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Freitag, 29. März 2013, 10:48 Uhr

"01 verstarb an der Unfallstelle"

Polizeidirektion Segeberg stellt Verkehrssicherheitsbericht 2012 vor

Chaos auf der Kreuzung Ohechaussee/Ochsenzoller Straße

Ständiger Gefahrenherd: Die Einmündund der Ochsenzoller Straße in die Ohechaussee (Foto: Infoarchiv)

Olaf Harning | 19 Tote. Das ist die verheerende Bilanz der Polizeidirektion Segeberg zur Verkehrssicherheit des Jahres 2012. Alle 19 starben in Autos oder auf motorisierten Zweirädern, dennoch will die Polizei künftig vermehrt Radfahrer kontrollieren. Der ADFC kritisiert das.

Der schwerste Unfall des Jahres ereignete sich am 30. Juni 2012, als bei Hardebek fünf Menschen in einem VW-Bus von der Fahrbahn abkamen und frontal gegen einen Baum prallten. Drei der InsassInnen starben noch an der Unfallstelle, eine 23jährige erlag ihren Verletzungen wenig später im Krankenhaus. Unfallursache vermutlich: Überhöhte Geschwindigkeit, kurz: Rasen. Außerdem war der (schwer verletzt überlebende) Fahrer alkoholisiert. So oder so ähnlich klingen auch die Beschreibungen mehrerer anderer Unfälle, ein Zitat aus dem Polizeibericht: "... geriet er auf regennasser Fahrbahn in einer Rechtskurve ins Schleudern, kam nach links von der Fahrbahn ab und prallte gegen einen Baum." Die grausigen Details solcher Unfälle werden im Verkehrssicherheitsbericht ausgespart, dort heißt es am Ende dann ganz nüchtern: "01 verstarb an der Unfallstelle", oder "... bei dem Zusammenstoß wurde 02 tödlich verletzt."

Neben den 19 Verkehrstoten wurden 2012 im Kreis Segeberg bei insgesamt 6.757 (-73) registrierten Unfällen 1.503 (+18)  Menschen verletzt, 147 (-19) von ihnen schwer. Weil dabei immer häufiger auch Radfahrer beteiligt sind, hat Polizeidirektor Dirk Petersen jetzt mehr Radler-Kontrollen angekündigt. Auf den ersten Blick gibt ihm die Statistik dabei Recht: An 703 Unfällen (+32) waren Radler im Jahre 2012 direkt oder indirekt beteiligt, 704 Menschen (+26) wurden dabei verletzt. Ein Problem: Laut Bernd Steiner, Unfallexperte der Polizeidirektion Segeberg, werden unfallbeteiligte Radfahrer in aller Regel auch verletzt. Im Gegensatz zu PKW und Lastwagen verfügen sie weder über Knautschzonen noch eine schützende Hülle.

Rolf Jungbluth

Rolf Jungbluth (ADFC), hier bei der jährlichen Fahrradsternfahrt (Foto: Infoarchiv)

Genau das ruft auch Rolf Jungbluth auf den Plan, allerdings mit anderen Schlussfolgerungen. Der Sprecher des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs (ADFC) in Norderstedt: "Auch Radfahrer sind keine Engel im Straßenverkehr. Der große Unterschied ist allerdings, dass sie nur mit 30 kg statt einer Tonne Blech unterm Hintern durch die Straßen fahren und damit die Unfallfolgen weit weniger dramatisch sind." Jungbluth stellt deshalb in Frage, ob vermehrte Radler-Kontrollen verhältnismäßig sind - und ob sie überhaupt einen Effekt auf die Unfallzahlen haben. Auch Steiner bestätigt gegenüber dem Infoarchiv, dass 2012 gerade einmal sechs Nicht-Radler durch das Fehlverhalten von Radfahrern verletzt wurden. 16 Menschen erlitten Verletzungen bei Unfällen von Radlern untereinander. Und immerhin 40% der verletzten Drahteselnutzer verunglückten ohne jede Fremdbeteiligung. Unterm Strich müssen Radfahrer also vor allem vor Autos und - vor sich selber geschützt werden. Eine Gefahr für Dritte geht von ihnen nicht aus.

Ein wenig kurios wird es daher auch, wenn Polizeidirektor Petersen den Zustand der Räder in den Fokus rückt: "Erschreckend", so der Polizeidirektor gegenüber der Norderstedter Zeitung, sei beispielsweise der Zustand vieler Räder, die bei Kontrollen in vierten Klassen der Grundschulen im Kreis festgestellt würden. Einmal konkret nachgefragt kommt dann aber heraus: Von gut 700 Rad-Unfällen konnte nicht ein einziger auf Mängel zurückgeführt werden, nicht einmal fehlendes Licht führte 2012 zu auch nur einem Unfallopfer in Segeberg. Bleibt das Problem, bei dem sich Polizei und ADFC einig sind: Die Gefahr, die von sogenannten "linken Radwegen" ausgeht. Auch in Norderstedt gibt es noch zahlreiche Hauptstrecken, die für Radler nur auf einer Straßenseite - hier aber in beide Richtungen - befahrbar sind. Da viele dieser Strecken soger benutzungspflichtig sind, Autofahrer sich aber meist nur per Blick nach links absichern, kommt es bei Einmündungen immer wieder zu gefährlichen Situationen und Unfällen. So war die Einmündung der Waldstraße in die Ulzburger Straße über Jahre ein absoluter Unfallschwerpunkt in Norderstedt - bis dort nach viel Zank eine Ampelanlage errichtet wurde.

Der Radstreifen auf dem Alten Kirchenweg

Der Radstreifen auf dem Alten Kirchenweg. So oder so ähnlich soll nach dem Willen des ADFC überall dort verfahren werden, wo kein "rechter" Radweg existiert (Foto: Infoarchiv)

Für Jungbluth ist es kein Wunder, dass viele Norderstedter die Radwege regelmäßig auch "links" befahren, solange es nur schwer durchschaubar ist, wo das möglich, sogar vorgeschrieben oder eben verboten ist. In Fahrradstädten wie Münster oder Kopenhagen gebe es das Phänomen der "Geisterradler" gar nicht, weil hochwertige Radstrecken und ausreichend Querungsmöglichkeiten existierten. Jungbluth: "Der ADFC fordert deshalb mit wenigen Ausnahmen die Aufhebung sämtlicher linker Benutzungspflichten." Die seien meist eingeführt worden, damit der Kfz-Verkehr nicht behindert wird - zu Lasten der Sicherheit von Radfahrern. Der ADFC-Sprecher: "Statt linker Pflicht-Radwege Schutz- oder Radstreifen auf der Straßenseite, wo Radwege fehlen!"