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Mittwoch, 8. September 2004, 2:00 Uhr

Große Koalition für Landesgartenschau

Nordersteter SozialdemokratInnen kippen wieder einmal um

Eine Idee voraus? Blick vom Wall der "Costa Kiesa" auf das LGS-Gelände

Eine Idee voraus? Blick vom Wall der "Costa Kiesa" auf das (noch) idyllische Glasmoor (Foto: Infoarchiv)

Infoarchiv | Anette Reinders (GALiN) muss sich sehr einsam vorgekommen sein, als der Hauptausschuss der Stadt Norderstedt am späten Montagabend zur Abstimmung über die Landesgartenschau-Träume von Bürgermeister Hans-Joachim Grote (CDU) schritt: Als einzige widersprach sie der Bewerbung für die teure Gartenbau-Messe, obwohl sich bis wenige Tage zuvor auch die SozialdemokratInnen noch gegen das Bürgermeister-Projekt ausgesprochen hatten, ja sogar eine Veranstaltung gegen die Schau organisieren wollten.

Woher der erneute Stimmungswandel der SPD-Hauptausschuss-Mitglieder Johannes Paustenbach, Sibylle Hahn und Jürgen Lange rührte, wird wohl wieder einmal das Geheimnis der "GenossInnen" bleiben. Auf jeden Fall sorgten sie mit ihrem gewohnten Rückzieher dafür, dass sich die Stadt Norderstedt nun beinahe einstimmig um die Landesgartenschau (LGS) bemüht - ganz nach dem Geschmack von Kürzungs-Bürgermeister Hans-Joachim Grote (CDU). Mit sieben Ja-Stimmen von CDU-Fraktion und FDP, einer Gegenstimme der GALiN und drei sozialdemokratischen Enthaltungen erfüllt der Bürgermeister damit auch gleich eine der schleswig-holsteinischen Vergabe-Bedingungen. In Kiel wird nämlich (unter anderem) verlangt, dass die jeweilige Bewerbung der Städte und Gemeinden "in regionalem Konsens" erfolgt. Genau das jedoch war bislang auch in der Stadtvertretung nicht der Fall. Nach dem Beschluss des Hauptausschusses, der am 14. September von der Stadtvertretung nur noch bestätigt werden muss, verbleiben nun lediglich die GALiN und zahlreiche Norderstedter Vereine und Verbände im Kreis der GegnerInnen und SkeptikerInnen einer Landesgartenschau in Norderstedt. Einige von ihnen hatten sich zuletzt am vergangenen Sonntag an einem Rundgang mit Anette Reinders und Maren Plaschnick (ebenfalls GALiN) durch den Stadtparkt beteiligt, in dessen Verlauf die Politikerinnen die bislang wenig konkreten Pläne von Bürgermeister und Verwaltung erläuterten. Unter dem beinahe "atemberaubenden" Motto Kulturraum Stadt - von der Natur in die Stadt, von der Stadt in die Natur sollen demnach drei Bereiche entstehen und die LGS ausmachen: Der Bereich Stadt vom ZOB- Norderstedt Mitte über die Rathausallee, den Alten Kirchenweg, den Grünzug von dort bis zur Falkenbergstraße und weiter bis zum "Stadt-Eingang" der LGS am Falkenhorst, der Bereich Landschaftspark (das dann eingefriedete und kostenpflichtige Herz der LGS) und der Bereich Natur - das Glasmoor östlich der Schleswig-Holstein-Straße. "Die bestehenden schutzwürdigen, das Bild des Stadtparks prägenden Biotope dieses Areals bleiben als Bestandteil des Stadtparks erhalten und damit in der Nachnutzung weiterhin Bestandteil des Biotop-Verbundes", führen Bürgermeister und Verwaltung in diesem Zusammenhang aus. Um die "prägenden Biotope" herum sollen indes zahlreiche Event-Bereiche gruppiert werden, die das Antlitz des Parkes freilich erheblich ändern werden. Sowohl temporäre Veränderungen wie eine Tribüne am Rande des Sees (für Freilichtaufführungen im Rahmen des Schleswig-Holstein-Musikfestivals) oder Präsentationshallen auf dem Gelände des ehemaligen Kalksandsteinwerks Potenberg, als auch dauerhafte Eingriffe sollen erfolgen. So steht die Verwaltung offenbar mit dem Besitzer des Potenberg-Geländes in Verbindung, der dem Vernehmen nach ohnehin größtes Interesse an einer Veräußerung der Flächen hat. Womöglich - muß in diesem Zusammenhang gesagt werden - um lästigen Forderungen entgehen, denn das Kalksandsteinwerk Potenberg "beschäftigte" während des Nationalsozialismus hunderte Zwangsarbeiter ebendort. Davon soll in Zukunft keine Rede mehr sein: Nach der