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Sonntag, 29. Januar 2006, 1:00 Uhr

Holocaust-Gedenken

Bürgermeister kritisiert Ingnoranz und Pietätlosigkeit

Info Archiv Norderstedt | Der Bürgermeister hatte einen Zeitungsausschnitt mitgebracht, der ihm zuvor von Heike Linde-Lembke (Chaverim) zugeschickt worden war. Auf der Seite der Landeszeitung Lüneburger Heide vom 21. Januar war ein Artikel über die Deportation von Lüneburger Sinti nach Auschwitz zu lesen. Ein Viertel der Seite musste jedoch für eine Anzeige des Energie-Riesen E-ON herhalten - mit dem Slogan: "E-ON sorgt heute schon für das Gas von morgen!"
"Das mag", so der Bürgermeister, "einfach nur ein Redaktionsversehen sein, die Einen machen den Text, die Anderen die Anzeigen. Aber irgendwann wird doch jemand das Ganze zusammen montiert haben und die Sensibilität - der Umgang mit diesem Thema fehlt. Meine Damen und Herren, an diesem Beispiel zeigt sich einfach, dass Manche sagen: Es ist ja schon 60 Jahre her." Ebenfalls erbost gab sich Grote über die Ignoranz einiger PassantInnen, die sich während der Trauerreden mitten durch die Versammlung schlängelten und ungerührt ihrer Wege gingen. Der Bürgermeister: "Die Leute nehmen sich noch nicht einmal eine Minute, um herauszufinden, wessen wir heute gedenken."
Zuvor hatte schon Heike Linde-Lembke traditionell zum Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz gesprochen. Sie zitierte in diesem Jahr aus einem Buch des Schriftstellers Ralf Giordano, der darin seine Erlebnisse als kleiner Junge in der Pogromnacht des 9. November 1938 schilderte. Damals setzte der aufgehetzte deutsche Mob ganz überall im Land die Geschäfte und Synagogen deutscher Juden in Brand und ermordete dutzende von ihnen. Giordano selber wurde an diesem Tag Zeuge von zahlreichen Zerstörungen und musste mit ansehen, wie ein alter Mann aus dem Fenster einer Synagoge geworfen wurde und auf der Straße aufschlug. Linde-Lembke: "So wie die Menge um diesen Mord herumstand und um die Plünderungen, so standen damals Viele herum und haben nichts getan. Das ist es auch, was Giordano sagen wollte, das ist es was er nicht begreift, und heute ist er 83 und begreift es immer noch nicht. Und das ist es eben, warum wir hier heute wieder stehen müssen."
Neben dem Bürgermeister und Heike Linde-Lembke nahmen auch Stadtpräsidentin Charlotte Paschen (CDU), ihr Mann Herbert Paschen (CDU, Anfang der 90er Jahre verantwortlich für fremdenfeindliche Wahlkampf-Anzeigen in der Norderstedter Presse), Uwe Matthes (FDP), der Ortsverband der VVN/BdA und örtliche Aktive der IG BAU an der Gedenkveranstaltung teil. Chaverim, die Stadt Norderstedt und die VVN legten zudem Kränze im Gedenken an die Ermordeten nieder.
Das KZ Wittmoor hatte zwischen dem 31. März 1933 und dem 8. Oktober 1933 bestanden und war damit eines der ersten im Großraum Hamburg. Bis zu 140 Gefangene saßen ungefähr auf dem heutigen Gelände des PLAZA-Baumarktes an der Segeberger Chaussee ein, überwiegend "Politische", das heißt: Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter. Nach etwas über einem halben Jahr wurde das Konzentrationslager wieder aufgelöst, die Insassen u.a. in das berüchtigte KZ Fuhlsbüttel (KOLAFU) verlegt.
Die Bundesorganisation der VVN/BdA hat sich derweil in einer Erklärung zum 27. Januar 2006 erneut nachdrücklich für das Verbot von Neonazi-Aufmärschen und Zivilcourage gegen Neonazi-Gewalt stark gemacht: "Die Ideologie dieser Leute hat Auschwitz erst möglich gemacht", heißt es konkret. Zuletzt an diesem Wochenende hatten NPD und "Freie Kameradschaften" wieder versucht, mit Aufmärschen zum Holocaust-Gedenktag und zum Tag der Machtübernahme Hitlers (30. Januar) zu provozieren. In mehreren Städten scheiterte dies jedoch jäh: In Stuttgart etwa stellten sich am Samstag mehr als 2.000 DemonstrantInnen rund 200 Nazis entgegen. Auch 800 PolizistInnen konnten dort nicht verhindern, dass viele der rechtsradikalen Schläger von DemonstrantInnen und AnwohnerInnen gemeinsam förmlich aus der Stadt gejagt wurden.

Bürgermeister Hans-Joachim Grote und Stadtpräsidentin Charlotte Paschen (beide CDU) legen einen Kranz der Stadt Norderstedt nieder.

Veröffentlicht in Geschichte mit den Schlagworten CDU, FDP, Hans-Joachim Grote, IG BAU, Norderstedt, NPD