schwerin lassen an Bauunternehmen zweifeln

Die Kulturwerk-Baustelle im Mai 2010.

Die Kulturwerk-Baustelle im Mai 2010. (Foto: Infoarchiv)

Von Olaf Harning | Auf der Baustelle des künftigen Kulturwerks am See geht es möglicherweise nicht mit rechten Dingen zu. Dieser Verdacht drängt sich zumindest auf, wenn man Meldungen der Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG BAU) aus Schwerin, Berlin und Hamburg näher beleuchtet. Alleine in Schwerin bemüht sich die Gewerkschaft zur Zeit um ausstehende Löhne von rund 70 rumänischen Bauarbeitern, die für einen Subunternehmer des Berliner Unternehmens BSS GmbH an der dortigen Marienplatz-Galerie tätig waren. Auch das Kulturwerk auf dem Norderstedter Landesgartenschau-Gelände wird von BSS umgebaut, beschäftigt werden: Rumänen.

Unternehmenslogo

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Die IG BAU war kürzlich auf die betroffenen Bauleute aufmerksam gemacht worden, weil die sich mehr oder weniger orientierungslos am Schweriner Bahnhof aufhielten. Gewerkschaftssekretär Armin Rutz stellte dann mit Übersetzungs-Hilfe des Europäischen Verbandes der Wanderarbeiter fest, dass die Männer bis zu drei Monate auf der BSS-Baustelle des neuen Einkaufszentrums beschäftigt worden waren - allesamt als "Selbstständige". Demnach hatte das rumänische Subunternehmen Posa Bau die Betroffenen zwar angeheuert und als sogenannte Kontingentarbeiter nach Schwerin geholt, vor Ort aber ein Scheinselbständigen-System aufgezogen. Das Resultat: Die Männer erhielten für drei Monate Arbeit lediglich Abschlagszahlungen in Höhen zwischen 50 und 1.000 Euro. Tatsächlich aber hätten ihnen Mindestlöhne von 9 bis 9,80 Euro/Stunde zugestanden - bei drei Monaten Arbeit mindestens 5.000 Euro brutto. Die rumänischen Bauleute sind mittlerweile Mitglieder der IG BAU und machen die hinterzogenen Löhne juristisch geltend.

Die Kulturwerk-Baustelle von der anderen Seeseite aus betrachtet.

Die Kulturwerk-Baustelle, betrachtet von der anderen Seeseite aus.

Ob dies nun eins zu eins auf Norderstedt und die rumänischen Bauarbeiter im entstehenden Kulturwerk übertragen werden kann, ist natürlich unklar. Bei insgesamt drei Begehungen des Landesgartenschau-Geländes jedenfalls, konnte die IG BAU weder nennenswerte Tarifverstöße, noch die Umgehung von Sicherheitsmaßnahmen feststellen. Auch das Hauptzollamt war mehrfach auf dem Gelände, wollte dem Infoarchiv aber keine Angaben über mögliche Verstöße gegen Mindestlohn und Arbeitsschutzgesetze machen. Nach Schätzungen von Insidern erhält kaum ein "Kontingent-Arbeiter" aus Osteuropa in Deutschland tatsächlich den vollen Mindestlohn, gleichzeitig aber werden bei Kontrollen kaum 5% der Baustellen beanstandet. Hintergrund: Die Betroffenen erhalten - auf dem Papier - den korrekten Lohn, tatsächlich aber haben die Bauleute wesentlich mehr gearbeitet, als auf den Abrechnungen angegeben, müssen von ihrem Mindestlohn horrende Kosten für Container-Unterkünfte zahlen oder haben sich mündlich verpflichtet, nach ihrer Rückkehr einen Teil der Löhne an ihren Arbeitgeber abzutreten. Die IG BAU und das für Kontrollen zuständige Hauptzollamt haben angesichts derartiger Praktiken ein erhebliches Beweis-Problem.

Dafür, dass die rumänischen Arbeiter auch in Norderstedt betrogen werden spricht indes, dass die IG BAU laut Regionalleiter André Grundmann neben Schwerin auch in Hamburg und Berlin Rumänen vertritt, die für Posa Bau, bzw. Generalunternehmer BSS tätig waren und trotz eines "Nettolohnversprechens" von 8 Euro/Stunde am Ende so gut wie leer ausgingen. Mit den Vorgängen konfrontiert, wollte in der Berliner BSS-Zentrale allerdings niemand mit dem Infoarchiv sprechen, noch nicht einmal der Name des für die Kulturwerk-Baustelle zuständigen Bauleiters wurde genannt. Die Projektleitung der Landesgartenschau hingegen reagierte ob der Vorwürfe "not amused" und fragte bei BSS umgehend aktuelle Subunternehmerlisten ab. Zumindest spontan wollte man dem Infoarchiv aber nicht mitteilen, ob das Berliner Unternehmen auch hier mit Posa Bau zusammenarbeitet.

Klar ist jedenfalls, dass die Beton-System-Schalungsbau GmbH, die im Großraum Hamburg kaum oder gar nicht über eigenes gewerbliches Personal verfügt, noch bei Vertragsabschluss in Sachen Kulturwerk angekündigt hatte, für viele der Arbeiten örtliche Handwerker zu engagieren. Da das nicht geschah und Lohndumping befürchtet wurde, hatte GALiN-Politikerin Maren Plaschnick bereits im Juni 2010 im zuständigen Ausschuss nachgehakt und städtische Kontrollmechanismen eingeklagt. Baustadtrat Thomas Bosse wiegelte jedoch ab, schließlich habe man mit BSS vertraglich Tariftreue vereinbart. Darauf berufen sich nun auch die Gartenschau-MacherInnen: "Die Vereinbarung über Tariftreue" sei Vertragsbestandteil und "auch für die Vertragsabschlüsse des Unternehmers BSS mit Nachunternehmen bindend". Wir erinnern uns: Die meist realitätsferne Papierlage.

Das Gartenschau-Gelände.

Das Gartenschau-Gelände (Grafik: Landesgartenschau Norderstedt 2011 gGmbH)

Das Kulturwerk am See wird nach der Landesgartenschau unter die Leitung von TriBühne-Geschäftsführer Rajas Thiele gestellt und die Norderstedter Kulturlandschaft mit einer Probebühne, einem Saal für 400 Personen, sowie Galerien, Ateliers und zahlreichen Nebenräumen nachhaltig beleben. Kritik hatte es im Vorfeld unter anderem von Jugendlichen gegeben, die in dem Gebäude gerne auch günstige Band-Proberäume gesehen hätten. Neben dem Kulturwerk, das per Umbau aus dem ehemaligen Kalksandsteinwerk Potenberg entsteht, wird ein würfelförmiger Neubau für die Norderstedter Musikschule errichtet. Beide Gebäude zusammen kosten den/die Steuerzahler/in inklusive Innenausbau rund 7,9 Millionen Euro. Während der Landesgartenschau (21. April bis 9. Oktober 2011) werden beide Gebäude für spezielle und teils spektakuläre Ausstellungen genutzt.