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Mittwoch, 8. Januar 2014, 11:53 Uhr

"Kein Demokrat nach heutigem Verständnis"

Von-Mohl-Gutachten: Umstritten wegen "Kollegen-Schelte"

Schriftzug auf dem Deckblatt des Gutachtens: "IZRG-Gutachten Waldemar von Mohl"

Stein des Anstoßes: Das IZRG-Gutachten über Waldemar von Mohl (Foto: Infoarchiv)

Infoarchiv Norderstedt | Dass ein Mann, der in Schleswig-Holstein zwischen 1932 und 1945 das Amt eines Landrates bekleidete, kein lupenreiner Demokrat gewesen sein kann, versteht sich eigentlich von selbst. Nichts anderes ergab nun auch ein Gutachten, das der Kreis Segeberg in Auftrag gegeben hatte, um das Wirken seines NS-Landrats Waldemar von Mohl unter die Lupe zu nehmen. Weil darin auch heftig gegen den Alvesloher Historiker Gerhard Hoch gekeilt wird, sorgt das Papier aber für Kritik aus unerwarteter Richtung.

Gerhard Hoch in der Gedenkstätte Kaltenkirchen, u.a. mit ehem. Häftlingen

Gerhard Hoch (li.) auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen. Zweiter von rechts: Roger Rémond, ein ehemaliger Häftling (Foto: U. Körby)

Das Thema angestoßen hatte die kleine Fraktion der Segeberger LINKEN. Im Januar 2013 war ihr Vorsitzender, Heinz-Michael Kittler, über das Portrait von Mohls gestolpert – eher zufällig, weil er sich die Ahnengalerie im Kreishaus einmal näher ansah. Und als die Bilder der Landräte wenig später zu Reinigungszwecken abgehängt wurden, fragte er direkt einmal nach, ob man denn auch „den von Mohl“ unbedingt wieder aufhängen müsse. Dass er damit bereits die dritte Runde im Streit um das Wirken des Mannes einläutete, war Kittler anfangs nicht bewusst.

Schon 1980 nämlich hatte der bis dato tadellose Ruf von Mohls erste Risse bekommen, als Regionalhistoriker Gerhard Hoch einen umfangreichen Band zur NS-Zeit in Kaltenkirchen veröffentlichte und darin auch Kritik an der Rolle von Mohls äußerte. Wirklich ernst wurde es aber erst 1995, als sich eine überwiegend in der „Segeberger Zeitung“ geführte, mehrjährige Auseinandersetzung zwischen Hoch und Anton von Mohl (†) – einem Sohn des Landrats – entwickelte. In deren Verlauf konkretisierte der Historiker seine Vorwürfe, während von Mohl die Integrität seines Vaters hervorhob.Auf all dies stieß Kittler nun im Laufe seiner Recherchen, beantragte Mitte Februar die historische Kommentierung des Portraits und brachte die Dinge in Bewegung.

Denn nach anfänglichem Widerstand der CDU und dem Hinweis, Kittler solle sich lieber einmal mit SED und Stasi auseinandersetzen, herrschte im zuständigen Ausschuss schnell Einigkeit darüber, die Tätigkeit des NS-Landrats professionell begutachten zu lassen. Mit durchaus vorhersehbarem Ergebnis: Auf 27 Seiten kommen die Historiker Dr. Sebastian Lehmann und Prof. Dr. Uwe Danker vom Institut für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte (IZRG) zu der Einschätzung, dass von Mohl zwar letztlich „kein Nationalsozialist“, aber eben auch „kein Demokrat nach heutigem Verständnis“ gewesen sei. Statt sich dem für ihn zweifellos erkennbaren, verbrecherischen Charakter des NS-Regimes zu verweigern, habe er sich als Landrat mit hoher Anpassungsbereitschaft in den Dienst des Nationalsozialismus gestellt und dadurch „ein Beispiel zur Mitarbeit am NS-Staat“ geboten.

Fotomontage der CDU mit Infoterminal und Ahnengalerie

So oder so ähnlich könnte ein Infoterminal im Kreishaus aussehen, wenn es nach der Union geht (Fotomontage: Uwe Voss

So arbeitete von Mohl eng und vertrauensvoll mit NSDAP-Kreisleiter Werner Stiehr zusammen, der schon in den frühen 1930er Jahren durch scharfe Attacken auf politische Gegner und die Juden der Region aufgefallen war. Außerdem war der Landrat nicht nur politisch für hunderte Sterilisationen im Rahmen des NS-Euthanasieprogramms verantwortlich. Mit Dr. Hans Rinne, einem der Leiter des für die Sterilisationen vorrangig zuständigen Kreiskrankenhauses, verband ihn offenbar auch ein freundschaftliches Verhältnis. Eine „erläuternde Kommentierung des Portraits und der Rolle Waldemar von Mohls“ kommt für die Gutachter daher als „absolute Minimalmaßnahme“ in Frage. Wünschenswert sei eher eine historisch eingeordnete, interaktive Dokumentation aller Landräte, die zu aktiver Auseinandersetzung herausfordert.

Wie genau der künftige Umgang mit von Mohl aussehen wird, darüber will der Ausschuss im Februar befinden. Schon jetzt aber deutet sich an, dass sein Andenken im Kreishaus nicht länger kritiklos ausfallen wird. So will die FDP den Empfehlungen der Gutachter folgen und auch der CDU-Kreistagsabgeordnete Uwe Voss spricht sich für eine Multimedia-Stele mit „historischen Erkenntnissen“, Filmclips und einen Internet-Zugang zur weiteren Recherche aus. Für Heinz-Michael Kittler sind derlei Details am Ende eher Nebensache: „Uns war wichtig“, so der LINKEN-Fraktionschef, „dass so ein Mann im Kreishaus nicht unkommentiert geehrt wird. Und genau das wird künftig nicht mehr der Fall sein.

