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Freitag, 26. September 2014, 17:38 Uhr

Erfolgreiches Kirchenasyl in der "Roten Kapelle"

Schriftzug "Schalom - Ev. Luth. Kirche" am roten Klinker der Schalom-Kirche.

Gut zwei Jahre lang betreute die Kirchengemeinde Vicelin-Schalom ein Kirchenasyl. Mit Erfolg (Foto: Infoarchiv).

Stefan Schmidt-Brockmann | Vor zwei Jahren hat die Kirchengemeinde Vicelin-Schalom damit begonnen, eine "Familie in Not" zu unterstützen. Jetzt hat sich das Engagement bezahlt gemacht.

Fassade mit Fisch-Symbol und Schriftzug "Vicelin-Schalom"

Konkret handelte es sich um eine vierköpfige Familie aus Serbien, die zur Volksgruppe der Roma zählt. Der Vater ist überwiegend in Hamburg aufgewachsen. Er hat viele Jahre hier gearbeitet, seine Tochter und sein Sohn wurden hier geboren.

Trotz erfolgreicher Integration (so wurde die Tochter mit dem Hamburger Integrationspreis ausgezeichnet) musste die Familie 2011 nach Serbien ausreisen, um einer Abschiebung zuvorzukommen. Dort hat sie Schlimmes erlebt. Deshalb kam sie mit Unterstützung aus Deutschland 2012 zurück und erhielt hier (mit Kenntnis der Behörden) Kirchenasyl, in der Kirchengemeinde Vicelin-Schalom.

In der Regel werden Kirchenasyle - obwohl letztlich illegal - von den Behörden respektiert. Allerdings gibt es keine finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand - weshalb viele Gemeindemitglieder einem Spendenaufruf folgten.

Die Betroffene Familie hat im Schalom gewohnt, Wand an Wand  neben Pastor Christian Stehr und seiner Frau Ute Stamer-Stehr. Auf etwa 40 Quadratmetern und das Pastorenpaar fast mittendrin. Alle Sorgen, Ängste und Tränen haben sie mitgetragen. Das ist etwas, das weit über den ohnehin weiten Raum des Pastorenamtes hinausgeht, das Bewunderung und Dank verdient.

Gebetsraum, Zufluchtsort, "rote Kapelle" - 40 Jahre Schalom-Kirche

 

Es war vor etwas mehr als 20 Jahren, als eines Abends Polizisten in die Schalom-Kirche am Lütjenmoor eindrangen und eine jugendliche Antifa-Gruppe "aufmischten". Dass einer der Beamten dabei verächtlich von einer "Roten Kappelle" sprach, war kein Zufall: Wie kaum ein anderes Gotteshaus der Stadt steht die Schalom-Kirche (auch) für politische Einmischung und Hilfe für Menschen in Not.

 

Im Mai 1974 gegründet, wagte die Garstedter Gemeinde von Beginn an das Experiment, Kirche einmal anders zu leben, den christlichen Glauben gemeinsam zu gestalten, statt ihn nur zu konsumieren. Waren es anfangs die Pastoren Dietrich Frahm, Theodor Lescow und Sönke Wandschneider, die im Schalom auch der Anti-Atom-Bewegung oder später Bürgerinitiativen gegen die Volkszählung ein Zuhause gaben, übernahm Ende der 80er Jahre Helmut Frenz die Pastorenstelle.

 

Einst hautnah mit dem Putsch Pinochets in Chile konfrontiert, setzte der sich als Generalsekretär von Amnesty International und später als Schalom-Pastor für die Verfolgten und Flüchtlinge lateinamerikanischer Regime ein, führte jugendliche Antifa-Aktivisten mit Guerilla-Komandanten aus Guatemala zusammen, legte sich aber auch mal mit der autonomen Szene an, als die 1990 das Schalom mit einer Gruppe Flüchtlinge besetzte, um deren Verteilung nach Ostdeutschland zu verhindern.

 

Auch wenn es am Lütjenmoor heute etwas ruhiger zugeht und die "rote Kapelle" in Kürze aufwendig umgebaut wird ... auf welcher Seite die Gemeinde steht, wenn Hilfesuchende an ihre Tür klopfen, ist nach wie vor klar. So war das aktuelle Kirchenasyl hier nicht das erste und es wird wahrscheinlich auch nicht das letzte gewesen sein.

 

Olaf Harning

Der Unterstützerkreis

Die Schalom-Gemeinde hat Erfahrung mit Kirchenasylen und rief zunächst zur Bildung eines Unterstützerkreises auf. Anfangs kamen etwa 12 Personen, die bereit waren zu helfen. Mit Liebe, Vernunft und Therapeuten und nicht zuletzt oft großzügigen SpenderInnen.

Nach zwei Jahren kann nun festgestellt werden: Mutter und Tochter sind in ärztlicher Behandlung, die ihnen in dem erforderlichen Maß in Serbien nicht zur Verfügung steht. Tochter und Sohn haben den Hauptschulabschluss geschafft, der Sohn hat eine Lehrstelle und strebt damit (auch) die Mittlere Reife an. Er musste vor etwa einem Jahr operiert werden, was dank unbürokratischer Hilfe des Albertinen-Krankenhauses möglich gemacht wurde. Andere Geldgeber ermöglichten ihm, sein sehr gutes Saxophonspiel unseren Hörgewohnheiten anzunähern.

Die Mutter, die vor zwei Jahren fast kein Wort Deutsch sprach, spricht jetzt (der VHS sei Dank) das beste Deutsch in der Familie. Sie hat das Fragebuch über Deutschlands Historie und Gegenwart in nullkommanix erarbeitet, die Prüfung bestanden und damit alle Voraussetzungen für einen vorerst zweijährigen Verbleib erfüllt. Auch die inzwischen volljährige Tochter darf bleiben, Vater und Sohn haben eine befristete Duldung.

Die nordelbische Kirche

Ich muss als Autor erwähnen, dass ich nicht in der Kirche bin. Umso dankbarer bin ich dafür, dass die Gemeinde mich im wahrsten Sinne des Wortes in ihre Gemeinschaft aufgenommen hat. Und ich mache Erfahrungen "mit Kirche", die ich nicht erwartet hätte. Bleiben wir nur mal beim Thema Hilfte für Menschen in Not. Die Nordkirche hat eine ganze Infrastruktur aufgebaut, um dem christlichen Gedanken der Nächstenliebe im politisch machbaren Rahmen Rechnung zu tragen. Dazu gehören die Flüchtlingsbeauftragte, die sich politisch und in konkreten Fällen für Flüchtlinge einsetzt, ebenso wie der "Fluchtpunkt": Eine kirchliche Einrichtung zur juristischen Beratung von Flüchtlingen. In Norderstedt selbst gibt es die diakonische Migrationssozialberatung, die mit vielen Kontakten und wenigen Euro vor allem praktische Hilfe gewährt und in Schnelsen das Albertinen-Krankenhaus - Halleluja!

Dieser Artikel ist zunächst im "Kirchen-Info" der Kirchengemeinde Vicelin-Schalom erschienen. In der kommenden Ausgabe wird der Autor dort berichten, welch positive Erfahrungen er im Unterstützerkreis eines Kirchenasyls gemacht hat ... und wie man helfen kann, wenn man sich für die Situation der Betroffenen interessiert.