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Sonntag, 1. Juli 2012, 13:10 Uhr

Mit Fluglärm in die Stadtvertretung?

"Gerechtigkeit für Garstedter"

Maschine im Anflug, direkt über der Wandsbeker Wohnstraße Blumenau

Maschine im Anflug, direkt über der Wandsbeker Wohnstraße Blumenau (Foto: Infoarchiv)

Infoarchiv Norderstedt | Seit Jahrzehnten kämpfen Hans Schwarz und Uwe Kühl von der Norderstedter Interessengemeinschaft für Fluglärmschutz (NIG) für weniger Starts- und Landungen über die nordwestliche Einflugschneise des Flughafen Fuhlsbüttel, jetzt haben sie Verstärkung bekommen: Reimer Rathje will in Kürze die Wählergemeinschaft Fluglärm gründen.

Erst im Oktober hatte Schwarz zwar die Unterstützung einer Klage der benachbarten Quickborner Interessengemeinschaft Flugschneise Nord angekündigt, gleichzeitig aber eine gehörige Portion Resignation durchblicken lassen. Kein Wunder also, dass die Norderstedter Fluglärm-Aktivisten über den neuen Mitstreiter mehr als nur erfreut sind: "Ich habe es nicht mehr für möglich gehalten", so Schwarz im Norderstedter Wochenblatt zu Rathje, "dass ein junger und fähiger Mann wie Sie sich der Sache offensiv annehmen und nicht wie viele Garstedter resignierend in der Hängematte dem Tod entgegenschaukeln will". In enger Zusammenarbeit wollen die Betroffenen jetzt vor allem gegen die ihrer Ansicht nach unfaire Verteilung der Starts und Landungen auf die vier Einflugschneisen des Airports vorgehen.


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Bahnbenutzungsregeln

Laut Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt sehen die Bahnbenutzungsregeln die stärkere Belastung der nordwestlichen Schneise ausdrücklich vor:

  • Starts sollen Richtung Norden (Ohmoor/Quickborn) erfolgen.
  • Die Richtung Süden (Alsterdorf/Innenstadt/Hamm) soll nicht benutzt werden.
  • Zwischen 22 und 7 Uhr sollen auch Landungen aus Richtung Norden erfolgen.

Begründet wird diese Ungleichverteilung mit dem "Versuch, möglichst wenig Menschen mit dem Fluglärm zu belasten." Richtung Norden sei insbesondere der Nahbereich des Flughafens, in dem die Schallpegel besonders hoch sind, kaum besiedelt. Kritiker werfen der Hansestadt allerdings vor, dass politisches Kalkül hinter den Regeln steckt: Weil man die eigenen WählerInnen nicht verärgern will, würde der Fluglärm einfach in die Nachbargemeinden verlagert.

Tatsächlich wird die nordwestliche Schneise, die in etwa über dem Gebiet zwischen Norderstedt und der Achse Bönningstedt-Hasloh-Quickborn verläuft, überdurchschnittlich häufig für Starts- und Landungen genutzt - und zwar ganz offiziell (siehe Kasten). So erfolgten im Mai 2012 rund 58% aller Starts Richtung Nordwesten, im März 2012 waren es gar 81%. Auch über das gesamte Jahr 2011 gemessen erfolgten 57% aller Starts, 29% aller Landungen und damit 43% aller Flugbewegungen über dem Ohmoor, bzw. der Garstedter Feldmark. Ein Zustand, den Schwarz, Kühl und Rathje nun ändern wollen.

Ihrer Ansicht nach nämlich ist Lärm "keine Kollektivbelastung, sondern eine Einzelbelastung". Reimer Rathje: "Jeder einzelne Bürger in Südholstein musste 2011 über 44.000 Starts ertragen ... jeder einzelne Bürger in Alsterdorf aber nur 1.550 (...). Es ist also nicht wichtig, ob in einem bestimmten Gebiet 10 Personen leben oder 100". Deshalb streben die Fluglärm-Aktivisten jetzt eine "gerechte Verteilung der Starts und Landungen" an, laut Rathje also "für jede Richtung 50 Starts pro Tag und 50 Landungen".

Kommentar

Sie leiden erheblich unter der Lärmbelastung und ihre Forderung nach einer Lösung ist mehr als berechtigt. Dennoch liegen die Fluglärm-Aktivisten um Hans Schwarz, Uwe Kühl und Reimer Rathje mit ihrer Forderung nach "Umverteilung" der Starts und Landungen am Flughafen Fuhlsbüttel vollkommen daneben. Denn eines muss klar sein: Natürlich ist es von Bedeutung, wie viele Menschen von einer Lärmbelastung betroffen sind, natürlich spielt es eine Rolle, ob die Menschen - wie in Norderstedt und Quickborn - direkt neben der Flugschneise leben, oder wie im Fall der übrigen Schneisen - unmittelbar darunter. Wäre es nicht so, könnten demnächst ja auch Anlieger der A7 berechtigt vorschlagen, ihre Lärm-Last umzuverteilen und den Verkehr teilweise parallel zur Autobahn durch die Innenstädte der Achse Norderstedt-Henstedt-Ulzburg-Kaltenkirchen zu leiten.

