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Sonntag, 17. November 2002, 1:00 Uhr

Gedenkwanderung zur KZ-Gedenkstätte Springhirsch

Rede des Historikers Gerhard Hoch am Volkstrauertag 2002

Olaf Harning | "Volkstrauertag - einmal anders. Unter diesem Motto haben wir Sie eingeladen. Der Volkstrauertag hat eine sehr unerfreuliche Geschichte, ganz besonders in unserer engeren Heimat.
Schon vor dem Dritten Reich wurde dieser Tag und wurden die Kriegerdenkmäler instrumentalisiert, um mit dem Andenken der Millionen Toten des 1. Weltkrieges die Menschen in den Dörfern heißt zu machen für eine Politik der Vergeltung und der Gewalt und eines neuen Krieges. In der Kaltenkirchener Zeitung am 15. März 1935 wurde die Mitarbeit der Lehrer und Erzieher angemahnt zu ´Heldenehrung und helischer Lebensauffassung´ der Jugend. Die Zeiten haben sich geändert. Doch akute Gefahren sind geblieben, neue sind aufgetaucht.
Damals ging die Saat auf. Zu deren Früchten gehörte das Lager hier. 240 zu Tode gequälte Häftlinge lagen auf dem Boden hier. Ihre Namen und Daten sind bekannt. Berücksichtigt man aber alle Quellen, kommen wir auf eine Zahl von insgesamt etwa 700 Toten. Sie ´mahnen´ uns, wie es gerne so leicht formuliert wird. Aber wollen wir es nicht etwas konkreter sagen, wozu ?
Die meisten von ihnen waren Ausländer, deren Deutschland sich entledigen wollte. Auch heute gibt es in Deutschland Ausländer, die in unserem Lande Schutz und Sicherheit suchen. Und viele haben das Erwartete hier gefunden. Aber es gibt ´christliche´ Politiker, die mit der künstlich geschürten Angst vor solchen Menschen Wahlen zu gewinnen trachten. Ein Vorgang, dessen Wiederholung sich schon jetzt abzuzeichnen beginnt, wieder abzeichnet.
Ich wünschte, ich könnte jene Polizeibeamten aus Friedrichstadt an diese Gedenkstätte holen, die dort erst unlängst eine kurdische Frau, Mutter von 7 Kindern, verhaftete, als sie aus Angst vor Abschiebung ihr Kirchenasyl um einige Meter überschritt. Oder was sind das für Beamte, die sich im Auftrag des Hamburger Innensenators Schill für eine besonders rüde Abschiebepraxis hergeben - in Treue zum Buchstaben der Vorschrift, gebückt gegenüber dem Dienstherrn. Das Grundgesetz unserer Republik hat einmal einen anderen Primat gesehen: den der Menschlichkeit. Und dem ist bisweilen nicht anders zu entsprechen als mit Zivilcourage.
Wir brechen auf zu einem Weg, der uns - mit Zustimmung des Kommandeurs - über den Übungsplatz der Bundeswehr führt. Ich denke, wir alle hoffen und fordern, dass unser Land sich nicht hinein ziehen läßt in einen vorgeblich der Terrorismusbekämpfung dienenden willkürlichen Vergeltungskreig mit den üblichen Kollateralschäden.
Wir begeben uns auf die Wanderung zu den Gräbern unserer Brüder in Moorkaten. Vor der Gräberstätte wollen wir unsere Lichter anzünden und sie auf die Gräber stellen. Damit wiederholen wir das, was wir erstmals 1975, kurz nach der Wiederentdeckung der diversen Mordstätten in Kaltenkirchen, unter großer Beteiligung der Öffentlichkeit, getan haben. Vielleicht beginnen wir damit eine neue Tradition. Uns allen wünsche ich einen freundlichen, besinnlichen Weg."

Veröffentlicht in Geschichte mit den Schlagworten Polizei, Wahlen