LGS, aber eben auch als Teil ihres Konzeptes "könnten dort", so die Verwaltung, "Wohnen, Gewerbe und Freizeit miteinander kombiniert werden. Neue Identifikationspunkte können entstehen: "Wohnen am Stadtpark", "Arbeit am Park", "Cafe am See". Durch die Integration dieser Flächen in das städtebauliche Umfeld werden wichtige Impulse für das gesamte Gebiet geliefert. Die zur Zeit noch untergenutzten Flächen im Gewerbegebiet "Stonsdorf am Stadtpark" werden für mittelständische Betriebe an Attraktivität gewinnen." Das Gelände nördlich der "Costa Kiesa" indes soll demnach dauerhaft als "Festplatz" hergerichtet werden - Nachtigall, ick hör Dir trapsen: Seit elf Jahren findet genau dort das unkommerzielle und in der Regel auch unangemeldete Festival "Schall und Rausch" statt ... und ist der Stadtverwaltung bereits länger ein Dorn im Auge. Ein "hergerichteter Festplatz" wird solchen Aktivitäten künftig wohl kaum mehr geöffnet werden. Nicht selten gaben sich die TeilnehmerInnen des GALiN-Rundganges aber auch amüsiert: Teil des Natur-Bereiches soll die Präsentation von "Wildpferden" oder "robuster Rinderrassen" werden - freilich auf engen Weiden eingezäunt. Auf einem Gelände, das bislang vielen hundert Kindern der umliegenden Wohngebiete als riesiges Abenteuergelände dient, will man teure Kinder-Bauernhöfe und Streichelzoos installieren, um eben jene kleinen BesucherInnen zu unterhalten - absurd. Neben vier Mitgliedern der Grün Alternativen Liste in Norderstedt (GALiN) selber nahmen an dem Rundgang auch der ehemalige Baustadtrat Jürgen Meßfeldt (CDU), die Naturschutzbeauftragte der Stadt Ingrid Niehusen, Mitglieder des Info Archivs, Dr. Herwig Niehusen vom Norderstedter BUND, Mitglieder anderer Umweltverbände und zahlreiche AnwohnerInnen teil. So einig sich derweil die örtliche Politik in Sachen LGS geworden ist, so sehr kritisieren weiterhin Umweltverbände, Vereine und Verbände die "Grote-Schau". Alleine die geplante Erschließung des Glasmoores sorgte bereits während der ersten, öffentlichen Diskussionen für Streit mit den Umweltverbänden NABU und BUND, ist dort schließlich durch die ungestörte Entwicklung großer Flächen eine einmalige Landschaft für zahlreiche, seltene Tierarten entstanden. Unter anderem brüten Kraniche in dem 170 Hektar großen Gelände, das bis 1990 teilweise von der Justizbehörde Hamburg für Landwirtschaft genutzt wurde. Ob geplante Bohlenwege oder auch die dort vorgesehenen Parkplätze für die LGS deshalb überhaupt zulässig sind, wird sich übrigens erst zeigen. Zumindest größere Veränderungen dürfen dort mit Sicherheit nicht vorgenommen werden, sind die Flächen schließlich durch §15 des Landesnaturschutzgesetzes (LnatG) geschützt. Auch die Finanzierung der LGS ist keinesfalls gesichert: Während Bürgermeister Hans-Joachim Grote und die Norderstedter Verwaltung mit 12,5 Millionen Euro Investitionskosten und weiteren 7 Millionen Euro Durchführungskosten rechnen, bezweifeln KritikerInnen die Grundlagen dieser ersten Berechnungen. So basieren diese Zahlen beispielsweise auf stolzen 800.000 BesucherInnen in nur rund 6 Monaten (4.500/Tag), eine vergleichsweise optimistische Zahl. Dabei wurde weder die Möglichkeit eines kalten Sommers, noch die Tatsache eingerechnet, dass viele der BesucherInnen in Gruppen anreisen und damit lediglich ermäßigten Eintritt zahlen. Gerade die benachbarten Landesgartenschauen in Wismar und - vielzitiert - Wolfsburg haben im übrigen weit niedrigere BesucherInnenzahlen zu verzeichnen, als ursprünglich geplant. So oder so: Die Investitionskosten sollen nach dem jüngsten Beschluss des Hauptausschusses nun nach einer etwaig erfolgreichen Bewerbung auf fünf Jahre verteilt in den örtlichen Haushalt eingestellt werden (jährlich 2,5 Millionen Euro) und werden sicherlich an anderer Stelle fehlen. Es wäre doch ein interessanter Zufall, wenn dann im gleichen Zeitraum wieder eine Jugendeinrichtung geschlossen-, Personal eingespart- oder die Kindergartengebühren erhöht werden müssen.