 

Da auch die Vorstellung, mit einer 3-, 5 oder auch 7-Prozent-Wählergemeinschaft, bzw. durch die Blockade von ein paar Sommerparkplätzen Druck auf den Flughafen auszuüben - freundlich ausgedrückt - sehr optimistisch ist, bleibt für eine echte Lösung eigentlich nur ein Weg: Fluglärm-Betroffene aller vier Schneisen müssen gemeinsam die deutliche Beschränkung der Starts und Landungen in Fuhlsbüttel insgesamt durchsetzen. Jährlich 90.000 davon wurden noch 1970 gezählt, gut 100.000 1985 und heute - fast 160.000. Das ist zu viel - und DAS ist unzumutbar. Nicht die ungleiche Verteilung auf die ungleichen Bahnen.

 

Olaf Harning

Bleibt abzuwarten, ob die von dem Garstedter Kaufmann anvisierte Wählergemeinschaft Fluglärm genug Druck aufbauen kann, um dieses große Ziel zu erreichen. Reimer Rathje jedenfalls ist nicht nur davon überzeugt, im Mai 2013 mit mindestens 5% der Stimmen in die Norderstedter Stadtvertretung einzuziehen, sondern auch von der Möglichkeit, Hamburg und seinen Flughafen zum Einlenken zu bewegen. Sollte der Wahlerfolg tatsächlich gelingen, will er Politik und Verwaltung bewegen, sich in der Fluglärmschutzkommission und gegenüber der Kieler Landesregierung für eine verschärfte Gangart einzusetzen, so dass der Hamburger Senat am Ende nicht anders könne, als Starts und Landungen zu Gunsten Schleswig-Holsteins umzuverteilen. Mögliche Druckmittel wären dabei die Zustimmung der Landesregierung zu länderübergreifenden Projekten wie der Elbvertiefung oder auch das "Nein" Norderstedts zur Einrichtung eines Sommerparkplatzes auf dem Nordport-Gelände - beides Punkte, bei denen die Politik den Betroffenen in den Rücken gefallen sei, weil sie keine Gegenleistung verlangt habe.

In jedem Fall wird es spannend, bei den Kommunalwahlen in Norderstedt: Neben den 2008 in die Stadtvertretung gewählten Parteien CDU (38,3%), SPD (30,3%), GALiN (12,3%), FDP (10,8%) und DIE LINKE (8,4%) drängen am 26. Mai 2013 nun auch die zwischenzeitlich "aufgetauchten" PIRATEN, die neben der GALiN wieder gegründeten Grünen und jetzt die Wählergemeinschaft Fluglärm ins städtische Parlament, wobei die beiden grünen Organisationen prinzipiell ein gemeinsames Auftreten anstreben. Zumindest den LINKEN und den Fluglärm-Aktivisten könnte dabei der Wegfall der 5-Prozent-Hürde zugute kommen, schon knapp über 3% der Stimmen würden diesmal wohl zum Einzug in die Stadtvertretung reichen, weniger als 4,5% dürften zur Bildung einer Fraktion berechtigen.


 

2 Kommentare zu diesem Artikel

16.07.2012, 23:17 Uhr FluglärmgeschädigterGegend

@Norbert Hahn Welche "Gegend" soll das sein, in die Leute ziehen, die sich dann über den Lärm beschweren? Wir reden von ganzen Stadteilen mit tausenden Betroffenen! Diesen Menschen wollen Sie das Recht absprechen, sich gegen Mißstände zu wehren?

Und zur Frage wie wir in den Urlaub fliegen: gar nicht - wir nehmen das Rad. Oder die Bahn. Man muss nämlich nicht das Flugzeug nehmen. Wobei ich nichts dagegen habe, wenn man "mal" mit dem Flugzeug fliegt. Wogegen ich etwas habe, ist die völlig unreflektierte (Billig-)Vielfliegerei, die ja zu einem nicht unerheblichen Teil für den gestiegen(!) Fluglärm verantwortlich ist. Leider scheint es heute völlig selbstverständlich geworden zu sein, mehrmals pro Jahr an die entlegendsten Ziele der Welt zu jetten - ohne sich darüber Gedanken zu machen, welche Konsequenzen für Mensch und Umwelt das hat.

16.07.2012, 17:07 Uhr Norbert Hahn Man wundert sich....

....wenn Leute sich beschweren und Front gegen den Flughafen machen.
Viele Leute ziehen in die Gegend und wollen dann eine Reduzierung des Fluglärms und der Starts und Landungen. Wer war denn zuerst da, ihr oder der Flughafen ???
Und wie fliegt ihr in den Urlaub ??? Aber das ist dann egal, da trifft es dann ja die Nachbarn. Man kann froh sein, das Hamburg so einen stadtnahen Flughafen hat.....der ja auch einer ganzen Menge Schleswig Holsteinern einen Job gibt.