Hoch: "Das hielt und halte ich für angemessen"

"Es hat mich sehr gefreut, dass es unter unseren Zeitgenossen Menschen gibt, die das Schweigen um Landrat Waldemar von Mohl und seine öffentliche Ehrung in Frage zu stellen wagen, und dass unser Kreistag eine öffentliche Auseinandersetzung ermöglicht hat."


"Fachleute halten mir vor, meine Darstellung der Person von Mohl sei ´apodiktisch` geraten. Richtig! Das hielt und halte ich für angemessen. Das erklärt sich aus den Zeilen meines Buches: Gestolpert war ich insbesondere über den unehrlichen Schmus in den Nachrufen auf seine Person, zum Beispiel ´gestandener Demokrat`. Meine Empfehlung: Lasst dies Denkmal stehen, aber hinterfragt es. Eben dazu wollte und will ich anregen."


"Mein Resumee: Ich habe mit meinem Buch genau das enthüllt, was ihre Redaktion so kurz und treffend mit der Schlagzeile wiedergibt: ´Landrat zur NS-Zeit: Pflichtgetreu verwaltete er auch das Unrecht`. Eben! Dies taten Hunderttausende seinesgleichen und ermöglichten damit den anderen Kräften unseres Volkes ihr zerstörerisches und blutiges Handwerk."


Aus einem Leserbrief von Gerhard Hoch - veröffentlicht in der "Segeberger Zeitung" vom 13.11.2013.

Irritiert ist Kittler jedoch von Äußerungen der Gutachter über Gerhard Hoch, der in den 80er Jahren trotz heftiger Widerstände erst den Weg für die Aufarbeitung der lokalen NS-Geschichte bereitet hatte und dafür mehrfach ausgezeichnet wurde. Lehmann und Danker kommen zu der Einschätzung, dass dessen im Jahr 2000 erschienene Biografie über von Mohl „nur eingeschränkt brauchbar“ und von „quellenkritischen Fehleinschätzungen“ durchzogen sei. Außerdem werfen sie Hoch fehlerhafte Datierungen und „nicht nachvollziehbare Quellenbelege“ vor. Bei mehreren Deutungsmöglichkeiten habe Hoch "apodiktisch" stets diejenige gewählt, die von Mohl in die Nähe nationalsozialistischer Überzeugungen rückt - die aber letztlich nicht belegbar seien. Andererseits kommen die Autoren selbst nun auf Grundlage einer ähnlich dünnen Beweislage zu der klaren Aussage, von Mohl sei "kein Nationalsozialist" gewesen.

"Gut gemacht, aber Hoch geopfert", kommentiert Kittler das Gutachten samt Kollegenschelte und sieht in der Kritik an dem heute 90jährigen Regionalhistoriker vor allem ein Zugeständnis an die verschiedenen Interessengruppen im Kreis, die sich teils bis in die 2000er Jahre gegen die Arbeit Hochs gewehrt hatten. Der Rendsburger Historiker Rolf Schwarz wird da schon wesentlich deutlicher: „Statt Herrn Hoch zu kritisieren, hätten die Autoren lieber ein seriös erarbeitetes Gutachten abliefern sollen“, sagt er und listet in einer umfangreichen Stellungnahme (siehe Dokument am Ende dieses Artikels) angebliche Fehler und Ungenauigkeiten der IZRG-Autoren auf. Da "die Vorgehensweise des Diskreditierens anderer" beim Flensburger Institut nicht zum ersten Mal zutage getreten sei, fordert Schwarz sogar, die Finanzierung des IZRG zu "diskutieren". Und auch der Vorstand des Trägervereins der KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen, deren Einrichtung maßgeblich auf das Wirken Hochs zurückgeht, kritisiert den Tenor des Gutachtens, will sich nach Angaben von Vorstandsmitglied Uta Körby aber vorerst nicht schriftlich dazu äußern.

Gegenüber dem Infoarchiv weisen Uwe Danker und Sebastian Lehmann die gegen sie erhobenen Vorwürfe zurück. Die Stellungnahme von Rolf Schwarz sei ein "Gebräu aus Unterstellungen, aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten und Halbwahrheiten", Schwarz selbst eine Art politischer "Stalker", der dem IZRG seit langer Zeit "mit kaum fassbarer Energie" nachstelle. Die ausführliche Beschäftigung mit der Mohl-Biografie Hochs sei für jeden Wissenschaftler selbstverständlich, habe sie doch den Ausgangspunkt der Debatte geliefert und stelle die Referenzarbeit der Autoren dar. "Unsere Achtung vor seinem Lebenswerk", so Danker in Richtung Gerhard Hoch, "bleibt unberührt, auch unsere freundschaftliche Verbundenheit". Inhaltlich wollen sich beide nicht zu den Vorwürfen in der Stellungnahme Schwarz´ äußern: "Wir würden damit selbst unsere seriöse wissenschaftliche Arbeit auf ein solches Niveau herabziehen."

 

Ein Kommentar zu diesem Artikel

12.01.2014, 18:31 Uhr AnonymousNiveaufrage

Über die Schlussfolgerungen von Schwarz könnte man diskutieren, aber seine Kritikpunkte sind alle nachprüfbar und sachlich richtig.
Diesen Ausführungen sind Danker und Lehmann scheinbar nicht nachgegangen. Schade, denn so haben sie ihre Chance verpasst, auf das Niveau inhaltlicher Auseinandersetzungen aufzusteigen.